Kolumnen_Der Misanthrop: LAUTsprecher
LAUT sprecher
"Ey, Brüller! Ein Hammer! Das Beste! Ein Ham-mer-brül-ler!". Fühlen Sie sich bei lautstark vorgetragenem Schwachsinn auch ins Neandertal versetzt? 24.03.2003
Harald Schmidt hat es unlängst in seiner Sendung (endlich!) ausgesprochen: "Warum müssen Proleten eigentlich immer so laut sein?" Antwort: Die sind halt so. Was soll man tun?
Gut, damit wäre das geklärt, und wir können die angesprochene Bevölkerungsgruppe links oder sonstwo liegen lassen. Wenden wir uns lieber den Leuten im eigenen Bekanntenkreis - des Autors wie des Lesers - zu. Über die kann man sich nämlich auch genug ärgern. Und das weniger wegen der Lautstärke ihres Gequatsches, sondern wegen der derart transportierten Inhalte.
Schon vor Jahren hat eine britische Studie ergeben, daß Mobiltelefonierer in öffentlichen Verkehrsmitteln mehr für die unbekannten Fahrgäste um sie herum sprechen als mit dem Gesprächspartner. Diese Feststellung hat bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren und gilt auch für technikfreie Räume. Nehmen Sie nur einmal an, Sie gehen mit drei Freunden - nennen wir sie Uschi, Urs und Undine - ins Restaurant. Jegliche Verwunderung über die idiotischen Vornamen dieser Leute sei gleich einmal vom Bildschirm gefegt; die haben sich nun einmal kennengelernt, weil sie so heißen. Uschi und Urs sind ein Paar und überbieten einander im partnerschaftlichen Dialog an Lautstärke. Es ist schlimm genug, daß die Besatzung an acht von zehn anderen Tischen wegen der permanenten Lärmbelästigung pikiert hinüberschaut. Doch die eigentliche Pein für Undine, die sich in Begleitung des Misanthropen befindet, ist das, was hier so lautstark vorgetragen wird, als wäre man zu Hause bei Neandertals.
"Ey, Brüller! Ein Hammer! Das Beste! Ein Ham-mer-brül-ler! Die beste amerikanische Komödie seit, ach was weiß ich!" (Urs)
"Auf Je-den-Fall! Ham-mer-mäßig! Und Clooney [gesprochen: Kluhnie]! Un-glaub-lich." (Uschi)
"Weißt du noch, wie wie er dem Typen..." (nochmals Uschi, diesmal zu Urs)
"Das mit der Tür?" (Urs)
"Jajajaja. Ham-mer-gut!" (Uschi)
Da versucht man als Großstädter möglichst kalt und unauffällig zu wirken, eventuell mit einer leicht intellektuellen, aber stets irgendwie auch kulturpessimistischen Note, redet sonor und reduziert, deutet Gesten eher an, als sie am Mobiliar zu exerzieren - und dann wird man zum Statisten zweier LAUTsprecher degradiert, die irgendeinen Film gesehen haben und sich darüber nicht beruhigen können. Undines Strategie in dieser Situation ist recht clever: sie stellt zum Schein beliebige Fragen zu dem jeweils nacherzählten Stück verfilmter Belanglosigkeit. Dabei spricht sie sehr leise und versucht damit den Lautstärkepegel zu senken, was meist auch über den Zeitraum von drei Sätzen gelingt. Erschwerend kommt bei den meisten LAUTsprechern noch hinzu, daß sie eine Lache haben, die wahlweise Seehundjaulen oder Möwenkreischen ähnelt. Aber wenigstens ist dieses heitere Gebrüll informationsfrei...
Der Misanthrop träumt von Restaurants mit LAUTmeldern, aus denen die eigenen Bekannten dann von einer still operierenden Security entfernt werden. Er reist zudem ausschließlich in Ruhewagen der Bahn und nimmt sich jedes Mal vor, zu Treffen mit den drei Us Ohrstöpsel mitzunehmen. Aber wer hört schon auf ihn? Nicht einmal er selbst.
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