Kolumnen_Der Misanthrop: Nordisch Kühle

Nordisch Kühle

Wer liebt sie nicht? Frauen wie Eisklötze, coole Typen mit stahlblauen Augen. Sie lassen sich nie in Streit verwickeln und sind personifizierte Geheimnisse.    12.01.2004

Es mag am eher südländischen Aussehen des Misanthropen liegen, daß er sich in dieser Folge voll innerer Ungemach den blonden, blauäugigen, smarten Emotionslosen widmet. Viel wahrscheinlicher aber ist es, daß besagte Menschheitssparte diesmal drankommt, weil ihre Vertreter sich in überraschend vielen Gesellschaftsschichten finden. Ihre wesentliche Lebensstrategie ist, unter keinen Umständen irgendeine Reaktion zu zeigen - dazu ist man zu kühl und vielleicht sogar zu cool. Und sowas kann beim Autor dieser Zeilen nur Abscheu hervorrufen.

Eine junge Dame etwa, die dem Misanthropen seit einigen Jahren bekannt ist, heißt Diana. Sie ist immer passend angezogen, klarerweise, denn sie allein bestimmt, was paßt. Die südländisch Temperamentvollen im Freundeskreis himmeln die Person ob ihrer Husky-Augen an. Sie erleben trockene Orgasmen, wenn Mylady ihnen nach drei Stunden hochbemühter Witzigkeit ein knappes Lächeln schenkt, und wirken im allgemeinen so, als würden sie am liebsten den wohldosierten Rotz ihrer letzten Grippe austrinken.

Nein, das geht zu weit. Die Fans von Diana würden ja sowieso nie vermuten, daß ihr Idol etwas derart Gewöhnliches wie Rotz produziert. Toilettenbesuche hat sie schließlich auch nicht nötig. Nein, sie ist ein Idealwesen, wie einem Gemälde aus dem Louvre entsprungen. Wenn man mit ihr über besonders katastrophale Typen und Zeiterscheinungen lästern will, blickt sie nur desinteressiert zu Boden. Wenn man hart kritisiert wurde und Aufmunterung erwartet, zeigt Diana Verständnis für die Argumentation der Kritiker - und zwar viel zu viel. Und sie erzählt fast nie von sich selbst, aber keineswegs aus Mangel an Geltungsbedürfnis. Sie braucht einfach keinen Rat, außer vielleicht den von anderen nordisch Kühlen.

Ramon ist Dianas bester Ratgeber. Wäre er nicht stockschwul, dann wären sie ein Paar. Das Absurde an ihm ist nicht nur sein spanischer Name, und das bei einer zusammengeschusterten Visage, die man sogar in Schweden als bieder bezeichnen würde. Wenn ihm ein Gespräch zu persönlich wird, läßt er seine Lippen ganz schmal und blutleer werden, um daraufhin schleunigst das Thema zu wechseln. Ramon lacht dreimal im Jahr, und zwar dann, wenn Diana einen Witz macht. Daß er dabei nicht so hysterisch wirkt wie ihre armen ahnungslosen Fans, macht ihn jedoch nicht unbedingt sympathischer.

Ramon und Diana, dieses infernalisch kühle Duo, haben Angst vor dem Misanthropen. Er straft sie nämlich mit ausgeklügelter Nichtachtung, wird jedes Mal, wenn sie "Diskussionen auf ein sachliches Niveau zurückführen" wollen, noch aggressiver, verbietet ihnen zuweilen schnurstracks das Maul und verunsichert sie mit zwielichtigen Andeutungen. "Dir geht das scheinbar sehr nahe?" oder "Weshalb beteiligst du dich nicht am Gespräch?" sind wahre Wunderwaffen gegen das auf den ersten Blick so sichere Auftreten dieser Spezies.

Misanthropen hassen Beherrschtheit. Diese Eigenschaft ist einzig und allein ihr Privileg; die aalglatten Coolen darf sie nicht auszeichnen. Nordisch Kühle sind also - wenn Sie noch schnell der Zusammenfassung folgen wollen - kaugummikauende Selbstinszenierer in schicken Markenklamotten, die sich für unglaublich clever halten, nur weil sie ein paar Unverständige um sich geschart haben.

Wer aber nun einwendet, daß der Vater aller Misanthropen, Artur Schopenhauer, selbst nordisch kühl war, der soll einmal versuchen, ganz gelassen über der Aussage zu stehen, daß er/sie ein klugscheißerisches Riesenarschloch ist. (Verzeihung, liebe Südländische!)

Benny Denes

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