Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Heftgeschäft
Dr. Trash empfiehlt: Suchen Sie die letzten paar Romantauschzentralen auf, die es in Ihrer Stadt noch gibt. Decken Sie sich mit dem ein, was Ihnen die Eltern schon als "Schund" verbieten wollten - oder legen Sie sich die Luxusausgaben der alten Heftln zu, bevor die Hochkultur sich auch noch darauf stürzt.
13.06.2007
Der gemeine Literat ist eine Nervensäge.
Man braucht nur die Herbstvorschauen der Buchverlage durchzublättern, um zu sehen, daß er schon wieder unzählige "ernste" Werke über schwierige Vaterbeziehungen oder Emigrantenschicksale auf den Markt wirft. Für derartige Absonderungen gibt´s zwar Subventionen und Feuilletonbeiträge - aber lesen will sie halt niemand.
Was aber tut der gemeine Literat, der dem Hochkulturghetto entkommen will? Genau: Er wendet sich der Trivialliteratur zu, also den Genres, die er und seine Kumpane und -innen einst im Existentialistencafé verächtlich als Dreck abqualifiziert haben. Da versucht sich der studierte Germanist dann plötzlich am "literarischen Kriminalroman", mit einem todlangweiligen Kommissar, der sich lieber mit seinem Innenleben befaßt als mit dem anstehenden Fall. Oder die nebenberuflich schreibende Kunstbeauftragte produziert 400 Seiten "anspruchsvolle Phantastik", bei der sich SF- und Horror-Kennern die Haare aufstellen, weil das alles schon viel besser da war. Das Schlimme ist, daß diese Leute dann noch glauben, dem jeweiligen Unterhaltungsgenre einen Gefallen zu tun, weil sie ja schließlich das Niveau anheben.
Drauf geschissen, wie wir in Fachkreisen sagen.
Als Experte für Schmutz & Schund geht der Doc lieber back to the Roots - und rät das auch allen anderen, die einst Romanheftln gelesen haben (und wer das leugnet, lügt entweder oder ist tatsächlich ein schlechter Mensch). Wie gut, daß der einschlägig bekannte Verlag Bastei-Lübbe sich der Bedürftigen annimmt und in seinen Kult-Ausgaben die Ursprünge der erfolgreichsten Serien neu herausbringt.
Da wäre etwa der Mann, den wir Jeremias Baumwolle nennen: G-Man Jerry Cotton, seit fast 50 Jahren für den FBI tätig, in mehr als 2400 Heft- und 500 Taschenbuchromanen mit einer Gesamtauflage von 850 Millionen Exemplaren. (Da soll noch einer Wallander sagen ...) Seine frühen Abenteuer kann man jetzt in vier gefälligen Taschenbüchern zu je drei Romanen nachlesen.
Dieselbe Behandlung ließ der Verlag dem berühmtesten deutschen Gruselkrimi-Ermittler angedeihen: Jason Dark (alias Helmut Rellergerd) blickt mit seiner treuen Leserschaft auf die Anfänge der beispiellosen Karriere seines Geisterjägers John Sinclair zurück - ebenfalls zwölf Romane lang.
Die Karl-May-Tradition des "War nie dort, bin aber trotzdem im Wilden Westen zu Hause"-Abenteuerromans setzt (auch schon seit Jahrzehnten) der deutsche Autor G. F. Unger fort, der seine Western immerhin schon 250 Millionen Mal an den Mann brachte und jetzt vier mal je zwei Klassiker präsentiert.
Irgendwas machen diese Leute richtig. Das sollte selbst dem gemeinen Literaten einleuchten.
