Friedrich Liechtenstein: "Belgique, Belgique"
Enthalten auf der CD "Bad Gastein" (HEAVYLISTENING Records)
Manfred Prescher ist gerade unfaßbar träge. Er hat keine Lust aufs Schreiben und hört abwechselnd Franz Joseph Haydns "Lob der Faulheit" und "Waterloo Sunset" von den Kinks. Er würde glatt Paul Lafargues Büchlein "Das Recht auf Faulheit" lesen, wenn ihm die wenigen Seiten des Werks nicht viel zu aufwendig wären. "Hallo, hier Micky" und Friedrich Liechtenstein tun´s doch auch - findet euer Kolumnist. 11.08.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Was soll man nur hören, wenn man mehr oder minder rechtschaffen in den Seilen hängt, darauf wartet, daß es - ganz wie Joseph Reinberger es prophezeite - Abend werde ... und abhängt, um gemeinsam mit der Liebsten dabei zuzuschauen, wie der dicke Adrian Lewis mit offenem Mund, wie Nemos Vater beim unfreiwilligen Ausflug an die Luft, seine Darts schießt. Ja, ihr habt richtig gelesen, die Pfeile mit den extravaganten Flights werden ab sofort und sprachlich korrekt geschossen - dafür verbürgt sich meine sprachlich sehr versierte beste Liebespartnerin von allen persönlich.
Was hab´ ich heute nicht alles versucht! Die neue Spoon-CD. Muß man schön krachend laut hören, das treibt einem aber glatt die Schweißperlen in die matten Ohren - deshalb gibt´s die Jungs erst nächste Woche. Irgendwann muß man doch in die Puschen kommen. Nur so gelangt man schließlich auch wieder aus ihnen raus ... Oder wie wäre es stattdessen mit der neuen vom alten Tom Petty? Die ist tatsächlich sogar für Menschen hörenswert, die nicht mit Dreitagebart durch die Wildnis stapfen, sich vom Weibe fernhalten und zum Rock-Eremiten verkommen. Sehr schön, was der Onkel Tom da macht, aber dazu auch irgendwann später. Oder vielleicht auch gar nie nicht. Denn wie ihr ja hoffentlich mitbekommen habt, nähern wir uns - heute mal sehr bedächtig, aber immerhin - der 300. Kolumne. Und bei der dürft ihr da draußen an den mit GEMA-Raubzoll belegten oder mit Prilblumen beklebten Computeranlagenipaddingern mitmachen. Schaut doch mal ins Gesichtsbuch und sucht nach mir. Wenn ihr mich findet, postet mir einfach euren Liedwunsch, und ich fabulier´ darüber, was das Zeug hält. Ich hab´ echt beschlossen, alle eure Wünsche zu erfüllen; vorher hör´ ich mit der Kolumne nicht auf. Aber jetzt fange ich besser mal damit an - und zwar mit Friedrich Liechtenstein. Zunächst höre ich jedoch noch einmal "Waterloo Sunset" und wünsche mir ... ach, das mit dem Abend schrieb ich ja bereits.
Der Friedrich Liechtenstein ist in Stalinstadt - das heute Eisenhüttenstadt heißt - geboren und war schon vor der Wende nicht "das Volk", sondern ein ausgewiesener Lebemann mit Kunstverstand und schauspielerisch-komödiantischem Talent. Mittlerweile ist er in Berlin angekommen und hat unter anderem mit den "Supergeil"-Spots bzw. dem dazugehörigen, durchs Sortiment führenden Slow-Rap dafür gesorgt, daß Fritten, Dorsch und Klopapier irgendwie "supergeil" wurden. "Bio" ist eh "supergeil", da hat er recht. Bleibt zu hoffen, daß der Einkauf dadurch wieder bewußter erlebt wird und die "Dinge des täglichen Bedarfs" nicht wie bis dato achtlos und gestreßt in den Einkaufswagen geworfen werden. Mir geht dadurch nämlich immer mindestens ein Becher Sahne schmierig auf den Schnürsenkel. Naja, selbst der Reim "Superuschi-Supermuschi-Supersushi" ist irgendwie, nein, nicht "supergeil", aber OK. In den Spots werden zum Beispiel Männer, Frauen und Kollegen ("supergeile Stifte übrigens") mit sonorer Stimme geadelt.
