Kolumnen_Der Misanthrop: "Ich hör´ irgendwie alles ganz gern"
"Ich hör´ irgendwie alles ganz gern"
Wer sich nicht entscheiden kann, welche Musikrichtung ihm gefällt, der ist auch sonst nicht ernstzunehmen... 21.07.2003
Wenn man sich bei amateurhaften Umfragen unter dem (einfachen) Volk, sei es beim breiten Mann von der Straße oder beim Studentenpack in seinen Naturholzlokalen, nach der Lieblingsmusik der Betreffenden erkundigt, erhält man als Antwort viel zu oft den Unsatz, der dieser Kolumne voransteht. Angehende Theologinnen, geschniegelte Versicherungsvertreter, nicht ganz weltfremd scheinen wollende Hausfrauen und Mütter, Bankbeamte - alle finden alles gut. Irgendwie.
Eine traurige Zeiterscheinung. Man könnte fast Mitleid mit derartigen Leuten haben, wenn sie nicht so jämmerlich und verachtenswert wären. Denn ihrer gedankenlos hingeschleuderten Aussage liegt nicht nur ein völlig unangebrachtes Toleranzverständnis zugrunde (schlimm genug und Stoff für eine weitere Kolumne), sondern vor allem Faulheit. Sie sind schlicht zu träge, sich ein Urteil zu bilden, und noch dazu zu geizig, sich einen eigenen Geschmack zu leisten.
Vor gut einem Jahr stieß der Misanthrop in einer fränkischen Gazette (fragen Sie nicht...) auf die "persönlichen Top 5" einiger Stammleser. Ein gewisser Martin (36) aus Oberwarmensteinach gab da etwa an: "Pink Floyd, Schürzenjäger, Kai Tracid, Metallica, Lighthouse Family und ABBA". Na, ist das widerwärtig oder nicht?! Zunächst hielt der schmerzgebeugte Leser die Angabe von sechs Acts noch für einen gelungenen Gag, doch beim Studium des dazugehörigen Artikels mußte er feststellen, daß der zuständige Redakteur indirekt Partei für "Liebhaber unterschiedlicher Sparten" ergreifen wollte - und dabei offenbar dabei vergaß, die zweite Hand zum Zählen einzusetzen.
Aber Typen wie Martin kennt man ja leider auch aus dem eigenen Bekanntenkreis. Antje zum Beispiel, eine wirklich nur sehr entfernte Bekannte des Misanthropen, die Musik grundsätzlich entweder für "sehr schön" oder auch "supernett" hält. Auf die erfundenen Bands Zaballa, Mixage Adventure und Poptwins angesprochen, antwortete Antje ahnungslos: "Die kenn' ich nur oberflächlich, kann ich jetzt nicht so zuordnen, aber ich glaub', die finde ich sehr nett!" Was soll man dazu sagen? Da kommen einem ja plötzlich Mega-Eventianer und Boygroup-Anhänger erträglich vor!
Wir müssen also an dieser Stelle vehement vor dem Irgendwieallesganzgernhörer warnen. Man erkennt ihn einerseits am falschen und nie länger als eine Sekunde währenden Mitsummen der jeweils langweiligsten Song-Teile, andererseits an einer latenten Affinität zu sinnentleerten Hit-Compilations, bei deren Bewerbung sich normale Menschen fragen, wer diesen Scheißdreck eigentlich kauft. Aber jetzt kennen wir ja die Antwort.
Weil der Misanthrop streitbare Menschen schätzt, die aus lauter Konsequenz nach Diskussionen über den musikalischen Geschmack auch mal Partys vorzeitig verlassen, erträgt er jene lebenslänglich angepaßten und im wahrsten Sinne geschmacklosen Pauschalisten nicht - und findet, daß man ihnen das Recht zum Musikhören aberkennen sollte. Mit sofortiger Wirkung. Aber wahrscheinlich fänden sie sogar das irgendwie ganz gut...
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