Kolumnen_Der Misanthrop: "Ja, aber..."

"Ja, aber..."

Diesmal geht es um eine schreckliche Begleiterscheinung des Teamworks - die Arbeitsgruppendemokratie mit ihrer sogenannten Gesprächskultur.    02.12.2002

Arbeitslandschaft und soziale Sphären bauen heutzutage auf einem Prinzip auf, mit dem Misanthropen inkompatibel sind: Teamwork. Diese scheußliche Form der Zwangsarbeit mit Inkompetenten und Nervensägen wird garantiert Gegenstand einer späteren Folge des "Misanthropen" sein; hier und heute geht es jedoch um eine der schrecklichen Begleiterscheinungen des Teamworks, nämlich die Arbeitsgruppendemokratie mit ihrer sogenannten Gesprächskultur.

Bei dem Glück, das man als Menschenfeind gemeinhin leider hat, befindet sich genau in der eigenen Arbeitsgruppe stets einer dieser permanent Ja-abernden Menschen - meist sind es Männer. Ob an der Universität, im Geburts-Vorbereitungskurs (an sich schon eine erbärmliche Zeiterscheinung), in der Task-Force der eigenen Firma oder nur bei der Mieterversammlung des Mietshauses, in dem man sein Dasein zu fristen gezwungen ist: Immer und überall erhebt einer dieser verkappten Theologen und verhinderten Streetworker sein langhaariges Haupt, erfüllt von entsetzlich zeitraubendem Gerechtigkeitssinn und bedrückender Entscheidungsunfähigkeit.

Man besucht die jeweilige Versammlung mit dem festen Vorsatz, nicht länger als 90 Minuten dort auszuharren, doch in der Regel erkennt man bald die Aussichtslosigkeit dieses Plans, hat doch der Ja-abernde doch schon am Beginn des Treffens stolz die aktuelle Preisliste des naheliegenden Pizzabringdiensts präsentiert und dazu "Heute wird's bestimmt ein Weilchen dauern" angekündigt. Lächelnd konfrontieren Leute dieses Schlages alle anderen mit der Tatsache, daß derartige Anlässe für sie wahre Festtage sind. Sie haben ja sonst nix im Leben...

Wenn beispielsweise in einer Referategruppe an der Uni darüber diskutiert wird, welche der 32 möglichen Ansätze eines Themas aus Zeitgründen nicht vorgestellt werden und es anfangs erst einmal nur um die Distanzierung der ganz uninteressanten geht, pocht das Herz der Ja-abernden gewaltig. "Das ist alles richtig, was du angeführt hast, ich finde Bourdieu auch sehr interessant, ja - aber dürfen wir deswegen Klinger ausnehmen? Ich denke, daß da noch Diskussionsbedarf besteht." Richtig ekelhaft, diese permanente Dialektik. Solche Menschen sagen sich vor dem Stuhlgang wohl auch: "Ich muß dringend aufs Klo, ja - aber darf ich das auch dem Papier zumuten?"

Wenn es auf schnelle Entscheidungen ankommt, sind die Ja-abernden ein (oft auch finanziell belastender) Hemmschuh. Heuchlerisch geben sie vor, politisch ausgewogen zu argumentieren, haben den höchsten Redeanteil mit dem geringsten inhaltlichen Fortschritt und verzögern - was den Unmut noch verstärkt - noch dazu die ohnehin nur wegen ihnen notwendige Pizzabestellung, weil sie zuerst ihre widerlichen, kleinen inneren Konflikte abklären müssen.

Misanthropen lieben klare, diktatorische Verhältnisse. Sie wünschen alle Ja-abernden in Zwangs-Selbsthilfegruppen, bei denen sie für jedes "Ja", "Ja, gut", "Ja, aber" und "Gut, aber" einen Euro in Sammelbüchsen werfen müßten. Von den Einnahmen könnten spielerisch die Verluste, die aus der nichtausgewogenen Diskussion in Arbeitsgruppen entstehen, beglichen werden.

Benny Denes

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