Kolumnen_Der Misanthrop: Das Leben als Casting-Show
Das Leben als Casting-Show
Carlo ist ein "Vollspacke" - was auf gut österreichisch soviel bedeutet wie "Hirnederl". Solche Leute mag man nicht. 16.10.2003
Manchmal kann der geneigte Leser ja was dazulernen - zum Beispiel, wie die korrekte Definition eines "Vollspacken" lautet: "ein Trottel oder Schwachmatikus, der meint, immerzu lustig sein und den Aufmerksamkeitsmagneten spielen zu müssen, ohne auch nur ein My (Kurzform von 'Mikron', schauen Sie halt wo nach) interessant zu sein. Vollspacken blamieren sich für ihr Leben gern vor größeren Gesellschaften und nehmen ihre Verfehlungen noch nicht einmal wahr. Spaß ist ihr Lebensmotto, den Begriff 'Niveau' bringen sie bestenfalls mit einer Handcreme in Verbindung. Diese Baumschulen-Comedians fühlen sich zu den unpassendesten Anlässen dazu berufen, ihre sogenannten Mitmenschen zu erheitern, nur weil ihnen irgendwann einmal ein Bowling-Freund gesagt hat, sie wären 'echt mega-witzig'."
"Das Leben ist eine Casting-Show, und ihr seid meine Jury", denkt sich auch ein gewisser Carlo G., alles in allem eine der unerfreulichsten Erscheinungen im Bekanntenkreis des Misanthropen.
Letztens weilte der Autor dieser Zeilen und nebenberufliche Menschenhasser auf einer Hochzeitsfeier, als sich der naturgemäß am geschmacklosesten angezogene Gast - gegen jedes Protokoll der zivilisierten Menschheit verstoßend - uneingeladen ans Rednerpult stellte: "Darf ich mich vorstellen: Carlo G., Ihr Hochzeitsschreck!" krakeelte er dort. Sodann brachte der Vollspacke, während er mit Konfetti um sich warf, ein offenbar von einer einschlägigen Website kopiertes Gedicht mit pseudofrivolen und unsäglich dummen Versen zum Vortrag. Dazu hob und senkte er seine krächzende Stimme im Stile eines Pfälzer Karnevalisten mit Übergewicht. Nach dem ungeschickten Deklamieren der Zeile "Die Ehe ist ein hehres Verspreschen, das auch mit der geilsten Braut du sollst net breschen" blickte der Ignorant erwartungsfroh in die peinlich berührte Runde. Wider Erwarten wurde er jedoch nur von zwei etwa dreizehnjährigen Groupies, von denen niemand wußte, wer sie eigentlich eingeladen hatte, zaghaft bejubelt.
Eine durchaus angenehm arrogante Besucherin fragte den Misanthropen daraufhin, ob er wisse, wer dieser Prolet denn sei und ob er zur Braut oder zum Bräutigam gehöre. Glücklicherweise konnte der um Auskunft Gebetene aus einem reichen Schatz an Erfahrungen mit dem betreffenden Vollspacken schöpfen: Schon 1997 winkte Carlo G. während eines Lokalsender-Interviews mit einem Politiker, hinter dem er sich mehr oder weniger zufällig aufhielt, etwa zehn Minuten unverdrossen in die Kamera, bis der Produktionsassistent ihn endlich aus dem Bild schubste. Drei Jahre später verteilte er auf einer großen Party Visitenkarten mit der Adresse seiner "Hohmpehtsch", auf der sich aber ewig und drei Tage nur das bekannte Baustellensymbol befand. Noch im selben Jahr schickte er einen "Gag" an die "Harald-Schmidt-Show" und erzählte etwa ein halbes Jahr lang jedem, der es nicht hören wollte, daß der Witz bestimmt in einer der bevorstehenden Sendungen zum Einsatz gelangen würde.
Carlo G. trägt logischerweise langes Haar, macht jede Mode mit und hält vor Dark-Wave-Fans gern Vorträge über "die legendären Joy Division". Zudem schreibt er sich für Volkshochschulkurse in Französisch ein, um nach den ersten drei Sitzungen seine bemitleidenswerten Gesprächspartner zu fragen: "Est-ce que vous pouvez parler français?" Ingesamt gesehen, ist er halt ein Vollspacke und eine unerträgliche Nervensäge, aber nicht einmal von der Sorte, die man ganz tief im Inneren gern hat. Er ist dumm, unerzogen, absolut nicht lustig und sieht noch nicht einmal schlecht, sondern einfach nur belanglos aus.
Der Misanthrop hegt die grauenerregende Vermutung, daß sich Carlo G. beim Lesen des vorliegenden Pamphlets sogar noch über die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit freuen würde, weil er solche Sachen ohnehin für irgendwie ironisch hält. Kennen Sie nicht auch solche Leute? Und brauchen Sie die zufällig für irgendwas?
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