Kolumnen_Miststück der Woche III/39

Black Sabbath: "God Is Dead?"

Was für ein Comeback: In drei Viertel der Urbesetzung laufen die Hardrock-Veteranen zu echter Hochform auf. Manfred Prescher ist begeistert und zieht seinen Borsalino.    24.06.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Bei EVOLVER gibt es in leider unregelmäßigen Abständen "Kolumnen, die die Welt nicht braucht" - und Black Sabbath veröffentlichen gerade ein Album, das niemand wirklich benötigt. Auf jeden Fall hat es weit und breit kein Mensch als musikalisches Großereignis auf dem Schirm. Die großen Zeiten von Osbourne, Iommi und Butler liegen halt schon Ewigkeiten zurück: Seit "Iron Man" oder "Paranoid", dem einzigen Nummer-1-Hit, den die Band in Deutschland und Österreich je hatte, haben sich locker 40 Jahre und ein paar zerquetschte in Haut und Seele gebrannt. Oder nehmen wir die Ballade "Changes", die zeitlos schön vom Verlust der Liebe erzählt - die stammt von 1972. Und 1972 liegt schon so lange zurück, daß im Jungvolk aktuell die Meinung vorherrscht, es hätte gar nicht stattgefunden. Heute braucht die Welt kein neues Werk von Black Sabbath und auch keine Kolumnen. Aber gerade deshalb haben wir beides nötig.

Manchmal muß man einfach etwas verlieren, um zu wissen, was es einem bedeutet. Das ist mir heuer schon einmal passiert: Praktisch aus dem Nichts tauchte David Bowie auf, für mich eine der großen musikalischen Lieben in einem an musikalischen Lieben nicht gerade armen Leben. Da wurde mir erst wieder bewußt, wie sehr ich diesen Künstler vermißt habe. Mit Black Sabbath verhält es sich irgendwie ähnlich. In meiner Teenager-Zeit vertonten sie die Ängste vor dem Alleinsein, der Schwärze und der Bedrohung, die das Erwachsenenalter bereithalten mochte. Die Musik war hart, ging tief, aber Ozzy sang immer auch wie jemand, der weich und verletzlich ist - wie eben in "Changes". Während ich als elfjähriger Dreistreichkäsehoch all das Liebesleid hörte, das möglicherweise auf mich warten könnte, schunkelten meine Eltern zu "Michaela" von Bata Illic oder "Ich fang´ für euch den Sonnenschein" von Tony Marschall. Welch ein Kontrast. Die Klänge von Black Sabbath rüttelten an den Grundwerten dieser scheinbar heilen Welt.

Aber heute schreiben wir 2013, weshalb das aktuelle, 19. Werk von Black Sabbath schlicht "13" heißt. Die Band hat diverse Stürme, Umbesetzungen und persönliche Turbulenzen überlebt. Mittlerweile ist man Mitte 60, sieht älter aus, als man je werden wird, und provoziert niemanden mehr. Es ist längst alles ausprobiert. Die Grenzen zwischen den Generationen sind fließender, Mutter und Tochter einigen sich auf Adeles "21", Vater und Sohn auf Black Sabbaths "13" - beides produziert von Rick Rubin. Und nun wird es Zeit für eine kurze Lesung aus dem Evangelium nach Markus und die dazugehörige Predigt.

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" heißt es bei Markus in Kapitel 15, Vers 34. Diese Worte finden sich ebenfalls im Evangelium des Matthäus und gehören zu den sieben zentralen Sätzen, die Christus am Kreuz spricht. Sein "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" stammt ursprünglich aus dem Psalm 22. Dort sucht ein sterbender Diener nach Gott. Der Mann fühlt sich in der Stunde des Todes verlassen, ist es aber eigentlich nicht. Jesus spricht den Psalm als sein eigenes Sterbegebet. Er vervollkommnet damit seine Menschwerdung. Das ist die Auslegung eines ungeheuerlichen Vorgangs, auf den sich Christen aller Konfessionen einigen: Jesus nimmt damit all die Schmerzen, die Verzweiflung, die Ängste und auch die Einsamkeit auf sich, die das Ende des irdischen Lebens für uns ausmachen. Er läßt sich verspotten, erniedrigen, ruft um Hilfe. Als Gottes Sohn dürfte er die Zweifel eigentlich nicht gespürt haben, die den normalen Menschen umfangen - aber er ist Mensch geworden, um unsere Zweifel zu teilen.

