Kolumnen_Archetyp #2
Bürosexy
Wir freuen uns, wenn sie zum Diktat kommt. Aber warum stellen wir uns dabei immer vor, wie sie beim Diktat kommt? Mit dem schlüpfrig-charmanten Film "Secretary" schlich sich die "persönliche Assistentin" im Juni 2004 wieder in alle Männerhirne. Dr. Trash erinnert sich ...
30.04.2009
Sie kommt direkt aus der Nervenheilanstalt. Aber das kann der Rechtsanwalt E. Edward Grey (James Spader) natürlich nicht ahnen, als er die scheinbar so unscheinbare Lee Holloway (gespielt von Maggie Gyllenhaal, zielsicher auf dem Weg in den Star-Himmel) als Sekretärin einstellt. Erst als sich die Vorliebe der jungen Frau für Selbstverstümmelungen auch am Arbeitsplatz bemerkbar macht - und zwar immer dann, wenn der Chef sie wegen eines Fehlers rügt -, entdecken die beiden ihr erotisches Interesse füreinander.
Nein, daraus wird keine dieser banalen Büroaffären. Schließlich geht es in Steven Shainbergs sehenswertem Streifen "Secretary" um eine ironische Aufarbeitung der Machtverhältnisse im Berufsalltag. Was das konkret heißt? Der grausame Boß und seine devote Angestellte beginnen eine glückliche S/M-Beziehung, die man so im Kino noch nicht gesehen hat.
Schön, so ein Film. Nur leider alles andere als realistisch. Schließlich läuft die Abhängigkeit in den meisten strengen Bürokammern nämlich genau umgekehrt: Die gute Sekretärin schafft an. Und der Chef hat zu gehorchen, wenn er weiß, was gut für ihn ist. Die perfekte "persönliche Assistentin" ist cooler gekleidet als ihr Vorgesetzter, weiß besser über seine Termine (auch die privaten) Bescheid als er, kennt alle seine Schwächen und hat auf jede Frage eine Antwort. Wer es sich mit ihr verscherzt, sieht seine Fehler spätestens beim überraschenden Besuch des Finanzprüfers ein. Wenn nämlich jemand eine Firma bis in den letzten Winkel durchschaut, dann ist sie es: die Chefsekretärin.
Das war natürlich nicht immer so. Noch vor ein paar Jahrzehnten, als die Welt "anständiger" war, hielt sich ein Direktor seine Vorzimmerdame vor allem zum Tippen und Stenographieren. Sie galt zwar als der gute Geist seines Unternehmens, aber eben nur so, wie die Köchin als Perle seines Privathaushalts galt. Doch dann wurden die Sekretärinnen jünger. Und blonder. Und sexier. Die reale Welt nahm anrüchige Witze, Bürotratsch und "Playboy"-Phantasien plötzlich ernst - und ein neues Erotik-Idol war entstanden, das es locker mit Krankenschwestern und Politessen aufnehmen konnte.
Der Kult der Sekretärin rief sogar ein eigenes Porno-Genre hervor, in dem die Mädels mit dem Notizblock und dem tiefen Dekolleté nichts Besseres zu tun hatten, als ihre strengen Brillen abzunehmen, die straffe Frisur zu lösen und auf Knien unter den Schreibtisch zu kriechen, um dem gestreßten Chef etwas orale Entspannung zu verschaffen. Das änderte sich auch dann nicht, als sie in den Eighties den smarten office girl-Look mit engem schwarzen Rock, hohen Schuhen und weißen Blusen zur Schau trugen. Ganz im Gegenteil: Die Sekretärin mit Pin-up-Qualitäten wurde für jeden CEO die perfekte Ergänzung zur Trophäenfrau, die er sich zu Hause und für gesellschaftliche Anlässe hielt. Und gewann damit Jahr für Jahr mehr an Macht ...
Heute weiß die längst nicht mehr heimliche Beherrscherin jedes Büros, daß sie es gar nicht mehr nötig hat, sich in die oberste Chefetage hinaufzuschlafen. Eine anständige Sekretärin fängt nämlich kein Verhältnis mit ihrem Boß an. Stattdessen sucht sie seine Manschettenknöpfe aus, plant und überwacht seine kleinen schmutzigen Ehebrüche, schickt der frustrierten Gattin Rosen zum Hochzeitstag. Und genießt es, den Typen über ihr besser unter Kontrolle zu haben als jede Domina.
Dr. Trash
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