Kolumnen_Der Misanthrop: Vornamen-Eltern

Vornamen- Eltern

Als Kind schaut man nicht ungern zu jemandem auf. Für Sprößlinge der Hippie-Generation ist dieser jemand allerdings oft eine Frau, die man nicht mit "Mama" ansprechen darf.    21.11.2003

Der Misanthrop liebt die amerikanische Fernsehserie "Unsere kleine Farm", in der die Jugendlichen und Kinder ihren Vater noch mit "Sir" anreden. Nett sind auch die Umgangsformen in der "Bill Cosby Show", wenn beispielsweise Sohn Theo ein flehendes "Mum!" krächzt. Sowas hat man halt gerne - ebenso wie die altmodischen Chefredakteure gewisser Online-Magazine, die ihre Eltern bevorzugt mit "liebe Frau Mama" oder "gütiger Herr Vater" bezeichnen. Würde man jedoch eine Serie über antiautoritäre Familien des deutschen Sprachraums produzieren, dann müßte - bei einem einigermaßen hohen Realitätsgrad - die Benennung der Eltern mit deren Vornamen erfolgen. Und das ist, man kann es nicht anders ausdrücken, einfach widerlich.

Wer kennt nicht die folgende Situation: Da sitzt man nichtsahnend im Warteraum des Allgemeinmediziners oder eines Zahnarztes und versucht sich in der hohen Kunst der unangestrengten, entspannten Lektüre. Und genau in dem glücklichen Augenblick, wenn man in einer der besseren Illustrierten eine halbwegs erträgliche Passage gefunden hat, muß der Bengel, der einen schon von dem Moment an genervt hat, in dem man diese Schreckenskammer betreten mußte, anfangen, mit dem Wasserspender oder wahlweise dessen Plastikbechern herumzuspielen. "Oliver, laß das bitte sein", folgt dann meist die zaghafte Mahnung des/Erziehungsberechtigten - aber in einer Lautstärke, die störender ist als das Gespiele des Kindes. Und als wollten diese Eltern-Kind-Paare auf der Stelle eine naive Beweisführung für sämtliche menschenfeindlichen Vorurteile antreten, offenbart das jeweilige Gör dann in schöner Regelmäßigkeit die erzieherischen Umstände der "progressiven" Familie: "Aber Renate, ich bin doch vorsichtig."

Wen, bitte schön, interessieren die Vornamen zweier Subjekte, die nicht in der Lage sind, sich für die Dauer einer Viertelstunde unauffällig zu benehmen? Und was soll diese elende Gleichmacherei? Kinder an die Macht oder was? Ach ja, sie sind einfach grausig, diese Eltern, die sich nicht anständig mit "Mama" oder "Papa" oder "Mutter", "Mutti", "Vati", "Vadda", "Paputsch" und den sonst geeigneten Sozialfloskeln rufen lassen, sondern ihr Kind nötigen, es mit Vornamen anzureden, damit sich das liebe Kleine "auch erwachsen und gleichberechtigt fühlen" kann. (Als ob Kinder das wollten - die suchen sich dann wahrscheinlich auf der Straße andere scheinbare Respektspersonen, zu denen sie "Papa" sagen dürfen...) Was das Ertragen dieser Unsitte erschwert, sind die zum ersten Eindruck bestens passenden Vornamen, die auf den Nachwuchs unverbesserlicher Alt-68ern schließen lassen: Holger und Renate, Volker und Jochen, und ganz schlimm: Monika und Nicolas.

Das pädagogische Resultat derart fehlgeleiteter Onomastik durfte der Autor dieser Zeilen kürzlich bei einer Busfahrt miterleben: Ein an beiden Ohren gepiercter Kahlkopf saß auf der ersten Bank des öffentlichen Verkehrsmittels und wurde von einem kleinen Neunmalklug in Begleitung seiner Mutter von der Bank schräg dahinter in Lesungslautstärke charakterisiert. "Tina? Der Vati (!) hat gesagt, daß Leute mit solchen Ringen immer schwul sind. Was heißt denn das jetzt?"

Um ein mögliches Mißverständnis auszuräumen: Selbst der Misanthrop macht den ahnungslosen Kindern, die ihre Eltern beim Vornamen rufen müssen, keinen Vorwurf. Er verachtet nur jene Charakterlosen, die ihrem Nachwuchs noch nicht einmal die rhetorische Grundausstattung der korrekten, respektvollen Anrede zukommen lassen.

Gerade läuft im Hintergrund übrigens wieder eine Folge der "Kleinen Farm". "Du darfst Dich von der Gewalt dieses Jungen nicht provozieren lassen", heißt es da. "Hast du das verstanden?" "Ja, Sir!"

Herrlich.

 

Benny Denes

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