Und dann stellt sich Liechtenstein eines Nachts auf die Terrasse seiner Berliner Dachwohnung und winkt dem recht unbeteiligten Volk in der deutschen Hauptstadt zu. Das sollte ihm eigentlich huldigen, denn er ist ein cooler Hund, aber irgendwie ist es nicht wie beim Empfang des Bundesgauck. Es könnte aber so sein. Dies zeigt zumindest Liechtensteins brandneue CD "Bad Gastein". Der Ort muß irgendwo in Österreich liegen, ich war jedenfalls noch nicht dort. Muß direkt später mal die beste Liebespartnerin von allen fragen, ob sie auf ihrem Lebensweg schon mal dort vorbeigestromert ist. Eigentlich glaub´ ich auch nicht, daß Liechtenstein dort am Fuße des Graukogels schon mal einkehren durfte.
Dank Wikipedia weiß ich jetzt also grob, wo dieses schlumpfhaft winzige, vermutlich dennoch nicht allzu stille Örtchen auf der Landkarte zu finden ist. Und noch was hab´ ich eben erfahren: "Neben den Kuranwendungen bietet das Tal Gelegenheit zu Erholung und Sport während des ganzen Jahres." Aha, denk´ ich mir, das scheint eines dieser verzweigten, etwas zu groß gewachsenen Bauerngehöfte zu sein, die mittlerweile vom Tourismus ganz ordentlich leben können. Vielleicht ist die ganztägige Erholung schon was für den Herr Liechtenstein? Der Sport wohl eher weniger.
Ist auch egal, wo Friedrich Liechtenstein bislang in 56 Lebensjahren war. Auch Max Goldt hat schließlich die von ihm bedichtete Stadt erst Jahre nach seinem Hit "Wissenswertes über Erlangen" besucht. Der Liechtenstein erzählt uns die Geschichten vom Pferd, vom Alfa Romeo, vom Electric Ladyland - einer Butze mit Nancy, Louise und Douey, die sich irgendwie alle in ihn verlieben. Das war in "Belgique, Belgique", und zwar 1958. Damals war der kleine Fritz allerdings in realiter gerade mal zwei Jahre alt und weckte vermutlich mütterliche Gefühle - "a - a - a - wie ist der niedlich!" - bei den Damen in den "Brandenburger Wäldern".
Das Stück dauert kurzweilige 10:21, ist eine dahinschlurfende Hommage an Münchhausen, und Liechtenstein kommt darin insgesamt dreimal in der belgischen Hauptstadt an - nach ´58 auch noch 1970 und 2000. Obwohl der Refrain genau das Gegenteil erklärt: "Belgique, Belgique, Belgique!/ Er kommt nie mehr zurück, Brigitte/Je suis fatigué, Bruxelles/Sous la neige". Ist auch alles wurscht. Während seiner Erzählung stirbt er, wird als "Elevator Man" wiedergeboren und dann in eine Disco geschubst.
Der Schluß ist jedenfalls irgendwie weise: "Das Leben kann sehr kurz sein, wenn man sich auf zu wenig Dinge konzentriert" - oder eben auch nicht. Weil nun mal Streß und Hektik, um es mit dem berühmten Kardiologen Bernard Lown zu formulieren, "nicht gesundheitsförderlich sind". Mit "Bad Gastein" verhält es sich genauso: Die Platte ist irgendwie richtig gut, aber eben auch wieder nicht. Und ich hab´ jetzt jedenfalls, Lown sei Dank, ein Herz für mein Herz, stell´ mich kurz auf den Balkon und winke den Franken zu, die mal wieder nicht besonders zahlreich an meiner Wohnstatt vorbeiziehen. Auch gut, dann setze ich mich eben hin und wünsche euch eine schöne Woche. Bleibt mir gewogen - und vergeßt nicht, daß ihr euch ab sofort und via Gesichtsbuch Lieder für diese Kolumne wünschen dürft. Ab der Ausgabe 291, also schon in zwei Wochen, geht es mit euren Songs los. Nächstes Mal schreibe ich - wie angedeutet - über Spoon und gebe dann den Löffel an meine Leser ab.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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