Kolumnen_Miststück der Woche III/56

Darkside: "Heart"

Es lebe das Individuum! Vor einer Woche sang Manfred Prescher noch das Hohelied auf die Freundschaft, und heute geht er schon wieder eigenbrötlerischen Gedanken nach - natürlich mit der passenden Musik im Brummschädel.    21.10.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Dave Harrington ist irgendwie ein bißchen wie Helge Schneider oder auch Prince. Der New Yorker spielt nämlich zirka 500.000 verschiedene Instrumente - und das auch noch ziemlich perfekt. Er könnte sich also durchaus in seinem eigenen musikalischen Dunstkreis in permanenter Rotation um die eigene Achse drehen, wenn er das wollte. Doch im Gegensatz zu Schneider, der am liebsten immer mit denselben Leutchen auf Tour geht oder Platten einspielt, ist Harrington offen für wechselnde Musikerbeziehungen; nicht allerdings beispielsweise für Darts-Sport auf höchster Ebene.

Warum ich sowas schreibe? Vielleicht, weil ich Lust drauf habe? Ja, das auch, aber es wäre doch irgendwie witzig, wenn Harrington mit dem gleichnamigen Spieler der Professional Darts Corporation (PDC) identisch wäre. Das Pfeilewerfen würde sich am Ende wahrscheinlich sogar lukrativer für Dave Harrington auswirken, aber der Tausendsassa ist halt kein Tausendundeinssassa. Man kann nicht alles können. Der langen Rede kurzer Sinn: Die künstlerische Vorgehensweise des New Yorkers ähnelt eher der des kleinen Prinzen aus Minneapolis. Wie dieser sucht sich auch Harrington für seine Projekte verschiedene Mitstreiter, etwa für DH Sound oder El Topo. Bei Darkside ist es Nicholas Jaar, ein Amerikaner chilenischer Abstammung. Harrington und Jaar kennen sich seit den Uni-Tagen, die bei den beiden noch recht jungen Musikern freilich noch nicht so lange her sind wie bei Prince, Helge oder mir. Wir fallen aber, unabhängig vom Alter, immer wieder mal durch die Prüfungsaufgaben, die die Schule des Lebens für uns auf die harte Holzbank namens Alltag legt. Aber daraus resultieren - neben endlosen Beziehungsgesprächen und weinseligen Abenden, nach denen man die Reste mit dem Jammerlappen aufwischen muß - eben oft kreative Momente. So wie bei Darkside.

Jaar und Harrington überraschen mit einer ungeheuer dichten Debüt-CD namens "Psychic", die zu den absoluten Höhepunkten unter den Herbstveröffentlichungen gehört. Acht Stücke, die die Grenzen zwischen Trance und Dance, Rock und Schmock, Ambient und Ambiente, Melodie und Melodramatik, Jazz und Electropop ausloten. Am ehesten kann man die Platte so beschreiben: Würde man Daft Punk mit der Intention von Bon Ivers ebenfalls grandiosem neuem Volcano-Choir-Opus-Magnum "Repave" verbinden, dann käme man nah an das, was "Psychic" auszeichnet: Die acht Tracks sind auf verquere Art eingängig, auf leichtfüßige Weise schwermütig - oder jeweils umgekehrt. Und sie sind durchaus nicht so "dark", wie es uns der Projektname suggerieren möchte.

"Heart" ist zum Beispiel eine sehr innige, mit knapp fünf Minuten im Albumkontext eher kurze Elegie, bei der der Drumbeat den Herzschlag vorgibt. Wer seine Ohren zum Hören dieser feinen Klänge öffnet, der spürt, wie die Melodie unter die Haut dringt; bis auf die nackten Knochen sozusagen. Das Lied erzählt seine Geschichte schließlich nicht durch die paar im Falsett vorgetragenen Worte. Die Stimme ist hier einfach nur Instrument und der Text sowieso unverständlich - der Song spricht durch die warmen, elektronischen Klänge zu uns und sagt, daß wir bitteschön auf unser Herz hören sollen. Ach, wo ich schon beim Herzen bin: Nächste Woche geht es hier um "Heartbreaker", den Opener der neuen Motörhead-CD "Aftershock". Older Budweiser? Von wegen - Lemmy ist immer noch die immer noch lebende Optimalverbindung von Klugheit und törichtem Trotzkopf.

 

Doch zurück zu Darkside und den Herren Harrington und Jaar: "Psychic" ist die CD für alle Gefühlszustände, die man im Herbst so durchlebt. Die Tracks passen praktisch immer, da sie wie eine Droge wirken, die den jeweiligen Gemütszustand präzisiert und verstärkt. Die Älteren unter uns, also die, die seinerzeit noch Waterloo, Watergate, John und Roger Waters miterlebt haben, dürfte das an "Dark Side Of The Moon" und noch mehr an "Wish You Were Here" von Pink Floyd erinnern. Und in der Tat stehen die beiden Erfolgsalben aus den siebziger Jahren als Paten am Taufbecken. Doch heute dürfte "Pychic", das prognostiziere ich an dieser Stelle, kaum deren Bedeutung erlangen können. Die mediale und vertriebstechnische Durchschlagskraft von damals läßt sich in den Zehnerjahren einfach nicht mehr erzeugen. Insofern wäre es dann doch klug für Harrington, nebenbei mit Darts Geld zu verdienen.

So, das war´s für heute. Bleibt, wie ihr seid, lebt und liebt "die ganze Nacht, bis daß das Bett zusammenkracht" (O-Ton Alexander Sevschek bzw. Xaõ Seffcheque). Und klickt nächste Woche wieder hier rein.      

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Darkside: "Heart"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Psychic" (Matador/Other People/Indigo)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.