Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 54

Charlie Louvin: "Dark As A Dungeon"

Gute Musik ist keine Frage des Alters. Vielleicht ist Greisentum sogar von Vorteil, da man dann dermaßen über dem Tagesgeschäft steht, daß jede Form von Hipstertum obsolet wird. Obwohl: Dieser Alte ist schon irgendwie hip - findet Manfred Prescher.    23.02.2009

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Johnny Cash hat seine Mörderballaden veröffentlicht, Nick Cave auch. Und beide waren oder sind Fans von Charlie Louvin, der jetzt ebenfalls eine Platte namens "Sings Murder Ballads And Disaster Songs" herausgebracht hat.

Dabei hatte der Sänger aus Alabama, der eigentlich Charles Loudermilk heißt, solche Stücke schon immer im Repertoire. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder, dem bereits 1965 verstorbenen Ira, gab er das christlich angehauchte Country-Folk-Duo und geißelte in den Jahren 1956 bis zirka 1963 auf erfolgreichen Alben wie "Tragic Songs Of Life", "My Baby Is Gone" oder dem sagenumwobenen "Satan Is Real" das Böse auf handfeste Art. Und nebenbei konnten die beiden so schön singen, daß selbst die Everly Brothers oder Simon and Garfunkel im direkten Vergleich als wenig beseelt gelten mußten. Solo hat er an diese Tradition angeschlossen und hält bis heute an ihr fest.

Charlie Louvins Stimme ist immer noch ausdrucksstark, wenngleich er jetzt, im Jahr des Herrn 2009, brüchiger und weniger kraftvoll klingt. Das macht natürlich nix, weil da erstens mit jedem Ton ein komplettes, durchaus wechselhaft verlaufenes Leben mitschwingt und zweitens diese schüttere Art der Intonation zu den Moritaten paßt, die er singt. Man mag einfach glauben, daß er zumindest die Leute gekannt hat, die als Opfer oder Täter in Mord und Totschlag involviert waren.

 

Wenn Louvin "Dark As A Dungeon", den vielleicht berühmtesten, mindestens aber am meisten gecoverten Song von Merle Travis singt, vermeint der Hörer tatsächlich eine Botschaft aus den tiefsten Tiefen des Kerkers zu hören. Da schreit - trotz aller Kontrolle, die der Alte immer noch über sein Organ hat - eine gequälte Seele aus einem schwarzen Raum nie endenwollender Pein heraus. Weil das Lied schon so oft aufgenommen wurde, unter anderem auch vom späten Cash, läßt sich leicht nachprüfen, wie gut diese Version wirklich ist: Charlie Louvin gelang ein Meisterwerk - nicht mehr und nicht weniger.

Im Juli wird der Mann aus Rainsville stolze 82, doch das hohe Alter hindert ihn nicht daran, Platten aufzunehmen. Im Moment ist er sogar richtig fleißig, da er gleichzeitig mit den Mörderballaden das Werk "Step To Heaven" eingespielt hat. Und weil sich Tragödie und Spiritualität bei den Country-Recken mindestens schon seit den Tagen der Carter-Familie nicht sauber trennen lassen, sondern Louvin Brothers im Geiste sind, sind sich beide CDs vom Gestus her ähnlich. Man sollte sie daher auch im Doppelpack anschaffen, was freilich nicht ganz so einfach ist, da es sich um Importe handelt. Aber wir leben ja in einer globalen Welt, und Alabama liegt praktisch direkt neben dem Salzkammergut.

In 14 Tagen wird es an dieser Stelle weitergehen - mit Leuten, die Louvins Urenkel sein könnten ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Charlie Louvin - Sings Murder Ballads And Disaster Songs

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Tompkins Square/Import

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