Kolumnen_Ausweiskontrolle: Gotcha!

Gotcha!

Handgranaten und Schnellfeuerwaffen sind out. In den Giftküchen der Militärs entstehen "nichtletale Waffen", die auch vom österreichischen Bundesheer eingesetzt werden.    23.02.2005

Rüstungs- und Spielzeughersteller haben eine Gemeinsamkeit: Ihr Produktportfolio besteht einerseits aus Klassikern (beispielsweise Lego oder Tretminen), die einen erklecklichen Teil der Erträge ausmachen; andererseits aus Innovationen, mit denen neue Märkte erschlossen werden sollen. Ein Lieblingsspielzeug jener Gruppe, die US-Präsident Eisenhower viel zu schlicht den "militärisch-industriellen Komplex" nannte, sind "non-lethal weapons". Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein recht breites Spektrum neuer Waffen, die einen Gegner nicht töten, sondern ihn "nur" stoppen sollen, was immer man darunter verstehen mag. Die Art der Waffen, an denen gearbeitet wird und die zum Teil auch bereits eingesetzt werden, erinnert auf den ersten Blick an einen Spaziergang durch den Fundus der Science Fiction. Von Schallwaffen ist da die Rede, die einen Gegner verwirren können; von Mikrowellenstrahlern, die leichte, aber schmerzhafte Verbrennungen zufügen; von Gummigeschossen, chemischen Keulen und Taser-Waffen, die ein Opfer durch Stromschläge paralysieren; und auch von elektromagnetischen Bomben, mit denen die IT-Infrastruktur eines ganzen Landstrichs lahmgelegt werden kann. Im Irak sind sogar ferngesteuerte Robotfahrzeuge in amerikanischer Mission unterwegs - CNN lieferte der Welt vor kurzem die Propagandaaufnahmen des Pentagon frei Haus. Infraschallwaffen, die für das menschliche Ohr unhörbare Frequenzen erzeugen, mit denen beispielsweise Übelkeit oder Desorientierung hervorgerufen werden kann, wurden in den USA bereits zur so genannten "crowd control" getestet - allerdings nicht von der Army, sondern von der Polizei, die damit ein neues Werkzeug zum Zerschlagen von Demonstrationen und zur Eindämmung von Bürgeraufständen besitzt.

 

Phaser auf Betäubung! Was mehr als nur ein bißchen nach Raumschiff Enterprise klingt, hat seinen Ursprung in der Gedankenwelt eines Herrn namens John B. Alexander, der sich im Rang eines Colonel der US Army befindet. Alexander ist nicht nur der Vater des amerikanischen "non-lethal weapons"-Entwicklungsprogramms, sondern schreibt auch Bücher über den Stand der Dinge. "Winning the War" heißt sein letztes, das 9/11 zum Anlaß nimmt, die Kriegsführung des 21. Jahrhunderts neu zu definieren. Alexander, ein Duzfreund von Dick Cheney, berichtet nur von der Spitze des Eisbergs, die aber erahnen läßt, welche Lovecraftschen Details unter dem Wasserspiegel verborgen liegen: Wetterkontrolle, ferngesteuerte Tiere, Strahlenkanonen - die Ideen können gar nicht unglaublich genug sein. Und da Col. John B. Alexander nicht irgendein dahergelaufener Verrückter ist, sondern eine der einflußreichsten Personen des militärisch-industriellen Komplexes, steht hinter jeder seiner Aussagen der Verdacht, daß da noch mehr in der Pipeline dümpelt.

