Judith Holofernes: "Liebe Teil 2 – Jetzt erst recht”
Enthalten auf der CD "Ein leichtes Schwert" (Four Music/Sony Music)
(Photo: Ole Rennecke)
"Mädchensein allein ist keine Tugend" sang einst Sven Regener ziemlich richtig. Aber man darf auch mal das Kind beziehungsweise den Jugendlichen in sich zulassen - das ist dann ziemlich erwachsen, findet Manfred Prescher. 24.02.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Das Problem kennt ja praktisch jeder zwischen Hühnergeschrei im Mühlviertel und Feuerschützenbostel bei Celle - zumindest, wenn er oder sie als Vater oder Mutter schwer nachtaktiv war beziehungsweise ist: Irgendwie kommt man einfach nicht zur Ruhe, wechselt Windeln und singt sich mit unsicher-sanfter Stimme durch die Matthäus-Passion, während das Kindlein wegen Blähungen schreit. Oder man liest bis weit über die "Tatort"-Zeit hinaus Geschichten von Onschao, dem süßen Einhorn. Und fühlt sich bei all dem in seinem privatfamiliären Golgatha-Schlachtfeld selbst wie der leidende Christus.
Unter all den kräfteraubenden Alltagsquälereien - man könnte seine Töchter auch frei nach Fehlfarben "Ruth und Routine" nennen - und dem Schlafmangel leiden natürlich die Beziehungen zur Außenwelt. Freunde sind genervt vom ewig selbstreferentiellen Eltern-Kind-System, der mangelnden Flexibilität bei der Verplanung der ohnehin nicht vorhandenen Freizeit und dem Gestank der Nachwuchsbiogasanlage. In der Innenwelt sieht es oft ebenso trist aus. Es sollen schon Beziehungen den Mühlbach runter und den Rhein raufgespült worden sein - nur weil da plötzlich etwas an sich Knuffiges, Knuddliges und Kuschliges herumlungert, Aufmerksamkeit fordert und täglich mehr Stunden zur Reinhaltung nach vorausgegangener Fütterung, zur Menschwerdung und zur ganzen Erzieherei benötigt, als ein Tag hat. "Elend" ist halt nicht nur ein Ort im Harz.
Genau darum geht es in "Liebe Teil 2" von Judith Holofernes. Die Frontfrau der Band Wir sind Helden (siehe "Miststück" 79) ist zweifache Mutter, hat deshalb den Rückzug auf die heimatliche Berliner Scholle angetreten und eine Auszeit genommen. Irgendwann kam dann die Idee zu neuen Songs, die natürlich mit ihrem aktuellen Erleben und den anderen Umständen zu tun haben.
Ich schrob deshalb das Wort "natürlich", weil Judith Holofernes das selbstverständlich immer schon so gemacht hat. Ihr ungewöhnliches, trotziges Liebeslied über ein Paar, das sich zu verlieren droht, singt sie mit ihrer gewohnt schwer naiv-mädchenhaft klingenden Stimme. Ihr markant-kieksiges Markenzeichen mag nicht jeder, doch dieses Phänomen kennen wir nicht erst seit Bob Dylan oder Tom Waits. Die beiden sind raubauziger und knarziger, passen aber doch auch in die musikalische Asservatenkammer, aus der die Liedermacherin schöpft. Ja, nobody sings Holofernes like Holofernes. Und beim - zumindest auf dem Gemälde von Caravaggio vorhandenen - Barte des assyrischen Feldherrn oute ich mich auch dieses Mal gern wieder als Fan der Lady.
Ob ich mir für eine Platte von Judith H. oder den Helden die Denkmurmel vom Rumpf trennen lassen würde, wage ich allerdings stark zu bezweifeln. Aber einfach so mal ein bißchen in das ziemlich gelungene Werk "Ein leichtes Schwert" hineinhören und darüber nachsinnen, daß Liebe nicht nur bei ausgelaugten Jungeltern oft merkwürdig dornenreiche Wege geht und man sich inmitten der alltäglichen Malaisen respektive der permanenten Anforderungsüberforderung oft aus den Herzen verliert. Aber mit dem Grübeln sollte man es auch nicht übertreiben, weil man sonst zu kuscheln und zu muscheln vergißt. Es soll ja bekanntlich Menschen geben, die so viel über sich, das Leben, das Universum und den ganzen Rest reflektieren, daß sie praktisch im Dunkeln leuchten. Darüber ist schon manches Abendessen kalt geworden.
Nächste Woche werde ich hier ein wenig über das neue Album von Beck schreiben. Um ein Langes erstmal kurz zu machen: Es ist trostreich, daß der Schwurbel wieder da ist und immer noch sehr vertraut klingt. Vermutlich ließe sich darüber eine ganze Kolumne füllen. Wenn nicht, werde ich einfach ein paar Worte über die aktuelle CD von Def Leppard verlieren. Falls mir bis dahin die Haare lang genug gewachsen sind, um sie ondulieren zu lassen. Apropos "lassen": Laßt euch einfach überraschen - die nächste Kolumne kommt bestimmt. Und jetzt raus mit euch! Nehmt den Windeleimer gleich mit, es müffelt schon in der guten Stube. Bis nächste Woche, Girls und Boys.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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Kommentare_
Wie immer gut gemacht, witzig, intelligent, eben ein typischer Prescher!!