Elvis Costello - Secret, Profane & Sugarcane
Universal
Alte Briten revisited: Sowohl Elvis als auch die glorreichen Sieben begannen ihre Karriere, als Punk zum ersten Mal tot zu sein schien. Wie sie sich heute im direkten Vergleich anhören, verrät Manfred Prescher. 22.06.2009
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Laßt uns das Rad der Zeit mal wieder ein großes Stück zurückdrehen: 1976 gründeten Andrew Jakerman und Dave Robinson ein Label, das für einige Jahre zur ersten Anlaufstelle für alle werden sollte, denen Punk zu eindimensional war - Stiff Records. Nick Lowe, Dave Stewart, The Pogues, Ian Dury, Yello (sic!), The Damned, Lene "Lucky Number" Lovich oder auch Wreckless Eric gehörten zu den musikalischen Aushängeschildern der Firma, die getreu dem Motto "If it ain´t stiff it ain´t worth a fuck" feine Stilperlen auf die Menschheit losließ. An besonders exponierter Stelle standen zum einen ein begnadeter Songwriter mit seiner Band und zum anderen ein siebenköpfiges Kombinat, das aus Ska-Wurzeln heraus The Fine British Art Of Pop neu definierte: Elvis Costello & The Attractions und Madness.
Während Wreckless Eric heute nur noch Insidern ein Begriff ist und der begnadete Ian Dury seit mehr als neun Jahren nicht mehr unter uns weilt, sind sowohl Elvis als auch Madness immer noch - wenn auch unterschiedlich schwer - aktiv. Costello hat in der vergangenen Dekade ein knappes Dutzend CDs veröffentlicht, die Jungs um Suggs genau drei, wenn man die eher mauen, nicht unter dem Markennamen herausgebrachten "Dangerman Sessions" (vgl. Madness vs. Setzer-EVOLVER-Story) mitzählt.
Declan Patrick Aloysius MacManus, wie Costello ursprünglich mal hieß, besuchte im Laufe seiner Karriere verschiedenste musikalische Orte, was natürlich auch eine gewisse Beliebigkeit in sich birgt. Jazz, Symphonie, Country oder Chanson - der Mann ist ein echter Eklektiker vor dem Herrn, der den Pop einst erfunden hat. Das verdeutlicht schon ein Blick auf die vorangegangenen beiden Alben: Das 08er-Werk "Momofoku" kam rüde, fast schon im Stil der frühen Attractions daher, während die neue CD "Secret, Profane & Sugarcane" eher nach "Almost Blue" oder "King Of America" klingt. Falls Sie nicht wissen, was ich meine, sei folgendes zur Klarstellung geeignet: Costello gibt sich aktuell eher ruhig und zurückhaltend, wie eben schon 1981 oder ´86, nur daß das jetzt eher rückbesinnlich altersmilde wirkt.
Nehmen wir nur mal "I Felt The Chill Before Winter Came": In der Ruhe liegt hier nicht unbedingt Kraft, sondern eher ein wohlig-warmes Abdriften in längst vergangene Zeiten. Das muß nicht schlecht sein, vor allem nicht, wenn man sich im Schaukelstuhl behaglich einschwingt auf das Blättern in den imaginären Photoalben, die man so hinter dem inneren Augenpaar angesammelt hat. Meistens aber drängt sich die Frührentner-Bedächtigkeit nicht auf. Sprich: So lange sich die persönliche Welt noch in angemessen flottem Tempo um die eigene Birne dreht, kommt kaum jemand von sich aus auf die Idee, Costellos neues Album - und damit diesen gewohnt perfekt produzierten Song - in den Player zu legen.
Mit Madness verhält es sich anders. Natürlich ist "Forever Young" eine klingende Durchhalteparole, die seltsam bekannt vorkommt, und ebenso natürlich ist das drumherum gebaute und geschichtsträchtig benannte Album "The Liberty Of Norton Folgate" keine innovative Meisterleistung. Im Gegensatz zu Costello versuchen Madness auch nicht, als Künstler von Weltrang rüberzukommen. Sie sind einfach eine etwas groß geratene, very britishe Band, die sich auf Ohrwürmer spezialisiert hat.
Was das angeht, haben die glorreichen Sieben aus dem Norden Londons wieder ganze Arbeit geleistet. Vom Nutty Sound der Frühphase ist logischerweise nichts mehr übrig, denn den haben sie spätestens Anfang der 80er Jahre mit "Driving In My Car", "Our House", "Tomorrow´s (Just Another Day)" oder dem völlig unterschätzten "Michael Caine" abgelegt - was damals stimmig war, weil sie immer schon über den Two-Tone-Tellerrand des Ska hinausblickten. Also ist "Forever Young" ein Hit, der sich mit unbarmherzigem Charme ins Herz frißt und ältere Herrschaften darauf hoffen läßt, daß es zu vorgerückter Stunde noch Sex, Drugs und Rock´n´Roll gibt.
Und was sich mit ihrem ebenfalls auf dem neuen Album vertretenen Beitrag zum zweiten "Wixxer"-Film schon andeutete, zeigt sich auch bei diesem Hit und dem Rest des sommerfrischen Schunkelwerks: Madness sind in Würde verrückt genug geblieben, wissen, was sie können, und überlassen den ganzen kruden Rest dem ehemaligen Stiff-Kollegen Elvis Costello. Die Wertungen in den Bereichen "Charme", "Killergroove", "Entspanntheit", "Melodien für Millionen", "Geschmack", "Authentizität" und "Pop Appeal" gehen deshalb an die Herren von Madness. Costello punktet in den Kategorien "Neil Young mit Stil", "Schaukelstuhl" und "Anspruch", was nicht genug sein kann für einen Mann, dem wir Alben wie "Get Happy!!!", "Imperial Bedroom", "Armed Forces"", "Blood & Chocolate", "Punch The Clock" oder das späte "The Delivery Man" verdanken. Etwas weniger Schielen nach einem Platz in der Ruhmeshalle der Dichter, Denker und Komponisten, dafür etwas mehr Hier und Jetzt würden ihm gut tun. Manche Tote sind derzeit noch lebendiger ...
Um einen solchen wird es nächste Woche an dieser Stelle gehen, wenn ich Steve Earles Hommage an seinen Lieblingshelden Townes Van Zandt beleuchte.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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