Grundsätzlich ist auch die Bezeichnung "non-lethal" nur die halbe Wahrheit. So wie Captain Kirk seinen Phaser wahlweise auf "medium" oder "blutig" stellen kann, ist die Wirkung nichttödlicher Waffen eine Sache der Dosierung. Die Bezeichnung "non-lethal" ist somit eher als statistische Größe zu sehen denn als Versprechen, und sie basiert darauf, wie viele kalkulierte Opfer man in Kauf nehmen will. Tatsächlich sind auch an Taser-Waffen, wie sie teilweise von der deutschen Polizei eingesetzt werden, schon Menschen gestorben. Der Stromstoß, der dem Opfer über eine in die Haut geschossene Nadel und einen Draht verpaßt wird, ist nur für gesunde Menschen mit guter Konstitution wirklich ungefährlich. Ein Taser-Schuß ist extrem schmerzhaft, und wenn Sie einen Herzschrittmacher tragen, sollten Sie aufgeben, bevor Sie am Haken hängen. (Übrigens: Letzter Schrei in den Entwicklungslabors sind Taser-Waffen, die anstelle von Nadel und Draht einen Gasstrahl verschießen, über den der Stromschlag erfolgt.)

 

Graue Eminenz der Waffentechnologie. Für Col. Alexander sind "non-lethal weapons" nicht nur Waffen, die das Leben des Gegners mehr oder weniger schonen, sondern Teil der Strategie des neuen radikalen Amerika, die militärische Oberhand auf dem Planeten zu behalten (George W. Bushs Wunsch nach atomarer Wiederaufrüstung ist ebenfalls Teil dieser Strategie). Stimmt an sich schon die Bezeichnung "non-lethal" im Ansatz nicht, so fällt die Abgrenzung gegen andere Waffentechnologien überhaupt schwer (genaugenommen sind auch die österreichischen Abfangjäger außerhalb der Bürozeiten "non-lethal weapons"). Folgt man den Gedanken von Alexander, ist eine Abgrenzung auch nicht notwendig, weil nichts ausgeschlossen werden soll - nicht einmal parapsychologische Effekte.

1980 rückte Alexander beispielsweise die Telepathie ins militärische Interesse, als er im "Military Journal" einen Artikel mit dem Titel "The New Mental Battlefield" veröffentlichte, in dem er die Kontrolle der elektrischen Aktivitäten im Gehirn als Kampfmittel thematisierte. 1988 verließ Alexander offiziell die Army und begann seine Tätigkeit am Los Alamos National Laboratory. Seitdem gilt er als graue Eminenz in Sachen "Future War" (unter diesem Titel publizierte er 1999 sein erstes Buch über die Thematik).

 

Europa rüstet auf! Dennoch sind nichtletale Waffen nicht nur ein amerikanisches Anliegen. Eine Bestandsaufnahme aus europäischer Sicht findet Anfang Mai unter der Schirmherrschaft des allgegenwärtigen Fraunhofer-Instituts im deutschen Ettlingen statt. "3rd European Symposium on Non-lethal Weapons" nennt sich die Insider-Veranstaltung, in deren Programmkomitee auch das österreichische Bundesheer vertreten ist. Dessen Abgesandter ist Brigadier Dipl.-Ing. Dr. Helmut Oppenheim, beim heimischen Heer der Leiter der Abteilung Explosiv-, Werkstoffe und Betriebsmittel. Für Interviews stünde der Mann mit dem interessanten Namen, der im Prozeß um den Briefbomber Franz Fuchs als Gutachter auftrat, allerdings nicht zur Verfügung, hält Major Michael Bauer aus der Pressestelle des Verteidigungsministeriums kategorisch fest.

Die Frage, was Österreich als neutrales Nicht-NATO-Land in einer Arbeitsgruppe für militärische Kampfmittel zu suchen hat, muß er daher selbst beantworten. "Das Österreichische Bundesheer hat für seine Soldaten im Auslandseinsatz Non-Lethal-Weapons beschafft", schreibt Major Bauer in einer E-Mail vom 17. 2. 2005. "Die Beschaffung erfolgte aufgrund der Unruhen im März 2004 im Kosovo. Es hat sich für alle Beteiligten als sehr hilfreich erwiesen, zB eine Demonstration im Auslandseinsatz durch den Einsatz von Non-Lethal-Weapons aufzulösen." Das Kosovo-Kontingent sei mit Reizstoff- und Gummigeschossen ausgerüstet - vom Equipment her also nicht ganz so sophisticated, wie es Oppenheims US-Kollege Alexander in Sachen Zukunft der Kriegsführung für unerläßlich hält. Major Bauer schließt mit der "Auflösung von Demonstrationen" allerdings den Bogen zur "crowd control", dem Einsatz nichtletaler Waffen durch die Polizei, wie das bereits in den USA geschieht. Weg mit den unhandlichen Wasserwerfern und Gasgranaten, her mit aus der Ferne erzeugter Übelkeit - und schon geht der geplante Protestaufmarsch gegen die Regierung in kollektives Kotzen über.

