Goldfrapp: "Jo"
Enthalten auf der CD "Tales of Us" (Mute Artists Ltd/Goodtogo)
Als Alison Goldfrapp behauptete, ihr neuer Song wäre von Jacques Brel beeinflußt, wunderte sich Manfred Prescher - weil er die Ursprungsquelle nicht in seiner musikalischen Asservatenkammer fand. Aber das stört ihn nicht. 11.11.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Wenn es draußen stürmt und regnet, wenn der Herbst sich dermaßen von seiner tristen Seite zeigt, daß er einem unters Hemd fährt, dann wird es Zeit für ätherische Öle. Die helfen bei jahres- und lebenszeitbedingten Zipperlein und machen Nasennebenhöhlen frei vom frühwinterlichen Grippegratin. Und wenn es in der Schulter zwackt oder der Ischias herumspackt - dann hilft eine deftige Einreibung. Ich war übrigens schon früher der Meinung, daß eine Einreibung mit festem Schnee durchaus mal angebracht sein kann, aber das nur am Rand.
Goldfrapp jedenfalls bescheren uns ätherisches Öl für die Ohren. Es reinigt die Gehörgänge, ist praktischer als ein Wattestäbchen und dabei auch noch echt wohlklingend. Das liegt natürlich an Alison Goldfrapp persönlich. Die auch schon 47jährige Engländerin singt so engelsgleich, daß John Rutter sicher froh wäre, wenn sie seinem ohnehin himmlischen Chor beiträte und ihn veredelte. Aber Frau Goldfrapp will nicht vom Jenseits künden, sondern von dieser Welt und ihrem Beziehungsgeschwurbel. Auf "Tales Of Us", dem Album Nummer sechs, breiten sie und ihr Partner Will Gregory ein manchmal ziemlich unziemliches Panoptikum von Liebe, Lust und Leidenschaft vor uns aus - genau: die Leidenschaft, die manchmal Leiden schafft. Intimität wird dadurch erzeugt, daß die zehn Lieder einen Ich-Erzähler samt seiner Kabale und all der Liebe in den Mittelpunkt stellen. Das Ergebnis sind verhalten instrumentierte Chansons von überirdischer Schönheit. Angeblich von Jacques Brel inspiriert, erinnern sie mich mehr an Françoise Hardy, speziell an ihr 1965er-Großwerk "Ce petit coeur".
Neunmal stellen Goldfrapp Menschen, Partner, Katastrophen vor; wir lernen "Clay", "Simone", "Thea" oder "Laurel" kennen. Der "Stranger", mit dem man nur einmal das Lotterbett teilte, bleibt eine naturgemäß nebulöse Figur, die irgendwann zwangsläufig als Schimäre in Gedächtnis und Lied zurückstehen muß. Wer einmal im Hank-Moody- oder Charlie-Harper-Modus unterwegs war, kennt das: Von manchen Nächten bleibt kaum mehr als ein Hauch, von manchen Menschen auch nicht mehr.
Wen das Album "Tales Of Us" nicht nur in der Rezeption, sondern auch beim Lesen an diese Kolumnen hier erinnert, der ist ein Mensch, der auf hohem Niveau hin und her zu mäandern weiß. Aber genau wie der "Miststück"-Leser nicht sicher sein kann, ob das, was hier Woche für Woche geschrieben steht, real oder erfunden ist, wissen wir das auch bei Goldfrapp nicht. Und das ist gut so. Denn so lange so schöne Zeilen wie "Where the wind sings by the river/Laughing, broken/Hair swept out into the water/Ripples of black/Run, you better/Run for your life" in ätherisch-traumhafte Melodien wie eben in "Jo" gegossen werden, wollen wir doch gar nicht wissen, wer dieser ominöse "Jo" ist, ob es sich um ein Männlein oder Weiblein handelt und was ihm bzw. Goldfrapp mit ihm widerfahren ist.
Nächste Woche wird es hier an dieser Stelle um Willie Nelson gehen. Der Mann ist eben 80 Jahre alt geworden und besingt mit Johnny Cashs Tochter Roseanne etwas, was man auch nicht unbedingt wissen wollen sollte: "Please Don´t Tell Me How The Story Ends" heißt der Song - und das Pärchen betont, daß man nicht drüber reden möchte, ob die Liebe eine heiße Nacht oder ein Leben lang trägt. Bis es soweit ist: Bleibt, wie ihr seid, was anderes bleibt euch eh nicht übrig. Und wenn ihr den Riechkolben in fremder Leute Angelegenheiten stecken wollt, dann nehmt die von Goldfrapp - die klingen einfach wundervoll.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Goldfrapp: "Jo"
Enthalten auf der CD "Tales of Us" (Mute Artists Ltd/Goodtogo)
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