Kolumnen_Der Misanthrop: Outdoor-Simulanten
Outdoor Simulanten
Ein gehässiger Blick auf alle Mitbürger, die es für angebracht halten, in mittel- und westeuropäischen Städten stets in Outdoor-Kleidung herumzulaufen. 02.06.2003
Studenten kennen sie, Versicherungskaufleute im Innendienst fürchten sie, und selbst zurückgezogen lebende Autoren haben solche Kreaturen im offenbar noch nicht ausreichend reduzierten Bekanntenkreis. Es geht um jene Mitbürgerinnen (meist gleichgeschlechtlich orientiert) und Mitbürger (meist Brillenträger und Dauer-Singles), die es für angebracht halten, stets und ständig in mittel- und westeuropäischen Urbanisationen in Outdoor-Kleidung herumzulaufen.
Das lesbische Pärchen, das in meiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnt, zieht beispielsweise gern Fleece-Oberteile mit Thermosflaschenhaltegurt an, trägt dazu weite, geschmacklose Cargo-Pants mit affig aussehenden Schlaufen an der Taille und vollendet die Häßlichkeit durch grün geschnürte Wanderschuhe. Jack Wolfskin, Schöffel, Lowa, Columbia und Timberland sind die liebsten Ausstatter solcher Outdoor-Simulanten, die in ihrem Leben vermutlich niemals auch nur Europa verlassen haben. Was in ländlichen Regionen Österreichs, der Schweiz und Bayerns noch partiell einzusehen ist und als moderne Folklore bezeichnet werden kann, wirkt in Großstädten extrem störend.
Erschwerend kommt hinzu, daß die Möchtegern-Nehbergs nur allzugern die auf rauhe Wildnis designten Kleidungsstücke für ihre kleinkarierten Bedürfnisse umfunktionieren, indem sie ihre Mobiltelefone (selbstverständlich die robusten Outdoor-Varianten) in Bärenmesserschlaufen stecken und statt eines Kompasses die Stechkarte für ihre Fließband-Jobs am Rucksack baumeln haben. Reinhold Messner zieht sich doch auch einen Anzug an, wenn er vor dem Europäischen Parlament spricht - warum nimmt sich daran keiner ein Beispiel!? Doch für die in dieser Kolumne besprochene Spezies zählt die segensreiche urbane Erscheinungsmonotonie nicht. Sie sehnen sich nach Weite, Unabhängigkeit, Damenbart und gegrilltem Fisch. Sie sind anders als die anderen.
Der Misanthrop besitzt nur ein einziges "Outdoor"-Kleidungsstück - und das auch nur, weil es ihm versehentlich geschenkt wurde. Es handelt sich um eine atmungsaktive Jacke, die eher "schweißaktivierend" genannt werden sollte, hellblau-orange mit sieben Außen- und drei Innentaschen. Er setzt sie ein, wenn er jenes unwegsame Gelände bei den Mülltonnen begehen muß, um Knochen und verdorbenes Obst zu vergraben. Und dann zieht er sich sofort wieder was Vernünftiges an...
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