Elton John: "Home Again"
Enthalten auf der CD "The Diving Board" (Mercury/Universal)
Wenn sich zwei seit Ewigkeiten kennen und schätzen, dann wissen sie auch, was sie aneinander haben. Und oft, etwa bei Elton John und Bernie Taupin, ist die Qualität in der Summe deutlich höher als bei den "Solowerken" - findet Manfred Prescher. 14.10.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Eigentlich wollte und sollte ich an dieser Stelle über die neue Platte von Paul McCartney schreiben. Dafür laß ich mir aber noch ein paar Takte und Tage Zeit, "New" ist schließlich auch ein gut abgehangenes, zeitloses Werk, das sich im zweitbesten Beatles-Glanz sonnt. Und da bin ich schon beim Thema: Paul McCartney und John Lennon waren zweifelsohne ein sehr gutes Team. Man sagt ihnen nach, daß sie durch eine einzigartige chemische Verbindung zu besonderen Leistungen befähigt waren. Auch wenn dabei viel Mythos und Verklärung im Spiel sind, ganz falsch ist das nicht. Allerdings dauerte der gemeinsame Höhenflug nur wenige Jährchen, danach lösten die beiden Liverpooler ihre künstlerische Verschmelzung und konzentrierten sich auf das jeweils eigene, singuläre Großtalent. Auf den Platten stand zwar immer noch "Lennon/McCartney", was für Yoko Ono und Paul McCartney im nachhinein ein Glücksfall ist. So bekommt zum Beispiel die Witwe von Lennon auch Tantiemen für das allein von Paul verantwortete "Yesterday", das ursprünglich übrigens den Arbeitstitel "Scrambled Eggs" bzw. "Rühreier" trug.
Mit Autoren-Teams ist es wie mit sehr guten Freunden. Manche begleiten einen nur eine mehr oder minder kurze Lebensphase lang. In meiner Jugendzeit waren beispielsweise Frank und ich unzertrennlich. Wir heckten Streiche aus, trugen den Fiat 500 der Geschichtslehrerin, mit der ich damals eine Liaison hatte, in den ersten Stock und schockierten im Fasching unseren Nazi-Rektor, indem wir im originalen Führer-Outfit zur Schule kamen - Oberlippenbärtchen und rechter Seitenscheitel inklusive. Kreativ waren wir auch, gemeinsam brachten wir einmal pro Woche eine sich eher auf Jux und Tollerei fokussierende Schülerzeitung heraus. Nach der Pennälerzeit verloren wir uns aus den Augen. Aber da kannte ich schon Gernot - und mit dem bin ich bis jetzt in guten wie in schlechten Kreativ-Tagen verbunden.
Seit wir damals gemeinsam auf dem nächtlich-dunklen Flughafen einer marokkanischen Stadt standen, sind wir ein Dreamteam. Damals sagte Gernot zu mir: "Manfred, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft" - und er behielt recht. Leider hat mir meine Erinnerung gerade einen Streich gespielt und mir ein Filmzitat samt nebliger Schwarzweißbilder und einem Porträt der wunderschönen Ingrid Bergman in den ersten Stock meines Gedächtnisgebäudes getragen. Das liegt sicher daran, daß ich gar nicht mehr genau sagen kann, wie Gernot und ich tatsächlich mehr als ziemlich beste Freunde wurden, ist halt alles schon so lange her.
Auch Elton John und Bernie Taupin erinnern sich nicht mehr, wie ihre Partnerschaft begann. So ein richtiges Wunder ist das nicht, die beiden Briten kennen einander ja noch deutlich länger als Gernot und ich. Allerdings müßten die Herren langsam in das Alter kommen, wo man sich an jede Kleinigkeit von annodunnemals erinnert, aber vergißt, den Hosenstall zu schließen. Was freilich nicht schlimm ist, weil das Vögerl gar nicht mehr in der Lage ist, wegzufliegen. Bernie Taupin ist schließlich 63 und Elton John sogar schon 66 Jahre alt. Ich weiß natürlich, wie die zwei zusammenkamen - und verrate es euch und den beiden gar nicht so alten Zauseln: Reginald Kenneth Dwight, wie Elton John bürgerlich heißt, lernte den Texter Taupin im Rahmen einer Ausschreibung für das Plattenlabel Liberty kennen. Die suchten nach einem fähigen Komponisten. Der Musikverleger Dick James bemerkte, wie gut die beiden jungen Kerle harmonierten, und forcierte fortan diese Verbindung. Das war 1967 - und ab 1969 schuf das privat nicht immer so harmonische Paar mehr magische Momente als Lennon/McCartney. Denkt nur mal an die Alben "Tumbleweed Connection", "Madman Across The Water", "Don´t Shoot The Piano Player" oder "Goodbye Yellow Brick Road". Oder an Lieder wie "Daniel", "Your Song", "Rocket Man", "Saturday Night´s Alright For Fighting" oder von mir aus auch an das ursprünglich Marilyn Monroe zugedachte "Candle In The Wind" ...
Oder an "Home Again", vom neuen, wirklich rundum gelungenen Werk "The Diving Board": Hier entfaltet Elton John sein ganzes Können - er schreibt eine sehr eingängige, aber nicht beliebige, beinahe klassische Melodie zum Text seines Kumpels. Der Pianobogen zu Beginn fließt locker und entspannt zu den Worten, die Taupin dazu erdacht hat: "Could have been a jailbreak and the spotlight hitting me/Or was I just some nightclub singer, back in 1963/In the old part of Valencia, on the coast of spain/Never tiring once of hearing songs about going home again". Es scheint fast so, als könne sich Elton John nur dann entfalten, wenn Taupin dichtet. Denn nur in dieser Verbindung wird aus dem Weichspüler am Klavier ein entschlossener Sänger, der eine ziemliche Bandbreite an Gefühlen ausdrücken kann.
Und nur in der Kollaboration mit Bernie und dessen oft leicht verschwurbelten Worten verlieren die Kompositionen von Elton ihre Beliebigkeit. Daß "Home Again" von T-Bone Burnett (Steve Earle, Elvis Costello, Robert Plant & Alison Krauss ...) auch noch sehr knackig produziert wurde, sorgt für einen von jedem Ballast befreiten Genuß. Ja, "Home Again" ist ein weiterer magischer Moment, einer, wie ihn Gernot und ich in den 35 Jahren unserer Freundschaft auch ab und an mal erlebten und hoffentlich auch noch oft erleben werden. In diesem Sinne: Pflegt eure Freundschaften, denn zwei Leute schaffen zusammen oft mehr als zwei Einzelkämpfer. Nächste Woche werde ich euch aber einen Mann vorstellen, der als Individuum auch beachtliche Lieder schreibt. Ich rede von Casper, der tatsächlich Rock- und HipHop-Fans gleichermaßen begeistert. Womit? Mit Recht, finde ich.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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