Kolumnen_Der Misanthrop: Teetrinker

Teetrinker

Es gibt Charaktere, die Kaffeesüchtigen ausgerechnet "einen richtig guten grünen Tee" anbieten. Als ob das irgendwem helfen würde...    19.05.2003

Im Winter sind sie umständehalber ganz besonders präsent: die Freundin, der Saxophonlehrer, die attraktive Schwester des Büronachbarn, sogar der Zeitungshändler - lauter Angehörige dieser stets so seltsam ausgeglichenen Teetrinkerfraktion. Wenn des Misanthropen Kopf vernebelt und schwer ist und er sich nach einem alle Lebensgeister weckenden Kaffee sehnt, dann bieten sie ihm "einen richtig guten grünen Tee" an. Als ob das irgendjemandem helfen würde.

Was in der kalten Jahreszeit, bedingt durch Zwänge der grausamen Biologie, noch angehen mag, wird in Frühjahr, Sommer und Herbst zur unerträglichen Zivilisationsbelästigung. Da besucht man beispielsweise eines Nachmittags Bekannte, deren Küche mit geschmäcklerischen Plakaten des französischen Art déco vollgepflastert ist, auf denen für südamerikanische Kaffeebohnen und das aus ihnen bereitete, wohlschmeckende und duftende Heißgetränk geworben wird. Via Autosuggestion und bedingt durch medizinisch belegbare Zustände wie die Verdauungshemmung nach einem viel zu schnell konsumierten Mittagessen erzeugen die Rezeptoren an Nase und Gaumen ein Vorspiel der Kaffeeerwartung, das an die programmierten Reaktionen des Pawlowschen Hundes (der uns allen ein Vorbild sein sollte) erinnert. Doch was muß man sich dann anhören? "Du, wir haben schön Tee gemacht. Du kannst entweder einen milden Rooibusch oder einen satten Earl Grey haben." Und gleich will sich die Peristaltik umkehren und die letzte Mahlzeit auf den biologisch einwandfreien Webteppich befördern.

Dabei ist Tee beinahe genauso ungesund wie Kaffee, greift die Schneidezähne an und hilft kein bißchen bei der Streßbewältigung. Teetrinker sind durchwegs schlechte Menschen, die den Kaffeegenießern andauernd zeigen wollen, wie entspannt und geschmackskultiviert sie doch sind. Die entsprechende Industrie hinter dieser Unsitte hat sich auch schon herausgebildet. Sogar im bedeutungslosesten Kaff werden für die zarten Herzchen "kleine Teeläden" eröffnet, "wo ich neulich ein unheimlich nettes Geschenk für die Regina geholt habe, gell? Du, das ist so ein Kandisstangenhalter mit Kerzenaufsatz!" "Echt? Is ja schön!" "Hmmm hmmm!" Der Misanthrop bereitet im Geiste Zwangsklistiere mit Kaffeesud und intravenöse Koffeinspritzen vor, um die selbstzufriedene Saubande von ihrer Alternativwolke zu holen.

Darum merke: Tee trinkt man im Falle einer Erkältung oder schwerer Gastritis, gern auch, wenn man Chinese oder Engländer ist. Und hierzulande ist bestenfalls ein herzhafter Gallentee erlaubt, damit man seine schlechte Laune nicht ganz verliert. Vom Kontakt mit Ganzjahresteetrinkern sei jedoch abgeraten. Sonst könnte man sich plötzlich dabei ertappen, Sitarmusik zu hören, über Bewußtseinsratgeber zu diskutieren, weite Pullover anzuziehen und das Wörtchen "schön" in Dauereinsatz zu bringen. Und das ist gar nicht schön.

Benny Denes

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