 

Und wo ist das Problem? Es gibt offenbar keines. Wer kann schon gegen eine Waffe sein, die nicht tötet und im Ernstfall sogar Menschenleben rettet? Einleuchtende Argumente für eine so humane Technologie sind nicht schwer zu finden; und es wäre verfehlt, die Schonung von Menschen wegen berechtigter Zweifel an der Methode zu verteufeln. Daß nicht mit scharfer Munition geschossen wird, ist diskussionslos gut. Diskussionswürdig ist hingegen die Aussicht, daß da eine Waffengeneration auf uns zurollt, gegen die es keinen Schutz gibt und deren Einsatz nicht zwangsläufig bemerkt werden muß. Die Entwicklung findet mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Die Hersteller nichtletaler Waffen betreiben keine Öffentlichkeitsarbeit im konventionellen Sinn. Ihre Kunden sind Militär, Polizeibehörden, Regierungen und deren Geheimdienste, Söldneragenturen, Diktatoren und früher oder später auch Terroristen. Und es ist der heilige "war on terror", der als treibende Kraft hinter der Entwicklung neuer Waffentechnologien steht. "Nichtletale Waffen geben dem Militär und Polizeikräften ein Werkzeug in die Hand, mit dem sie Konflikte auf angemessene, dem Gesetz entsprechende Weise lösen können", verrät die Homepage des Fraunhofer-Instituts. Nachsatz: "Allerdings bieten die heute verwendeten nichtletalen Waffen nur begrenzte Einsatzmöglichkeiten, weshalb dringender Bedarf in Forschung und Entwicklung besteht."

Die "non-lethal weapons" der aktuellen Generation sind Mehrzweckwaffen. Ihr Einsatzgebiet beschränkt sich nicht auf kriegerische Auseinandersetzungen - wie das amerikanische Beispiel zeigt, sorgt die Technologie auch bei der Polizei für Begeisterung. Die verniedlichte Bezeichnung für eine im Wesen dennoch tödliche Technik darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine neue Waffengeneration entsteht, die auch für den innerstaatlichen Einsatz gedacht ist. Laut Col. John B. Alexander (und Major Michael Bauer) geben nichtletale Waffen Einsatzkräften mehr Sicherheit. Das ist die eine Seite der Medaille: Die französische Polizei muß Demonstranten nicht mehr mit Einsatzfahrzeugen überrollen, sondern kann sie mit Gummigeschossen schon im Vorfeld bewußtlos schießen. Das ist gut fürs Stadtbild und fürs Image. Auf der anderen Seite steht der berechtigte Wunsch der kritischen Öffentlichkeit nach Information: Welche Waffen werden da entwickelt, wie wirken sie und wer darf sie einsetzen? Wie sehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen aus?

 

"In Kriegen geht es ums Töten", schreibt Elias Canetti in "Masse und Macht": "Die Reihen der Feinde wurden gelichtet. Es geht um ein Töten in Haufen. Möglichst viele Feinde werden niedergeschlagen ..." Auch wenn es nun nicht mehr (nur) ums Töten geht - die Niederschlagung möglichst vieler Feinde steht auch bei nichtletalen Waffen im Vordergrund. Und zum Feind wird man heutzutage schneller, als man um Hilfe rufen kann.

Chris Haderer

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