Kolumnen_Der Misanthrop: Amtsstubenmatadore

Amtsstubenmatadore

Angestellte im öffentlichen Dienst: Vor dieser Spezies empfindet man grundsätzlich Ekel. Und Probleme hat praktisch jeder mit ihr - so auch der Misanthrop.    04.11.2002

Ein besser lesbarer Titel für die heutige Kolumne wäre wohl "Beamte", doch täte ich damit wahrscheinlich allen Richtern, Lehrern, Polizisten und Eisenbahnern (!) Unrecht. Hier soll es vielmehr um jenen Menschentypus gehen, den man in Verwaltungs-, Bau- und Genehmigungs-, Wirtschafts- und Finanzämtern antrifft. Der normale Kontakt mit dieser Spezies, die - zumindest in Deutschland - auch eher den Status des Angestellten als des Beamten innehat, beginnt mit einem unerfreulichen Brief voller unlogisch formulierter Sätze, der aussieht, als sei er noch mit der Schreibmaschine getippt worden, weil er in der Schriftart "Courier New" verfaßt wurde, aber andererseits üblicherweise mit dem Satz endet: "Dieses Schreiben wurde per EDV verfaßt und bedarf daher keiner Unterschrift!" Eigentlich großartige Voraussetzungen für einen Misanthropen, möchte man meinen, diese Kommunikation mit der zwar abstrakten, aber hinsichtlich der Laune und der Ansprache doch erfreulich konstanten EDV.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Derartige Briefe führen ja regelmäßig zu einem Pflichtbesuch in einem der Ämter, die im Briefkopf mit sechszeiligen Namen angegeben sind. So begibt man sich zur Klärung des Problems auf die zuständige Behörde und fühlt von Anfang an die grundsätzliche Ekelhaftigkeit dieses Beschäftigungssektors. Das beginnt schon mit den Sprechzeiten, die selbstverständlich nicht auf dem Brief angegeben waren und für deren Erkundung man die zentrale Sammelnummer der Stadtverwaltung anrufen mußte - die wahrscheinlich einzige Nummer der Stadt, bei der es sinnvoll ist, zwanzig Freizeichen abzuwarten. "Dienstags und Donnerstags von 7.30 bis 9.30 Uhr", lautet meist die Antwort. Selbstverständlich sind Misanthropen Langschläfer und begeben sich nur äußerst widerwillig um halbacht Uhr morgens zu einem Amt, doch was bleibt ihnen angesichts der perfiden Androhungen seitens der korrespondierenden EDV übrig?

Erst einmal im Amt angekommen, erlebt man bereits die erste Demütigung vor dem Zimmer der Sachbearbeiterin. Debile Aufkleber mit Sprüchen wie "Jeder dritte, der klopft, wird gehängt. Zwei waren heute schon da" oder "Wenn Sie uns schon faul nennen, dann sollten Sie erst mal unseren Chef erleben" vermiesen einem von vornherein die Laune. Wenn man dann drei Mal hintereinander an die Tür klopft und weder gehängt noch zum Eintreten aufgefordert wird, entschließt man sich zum ungefragten Vordringen.

Im Zimmer selbst findet man meist ein Ensemble aus Doppelschreibtisch (inklusive Telefon auf Filz und spezieller Drehablage) vor, um das sich zwei völlig verfettete Frauen an zwei schon um diese Uhrzeit überquellenden Aschenbechern gruppiert haben. "Ja, bitte?" wird der Misanthrop im günstigsten Falle noch gefragt; häufiger jedoch erlebt er die totale Ignoranz der beiden Grazien. Formuliert er dann möglichst exakt den Sachverhalt und sein Anliegen, schallt ihm ein gut gelauntes "Das können Sie jetzt alles schön noch einmal unter Angabe der Vorgangsnummer sagen" entgegen. Selbstverständlich muß man sich entsprechende Äußerungen in den härtesten Ausführungen regional üblicher Dialekte vorstellen, was einen zusätzlichen Kulturschock bewirkt. Schließlich ist man von Staatsvertretern aus dem Fernsehen anderes gewohnt...

Der Misanthrop haßt Angestellte im öffentlichen Dienst sowie vergilbte Amtsstuben in häßlichen Verwaltungsgebäuden. Und er liebt die Vorstellung, demnächst seine Sachverhalte und Geschäftsvorgänge nur mehr mit jener EDV abwickeln zu dürfen, die ihm heute schon Briefe schreibt.

Benny Denes

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