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" klagt Jesus. An diesem Punkt stehen auch die Altrocker von Black Sabbath in ihrem Lied "God Is Dead?" Dort heißt es fast ebenso biblisch zweifelnd: "Wann wird der Alptraum vorbei sein/Wird mir jemand die Antwort geben/Ist Gott wirklich tot?/Ist Gott wirklich tot?" Und etwas später: "Ich glaube nicht, daß Gott tot ist."

 

Glauben heißt bekanntlich, daß es an Faktenwissen mangelt, und das Fragezeichen in "God Is Dead?" birgt all die menschlichen Zweifel, die mit dem Nichtbelegbaren verbunden sind. Friedrich Nietzsche hat die drei Worte 1882 im 125. Abschnitt von "Die fröhliche Wissenschaft" ohne Fragezeichen geschrieben: "Gott ist tot" heißt es da - aber eine These bleibt immer eine Behauptung, bis man sie mit Fakten verifiziert hat. Auch für die Nichtexistenz des Schöpfers gibt es schließlich keinen Beleg. Falls sich Gott, wie Douglas Adams schrieb, in einem Logikwölkchen auflöste, wäre er zumindest irgendwann mal existent gewesen. Und wenn, wie in Motörheads Lied "God Was Never On Your Side" bezweifelt wird, daß er den Menschen liebt, so gäbe es ihn doch immerhin. Und damit sind wir schon wieder bei Nietzsche. Der Philosoph bezeichnete seinen eigenen Satz "Gott ist tot" später öfter als privattheologische Aussage. Zu mehr ist der Mensch zeitlebens mangels Wissens auch gar nicht fähig.

"Nix Gwiß woaß ma ned" heißt es in Bayern nach einem Spruch des legendären Finessensepperl. Der Mann lebte im 18. Jahrhundert und hatte die zentrale Glaubensfrage nach der Gottesexistenz für sich definitiv geklärt: Man weiß nicht, ob es den Schöpfer gibt, die Frage läßt sich niemals beantworten - also kann man getrost an ihn glauben. Das schadet ja nicht. Das ist ebenso typisch bayrisch-pragmatisch wie folgerichtig, sowohl im Sinne Nietzsches als auch des Mannes, der am Kreuz zur Vergebung der Sünden für uns gestorben ist. Amen.

Hardrocker haben sowieso ein Fable für Gott und religiöse Exegesen. Wir können Black Sabbaths "God Is Dead?" beispielsweise als musikalisch-theologische Antwort auf das obengenannte Lied von Motörhead begreifen. Muß man aber nicht, wir dürfen uns auch einfach auch an einem verdammt guten Song erfreuen. Für den Sound sorgte Mr. Rubin, der unter anderem die Beastie Boys, Slayer und Adele produzierte - und mit seinen Kollaborationen mit Johnny Cash, Donovan und Neil Diamond nachhaltig bewies, daß er mit alten Säcken optimal umgehen kann. Bei Black Sabbath klingt das Ergebnis der Zusammenarbeit frisch, knackig und klangtechnisch weniger dumpf als Annoschnupftabak.

Nächste Woche wird es hier übrigens um Typen aus Bayern gehen - allerdings nicht um den Finessensepperl. Ich schreibe dann für euch über die Sportfreunde Stiller aus München und über Da Huawa, da Meier und I aus Niederbayern/Oberpfalz. Bis dahin "Pfiat eich Gott!"

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

"Black Sabbath: "God Is Dead?"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "13" (Mercury/Universal)

Links:

668 - The Neighbour Of The Beast

(aus dem EVOLVER-Archiv, 2008)


Heutzutage splittert sich das Genre "Metal" in unzählige, fast unüberschaubare Subgenres auf, aber: Damals, in den frühen 80ern, gab es Heavy Metal oder eben Nicht-Heavy-Metal, so einfach war das. Oder doch nicht? Claudia Jusits schüttelt andächtig die Mähne und präsentiert ihre persönliche Schwermetall-Compilation.

Links:

Kommentare_

tonimeloni - 30.06.2013 : 11.44
kaum zu glauben, wie sehr die alten herren noch rocken. da können sich diese ganzen numetal-quatschbirnen zusammenpacken

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