Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 91

Garbage: Tell Me Where It Hurts

Bis vor kurzem verschwendete Manfred Prescher keinen Gedanken an Garbage - zu lange war es her, daß die Band im Alt-Pop-Container verschwand. Doch nun wird sie tatsächlich recycelt ...    30.07.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

1999 setzte ich einiges Vertrauen in James Bond. Wozu hat der Agent im Geheimdienst Ihrer Majestät schließlich die Lizenz zum Töten? Schon beim ersten Hören des Titelstücks zu "Die Welt ist nicht genug" war ich mir sicher, daß Butch Vigs Hauskombo Garbage den Weg alles Irdischen gegangen war - also von 007 dorthin befördert wurde, wohin er in der Regel die Schurken schickt.

Wie alle Bösewichte war auch das Pop-Quartett selbst schuld an seinem Untergang. Sein Titel-Song war so mau und medioker, daß er sich kaum verkaufte, sondern bereits im Verlauf des Bond-Getöses in seine fahlen Bestandteile zerfiel. In der Reihe der musikalischen 007-Anheizer entfachte "The World Is Not Enough" nur ein Stichflämmchen.

Zu meiner Vorstellung vom verdienten Ende der zusehends langweiliger gewordenen Truppe um Schlagzeuger Butch Vig und Sängerin Shirley Manson paßten auch die gleichzeitig kolportierten Trennungsgerüchte. Ich dachte, sie würden einfach sanft entschlummern und uns - immerhin - ein famoses Debütalbum mit Zeilen wie "I want to see a man who let me pee in his belly button" hinterlassen, als ewigen Quell der Freude und als tönende Ikone für den Heiligenschrein im Altarraum des Pop.

Aber Pustekuchen. Die Band lag nur auf der Intensivstation und wurde von der Plattenfirma künstlich ernährt. Sämtliche Hirnfunktionen - und damit auch das Kreativitätszentrum - waren praktisch nicht mehr existent. Während der vergangenen paar Jahre nahmen wahrscheinlich nur die engsten Verwandten wahr, daß es noch Reste von Leben bei Garbage gab. Ich hatte die Gruppe auf jeden Fall längst ad acta gelegt und mich daran gefreut, daß Butch Vig eher als Produzent denn als Schlagzeuger unsterblich wurde: Schließlich saß er unter anderem bei Helmet, Sonic Youth, den ersten beiden Werken der Smashing Pumpkins und bei Nirvanas "Nevermind" hinter den Reglern und sorgte für einen gewissen Bums auf die Lauscher. Zu meinen absoluten Favoriten aus diesem Bereich gehört sein Remix von House Of Pains "Shamrocks And Shenanigans", das den Klammer-Zusatz "Boom Sha Lock Lock Boom" nur in dieser Version mit Berechtigung trägt.

 

2001 erwachten Garbage jedoch aus ihrem künstlichen Koma und gaben der Welt, was die gar nicht verlangte: Das Album "Beautifulgarbage". Der Grund für die dreijährige Pause war freilich nicht das Ableben der Band, sondern die Brustkrebserkrankung von Sängerin Shirley. Im Gegensatz zu ihren Mitstreitern wirkte sie allerdings sehr frisch und fast ein wenig wie eine Mischung aus Cilla Black und Dusty Springfield, alles in allem also sehr retro.

Doch die fade Variante von retro ist nun mal altbacken - und genau das war das Album. Der Erfolg wollte sich nicht recht einstellen, weil sich die Mittelmäßigkeit der Auferstandenen herumsprach, wahrscheinlich sogar bis ins Band-Innere. Bis zum nächsten Album dauerte es demnach wieder vier Jahre. Und das war dann so unterirdisch, daß sich Fans und Kritiker endgültig abwandten. Was 007 nicht gelang, schienen Garbage selbst hinbekommen zu haben.

Was macht nun eine Plattenfirma mit dem Werk einer Band, die mal halbwegs erfolgreich war, aber seit längerem am Tropf hängt und nur alle Jubeljahre mal unmotiviert zuckt? Die Geräte abschalten und die Gruppe endlich in Frieden ruhen lassen. In Ewigkeit Amen! Tote leben schließlich manchmal viel länger und gewinnbringender. Solange sich mit dem verstaubten Archiv mehr Geld verdienen läßt als die Grabpflege auf dem Pop-Friedhof St. Warner kostet, muß das Letzte aus den Leichnamen herausgepreßt werden. Im Fall von Garbage heißt das Ganze dann "Absolute Garbage", was es ja irgendwie auch trifft.

Man hat alles, was sich "auf dem Schuttabladeplatz der Zeit" (Reinhard Mey) finden ließ, zusammengestellt und in unterschiedlich luxuriöse Editionen zusammengepackt. Weil es nichts wirklich Neues von Vig und Co. gibt, erhalten echte Fans zum Beispiel eine CD mit Remixes. Natürlich wurden alle Stücke remastered, weil ja die Produktionsbedingungen in den späten neunziger Jahren sehr archaisch gewesen sind; sowas kann man dem modernen Ohr einfach nicht mehr zumuten. Also weg mit den alten CDs, da war sowieso zuviel Füllwerk drauf, und den Sampler gekauft. Auf "Absolute Garbage" klingt alles so neu und keimfrei frisch, man höre und staune ...

 

Zu so einem Best-of-Konglomerat gehören natürlich auch neue Songs. Damit lockt man die Perfektionisten. Aber diejenigen, die wirklich alles von Garbage brauchen, werden auf eine harte Probe gestellt. Die Schicksalsfrage lautet: "Soll ich wirklich nur wegen eines einzigen Miststücks eine CD oder gar eine Doppel-CD kaufen?" Die klare Antwort ist "nein".

"Tell Me When It Hurts" gibt es nämlich auch auf Maxi-CD. Und wenn man schon unbedingt sein sauer verdientes Geld zum Fenster rauswerfen muß, ist die garantiert die günstigere Alternative. Dabei fängt das Lied recht gut an: Mit mehr als einem Hauch Disco nähert sich Garbage dem Zeitgeist an - also den Scissor Sisters oder Mika. Noch während man denkt, daß Dusty Springfields Stimme prima zu solch einem munteren Reigen passen würde, geht das Licht an, und die Parkettkosmetikerin fegt einen von der Tanzfläche.

Nach dem allzu kurzen Intro mäandert sich die langweilige Melodie dann leider durch einen zähen Fluß aus Pathos, Rockismen und Kaufhausgedudel. So ein Song als letztes Lebenszeichen? Möchte man sich mit diesem Pop-Müll verabschieden? Das kann man nur wollen, wenn es mit den Finanzen hinten und vorne nicht klappt und die Ehefrau mahnt: "Butch, die Kinder sind schon wieder aus den Schuhen gewachsen. Außerdem leckt die Heizung und ich habe mir seit Jahren schon nichts mehr zum Anziehen gekauft. Ich trage nur noch Klamotten, die unsere Nachbarn auf den Müll werfen würden ..."


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

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