Joseph Arthur: "The Ballad Of Boogie Christ"
Enthalten auf der gleichnamigen CD (Real World/Indigo)
Er ist wieder da: Erst schickte John Niven den Sohn Gottes auf die Welt, vulgo in eine Casting-Show - jetzt erklärt ein Song, daß Jesus einer von uns ist. Das ist tröstlich, findet Manfred Prescher. 30.09.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Keine Sau kennt Joseph Arthur. Das ist schade, aber dieses Schicksal teilt er wohl mit den meisten Menschen. Wer sich etwa als FDP-Politiker verdingt - wer waren nochmal Martin Zeil und Daniel Bahr? - oder einem moralisch weniger anfechtbaren "Normalberuf" nachgeht, wird selten berühmt. Weil: So viele Talent-Shows kann es gar nicht geben. Außerdem werden dafür bekanntlich Casting-Profis gecastet. Joseph Arthur hat nun schon sein zehntes Album veröffentlicht, was ihm in puncto Ruhm wahrscheinlich auch kaum helfen wird. Mit gut abgehangenem Folk-Country-Pop schafft man es im Musikbusineß nicht nach oben, ins Fernsehen oder Kino aber schon. Songs von ihm liefen unter anderem in "Numbers", "Bourne Identität", "Scrubs", "Shrek 2" und "Dr. House". Das nährt, wenn man nicht wie Justin Timberlake in Saus und Braus leben will, wahrscheinlich sogar seinen Mann - und der wurde übrigens vorigen Samstag gerade 42 Jahre alt.
Das wäre alles nicht der Rede wert, hätte das Album "The Ballad Of Boogie Christ" nicht echt Klasse. Es ist beileibe nicht nur der Titelsong, der ins Ohr geht. Aber ich will mich mal auf den konzentrieren. Weil er mich zum Lachen gebracht hat, was einem Folk-Country-Song zuletzt wahrscheinlich anno 1969 und mit "A Boy Named Sue" gelungen ist. Jesus ist wieder da, ich habe es ja bereits oben angedeutet. Laut Joseph Arthur ist er einer von uns - oder wir sind wie er. Was biblisch verbrieft ist, weil wir nach seinem bzw. seines Vaters Ebenbild aus der Tonscherbe herausgemanscht wurden. Man darf sich das ziemlich eklig und splatterig vorstellen, dann wundert man sich auch nicht gar zu sehr, daß es die Kreatur nicht besonders weit gebracht hat. Gott ist da natürlich viel besser, wir sind praktisch die Abbilder. Aber da ist meine Sichtweise in etwa die, die Edgar Wright und seine Hood in "The World´s End" auf uns loslassen: Wir wollen sein, wie wir sind, und unser Leben aus eigener Kraft und mit Gerstensaft ruinieren.
Wer John Nivens durchaus lustiges Buch "Gott bewahre" gelesen hat, erfährt, daß der alte Herr, der Himmel und Erde gemacht hat, aus einem entspannten Urlaub zurückkommt und sich ärgert, weil wir praktisch alles falsch machen, was man nur falsch machen kann. Darum schickt er uns seinen Sohn, der seinerseits lieber mit Hendrix und Halluzinogenen auf einer Wolke herumgechillt hätte. Jesus kommt also auf die Erde nieder, macht Musik, verführt Ladys, ist ergo einer von uns. Nur daß man als Gottes Sohn natürlich besonders auf Frauen wirkt und die Songs praktisch unvergleichlich schön klingen. Deshalb haben in den sechziger Jahren manche Damen Jim Morrison für den zurückgekehrten Heiland gehalten. Das könnte sein, wenn Gottes Sohn von Charles Bukowski erfunden worden wäre.
Auch bei Joseph Arthur ist Jesus einer von uns. Er backt Pizza, trinkt und raucht, feiert Party, kämpft für den Frieden in der Welt, macht seiner Liebsten am Morgen nach der Liebesnacht einen ordentlichen Buttertoast zum Kaffee. Selbstverständlich bringt er den auch ans Bett, denn er will ihr ja noch mal an die Wäsche. Christ spielt "Black Jack", trägt Cowboy-Boots und ist ein musikalischer Eklektizist - fast wie euer Lieblingskolumnist: "Christ would love Hip Hop, Metal and Soul / Christ would be rockin´/ Christ would be free / He says there´s no difference between you and me". Sagte ich doch.