Dr. Trash
Kommentare_
Lieber Doc,
da sprichst Du ein Thema an, dass mir schwer im Herzen brennt. In meiner Münchener Zeit lebte ich umgeben von drei Romanschwemmen auf höchstem Niveau (man bekam sogar alte US-Penthouse für kleines Geld). Da ich ein armer Student war, verdanke ich diesen wundervollen Geschäften meine Bildung in der Populärkultur. Ausserdem konnte man seine uninteressanten Rezensionsexemplare gegen gesuchte Gemmen tauschen. Und in den Buchregalen fand man alte Leihbücher ("Sterben wirst du in Dien Bien Phu") direkt neben Niezzsche oder Nprman Mailer (so wie sich das gehört, wenn man eine niveauvolle Bibliothek bestückt). Auch Westberlin war reichlich gesegnet mit Romanheftbörsen, in denen man problemlos Panther- und Krähenbücher fand (von Deschs Mitternachtsbüchern ganz zu schweigen). Bibliograph Walkhoff-Jordan konnte durch Fleiss und Systematik innerhalb eines Jahres alle deutschen (TB)Krimis von 1945 bis 1984 da rausziehen.
Und jetzt kommt mein Punkt: Nicht länger überlebensfähig existiert nicht eines meiner Münchener Antiquariate mehr! In Berlin sdieht es etwas besser aus, aber doch Tränen rührend. Natürlich kommt man über Internet an alles ran, was man sucht. Wie steril! Der Cyberspace kann mir nicht das wohlige Gefühl vermitteln, eine Heftschwemme (jede hat eine andere Atmosphäre) zu betreten und in dunklen, staubigen Regalreihen auf Expedition zu gehen. Das sind/waren Momente, in denen einem die westliche Kultur nahe und verteidigenswert erscheint.
In Wien sah und sieht es (hoffentlich) diesbezüglich noch niveauvoll auf (nicht umsonst fuhren und fahren wir kultursüchtigen Piefkes gerne zum Plündern in diese einzigartige deutschsprachige Weltstadt). Deshalb der flehentliche Rat: Passt auf, dass euch diese Kultur nicht verloren geht! Kauft auch mal ein nicht so gesuchtes Heft oder Buch beim Dealer Im Viertel. Erkundigt euch, ob die Nachfolge geregelt ist (daran sin din Deutschland auch viele Schwemmen kaputt gegangen), bringt dem Mann oder der Frau, die an heissen Tagen stoisch in ihren Katakomben ausharren und unsere Schätze bewachen, auch mal ein Eis vorbei! Kämpft für dieses Kulturgut, dass bedeutender ist als das Klagenfurter Wettlesen der Hirnleichen!
Das rät
Martin Compart
Lieber Martin Compart!
Wie "meine" Romantauschzentrale, also die Kulturversorgungszentrale meiner Kindheit und Jugend, genau ausgesehen hat, das habe ich vor nicht allzulanger Zeit in einem Vortrag berichtet - der naturgemäß demnächst auf diesen Seiten zu lesen sein wird, damit auch der Rest der zivilisierten Menschheit etwas davon hat. Nur eines noch: Auch in diesem "Heftlgschäft" (wie wir dazu sagten) gab es neben Taschenbüchern, Comics und Romanheften aller Art auch "Herrenmagazine" - später wurden sie verschämt nur noch "Magazine" genannt -, von PLAYBOY über PENTHOUSE bis HUSTLER; anhand derer der junge Mensch dem fremdem Geschlecht begegnen konnte. Sowas ist natürlich wichtig, damit man in späteren Lebensjahren nicht mehr dem Pornovirus verfällt und den Fehler begeht, das alles zu ernst zu nehmen ...
Ach ja, zu den deutschen Sammlern und Wiederverkäufern, die sämtliche österreichischen Romantauschzentralen leergekauft haben: Die haben wir ja beide einmal gemeinsam zu diesem Thema befragt. Ob sie dem heimischen Markt mit ihren Einkäufen geholfen haben, ist mehr als fraglich. Aber heute kennt ja ohnehin schon jeder Flohmarktsammler die einschlägigen Kataloge (und die Preise!) auswendig, also macht das Entdecken keine rechte Freude mehr, so wie im Internet ...
Andererseits: Es gibt immer noch viel zu finden da draußen in der Welt. Man muß nur die geldgierigen Banausen davon fernhalten.
Alles Liebe,
der Doc