Al Green - Lay It Down
Blue Note/EMI (USA 2008)
Er ist vermutlich der letzte vom Odem des Herrn beseelte Soulmann - und gerade deshalb sollte er unter das Artenschutzabkommen der UNO fallen. Findet zumindest Manfred Prescher ... 26.05.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Heiliger Bimbam, hat dieser Mann eine Stimme. Die geht unter die Haut, bis auf die Knochen, wie der große Fredl Fesl zu sagen pflegte. Al Green könnte selbst den Ungläubigsten unter den Thomassen auf den Pfad Gottes zurückführen. Kein Wunder also, daß der in Forrest City/Arkansas geborene Green auch als Priester der Gospel Tabernacle Church in Memphis für Furore sorgt. Der Grund für die persönliche Bekehrung des Soulmannes hat aber in Wahrheit nichts mit der außergewöhnlichen Stimme zu tun. Es ist ein persönliches Drama, das ihn vom Soulus zum Poulus wandelte: 1974 war Al mit einer Frau namens Mary Woodhouse liiert, deren Heiratsavancen er aber immer wieder ignorierte. Irgendwann, so wird kolportiert, hatte die eifersüchtige Maria genug vom vermeintlichen Schwebezustand der Beziehung, übergoß ihn - während er ein Schaumbad nahm - mit Benzin, zündete ihn an und erschoß sich.
Diese kurze Beschreibung erklärt sicher kaum, mit welcher Wucht das Schicksal zuschlug. Auf jeden Fall aber zog sich der Künstler Mitte der 70er Jahre von weltlicher Musik und damit auch von seinem Freund und Chef-Arrangeur Willie Mitchell zurück. Dessen Gespür für den perfekten Sound veredelte bis dahin Greens Gesang, die Harmonien trugen die Stimme und gaben ihr die Freiheit, die sie zur Entfaltung brauchte. Heraus kamen magische Momente von schierer Größe und Hits wie "Let´s Stay Together", das später von Tante Tina wesentlich volkstümlicher aufgenommen wurde, "Tired Of Being Alone", "Sha-La-La (Make Me Happy)" oder "Look What You Done For Me".
Wenn ich heute "Here I Am (Come And Take Me)" oder "You Ought To Be With Me" höre, dann klingen diese Songs immer noch frisch und fast überirdisch schön. Obwohl es in den Texten eher um die Beziehung zwischen Mann und Frau als um die zu Schwedenkönig Gottvaterson geht, hat man das Gefühl, daß Al Green schon vor dem Bad im fossilen Brennstoff "im Auftrag des Herrn" (Elwood Blues) unterwegs war. Seine Gospel-Platten sind dementsprechend nicht so weit weg von den legendären Aufnahmen, die im Studio von Hi-Records entstanden. Allerdings ist der Holy Ghost - zumindest in musikalischer Hinsicht - kein Ersatz für Willie Mitchell.
Mitchell und Green haben vor Jahr und Tag noch zweimal kollaboriert, das Ergebnis sind "I Can´t Stop" und "Everything´s O.K" - zwei Platten, die derart locker swingen und so wahnsinnig grooven, daß es unweigerlich ansteckt. Beide CDs machen Laune, sie helfen, wenn der Alltag an den Nerven zehrt und die Nacht zum Synonym für Impotenz wird. Das Duo Green/Mitchell sollte es daher auf Krankenschein geben. Und das könnte die Crux von "Lay It Down" sein, denn der Magier wurde durch ?uestlove Thompson von den Roots und durch den Star-Produzenten James Poyser (Erykah Badu, Lauryn Hill) ersetzt. Was dann doch eine gute Wahl war: Auch wenn "Lay It Down" nicht so luftig-leicht klingt, steht Green das Philly-Soundgewand ganz ausgezeichnet. Das Titelstück bildet stilistisch den Grenzverlauf zwischen dem Style von Gamble und Huff (man lese dazu auch die "Schattenmänner"-Story) und dem typischen warmen Mitchell-Groove.
Natürlich ist das alles nicht neu. Die 70er tönen aus jeder Phrase hervor, aber das kann man Green nicht vorwerfen. Erstens war das seine Zeit und zweitens die innovative Ära der großen Soulmänner. Curtis Mayfield, Marvin Gaye, Stevie Wonder, Bill Withers und eben Al Green schufen Meisterwerke, die noch heute wie Monolithen dastehen und aktuelle Produktionen meist turmhoch überragen. Wo wir gerade beim Namedropping sind: Es wäre wirklich zu schön, wenn auch Bill Withers wieder zu seinen Jüngern sänge und den Groove-Anbau nicht den Gucci-Flachpfeifen überließe. Green hat ja vorgemacht, daß er auch mit über 60 noch größer als der Rest ist. Und damit kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Die Stimme wird immer noch derart vom göttlichen Odem beseelt, daß auch Atheisten niederknien und an eine Welt glauben, in der wilde Ehen nicht im Selbstmord enden.
Nächste Woche lassen wir Glaube, Liebe, Benzinbad außen vor, dann geht´s hier um Santogold und um die Frage, warum es trotz flächendeckender Dumpfbacken-Ignoranz immer noch - und erst recht - Musikjournalismus braucht. Bis dahin klicket Euch vor zum Online-Shop Eures Vertrauens und kaufet Euch die letzten drei Green-Alben. Wenn das Geld noch reichet, dann holet Euch auch noch einen Sampler mit klassischen Hi-Records-Aufnahmen dazu. Amen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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