Alles in allem ein echt cooler Typ, dieser Jesus - zumindest, wenn es nach Joseph Arthur geht. Der erzählt in seiner Ballade von einem Mann, der uns ähnlich ist, aber doch darübersteht. Weil er sich nämlich völlig unaufgeregt dem Weltengetriebe und seinem Räderwerk entzieht: "Christ would be careful, Christ would be brave / Christ would never be anyone´s slave".
Nächste Woche bringe ich euch entweder Arcade Fire oder ganz was anderes dar. Da warte ich einfach noch auf die göttliche Eingebung. Ihr bleibt derweil, wie ihr seid - was anderes bleibt euch sowieso nicht übrig.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Joseph Arthur: "The Ballad Of Boogie Christ"
Enthalten auf der gleichnamigen CD (Real World/Indigo)
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Kommentare_
Die Irrelevanz der Moral
"…lieber will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen…"
Friedrich Nietzsche (Zur Genealogie der Moral)
Was ist schon die "Moral" (unabhängig davon, ob manche sie "Ethik" nennen) gegen Eigennutz = Gemeinnutz (wahre Nächstenliebe)?
(Otto Valentin, Die Lösung der Sozialen Frage, 1952) "Heute, unter der Herrschaft der Monopole, widerstreitet die Betätigung des Eigennutzes oft genug dem gemeinen Wohl. Daher die gut gemeinten Ratschläge der Moralisten und Ethiker, den Eigennutz zu bekämpfen. Sie haben nicht begriffen, dass der Eigennutz an und für sich durchaus am Platze ist, und dass es nur einige rein technische Mängel unserer Wirtschaft sind, derentwegen der Eigennutz so häufig zu Ungerechtigkeiten führt. In einer monopolbefreiten Wirtschaft hingegen, in der es nur eine Art des Einkommens, den Lohn, geben wird, laufen Eigennutz und Gemeinnutz dauernd parallel. Je mehr die Einzelnen dann, ihrem Eigennutz gehorchend, arbeiten, umso besser werden sie den Interessen der Allgemeinheit dienen.
Der heutige endlose Widerstreit zwischen Eigennutz und Gemeinnutzen ist eine ganz zwangsläufige Folge des herrschenden Geldstreik- und Bodenmonopols. Eine von diesen beiden Monopolen befreite Wirtschaft entzieht diesem Widerstreit für immer die Grundlage, weil in ihr der Mensch aus Eigennutz stets so handeln wird, wie es das Gemeininteresse erfordert. Die seit Jahrtausenden von Religionsgründern, Religionslehrern, Philosophen, Moralisten usw. aufrecht erhaltene Lehre von der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur wegen ihrer Eigennützigkeit findet damit ein für allemal ihr Ende. Es ist keineswegs notwendig, dass wir, diesen Lehren folgend, uns durch Äonen hindurch abmühen, um uns selbst zu überwinden, um eines Tages vielleicht doch noch gemeinnützig zu werden – sondern wir können schon jetzt, heute, in dieser Stunde, die Verbrüderung der bisherigen Widersacher Eigennutz und Gemeinnutz vollziehen. Es ist dazu nicht erforderlich, dass wir den Menschen reformieren, es genügt vielmehr, wenn wir das fehlerhafte Menschenwerk, unser Geldwesen und Bodenrecht, ändern."
Wie konnten wir also glauben, dass die berühmteste Persönlichkeit der Welt, auf der bis heute die planetare Zeitrechnung basiert, nicht schon wusste, was wahre Nächstenliebe ist? Hat es vielleicht auf diesem kleinen blauen Planeten einige Missverständnisse gegeben?
(Jesus von Nazareth, ohne Garantie, weil – die Bildzeitung möge mir verzeihen – aus der "Bildzeitung der Antike" zitiert) "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: "Auge um Auge, Zahn um Zahn." Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei."
(Silvio Gesell, garantiert unwiderlegbar) "Man sagt es harmlos, wie man Selbstverständlichkeiten auszusprechen pflegt, dass der Besitz der Produktionsmittel dem Kapitalisten bei den Lohnverhandlungen den Arbeitern gegenüber unter allen Umständen ein Übergewicht verschaffen muss, dessen Ausdruck eben der Mehrwert oder Kapitalzins ist und immer sein wird. Man kann es sich einfach nicht vorstellen, dass das heute auf Seiten des Besitzes liegende Übergewicht einfach dadurch auf die Besitzlosen (Arbeiter) übergehen kann, dass man den Besitzenden neben jedes Haus, jede Fabrik noch ein Haus, noch eine Fabrik baut."
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