AC/DC - Black Ice
(Photos © SonyBMG)
SonyBMG (Australien 2008)
Das australische Stahlroß steht mal wieder unter Dampf. Was das heißt, ist klar: Es wird versuchen, uns die ganze Nacht lang auf dem "Highway To Hell" entlangzuschaukeln - ahnt Manfred Prescher. 15.09.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Warum denke ich gerade jetzt an den "Orange Blossom Special", den Johnny Cash einst besang? Vielleicht, weil dieser Zug in seiner Massivität an den "Rock´n´Roll Train" von AC/DC erinnert? Der "OBS" steht heute natürlich längst im Museum; genau wie der Nachbau des "Adler" der seinerzeit den harmlosen Spazierweg zwischen Nürnberg und Fürth überwand. Das 1835 als modern, rasend schnell und oft auch als zu laut empfundene Vehikel ist mittlerweile längst durch Hochgeschwindigkeitslokomotiven und passende Waggons ersetzt worden - mit bekanntermaßen verheerenden Folgen, wenn irgendwo versehentlich ein Rad ab sein sollte.
Was das Ganze mit AC/DC zu tun hat? Die australische Band um die Gebrüder Angus und Malcolm Young erinnert sehr an eine alte Dampflokomotive: Sie ist ein Anachronismus in einer hochtechnologischen Zeit, macht aber, wenn man sich auf ihr Stampfen einläßt, richtig Spaß. Das hat was von "Weißt du noch, Schatz, wie wir beide damals in der Hemmerleinhalle einen Hörsturz bekamen? Gott, war das romantisch!" Allerdings war damals gar keine Freundin anwesend, da AC/DC reine Männersache waren. Beziehungsweise eine für heranwachsende männliche Jugendliche, die auch gern zu Lemmy oder Kiss pilgerten.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß AC/DC und Motörhead in den Plattenläden, die es in den 70er Jahren noch in ordentlicher Zahl gab, meist unter "Punk" einsortiert waren. Was wahrscheinlich daran lag, daß die langhaarigen Verkäufer "Dirty Deeds", "No Sleep ´Til Hammersmith" oder "Let There Be Rock" nicht mochten, mit Abscheu auf die harschen Riffs herabblickten und sie aufgrund ihrer angeblich mangelnden Musikalität in Richtung "Zwei Akkorde für ein 'God Save The Queen'" rückten. Vermutlich war es so - aber das läßt sich historisch nicht belegen, auf Geheiß vom allmächtigen Jon Lord persönlich.
Schon 1975, als nach zweijähriger Probezeit endlich das erste Album "High Voltage" - genau, das mit den Partykrachern "T.N.T.", "It´s A Long Way To The Top (If You Wanna Rock´n´Roll)" oder auch der Syphilis-Hymne "The Jack" - Wertmaßstäbe für die Ewigkeit setzte, waren AC/DC eigentlich altmodisch. Ihr Holzhacker-Blues machte da weiter, wo Bo "The Man" Diddley einst angefangen hatte: mit brachialem, lebenslüsternem Rumpeln.
Daß das in den siebziger Jahren neuartig und frisch klang, lag zum einen daran, daß zwei Mitglieder der in den Sixties recht erfolgreichen Aussie-Band Easybeats ("Friday On My Mind") in den Albert Studios an den Reglern saßen: die Gitarristen Harry Vanda und George Young. (Letzterer ist übrigens der ältere Bruder von Malcolm und Angus. Das tut aber nichts zur Sache, abgesehen davon, daß der gute Klang praktisch in der Familie blieb.) Zum anderen wurde Rockmusik damals von klassisch versierten Musikern beherrscht, die beileibe nicht nur bei Deep Purple oder Queen untergekommen waren. Nichts gegen den guten alten Freddie, aber AC/DC waren die Gossenkinder, die direkt aus Eisenhüttenstadt zu kommen schienen - und so schmuddelig, daß es eine Freude war, sich mit ihnen im Dreck zu suhlen.
Die Produktion einer AC/DC-Platte ist immer noch das A und O. Damals, in der Steinzeit, war es etwas Besonderes, wenn es glasklar und messerscharf zur Sache ging. Heute, wenn selbst ein Metallica-Album (siehe auch das nächste "Miststück") so hochgepitcht wird, daß ein einziger Lärmbrei entsteht, klingen AC/DC sogar wohltuend, weil im Klangbild sehr differenziert. Krach setzt nun mal Adrenalin frei, wenn er durch leise Momente akzentuiert wird.
Seit den Tagen des hoffentlich seligen Bon Scott, des wohl besten Shouters seit Little Richard, ist bei AC/DC alles beim alten geblieben. Daran ändern auch MP3s und moderne Aufnahmemethoden glücklicherweise nichts. Obwohl natürlich auch der ehemalige Maschinenschlosser (!) Malcolm Young und der Rest der Rock-Saurierherde auf das Internet setzen: So ist die neue Single, die natürlich auch genauso gut von 1977, 1985 oder 2000 stammen könnte, vorab als Stream zu hören. Wer sich die Mühe macht und den auf der MySpace-Site von AC/DC zu findenden Song mitschneidet, bekommt ein erstaunlich hochwertiges MP3-File, das sich auf jeden Fall mit der üblichen iTunes-Qualität messen kann. Bevor jetzt jemand die Polizei ruft: Für private Zwecke ist ein solcher Mitschnitt erlaubt. Ob dieser Freikopierschein ein Weitergeben an die intimsten 100.000 Freunde einschließt, ist freilich fraglich.
Der Song selbst geht völlig in Ordnung; über die textliche Qualität allerdings hätte man schon in den Wohnhöhlen von Bedrock den Kopf geschüttelt. Selbst Fred und Barney dürften intellektuell höherstehende Lyrics gewohnt sein: "One heart angel/One cool devil/Your mind on the fantasy/Livin´ on the ecstasy/Give it all, give it/Give it what you got/Come on give it all a lot/Pick it up move it/Give it to the spot/Your mind on fantasy/Livin´ on ecstasy."
Soweit der erste Streich, die erste Stroph´. Doch die zweite klingt fast gleich, ist auch so doof. Da möchte man glatt Lemmy Kilmister für den Literaturnobelpreis vorschlagen, den er angesichts von "1916" oder "God Was Never On Your Side" auch viel eher verdient hätte.
Doch AC/DC sind ja nicht da, um auf Shakespeares Spuren zu wandeln. Nein, sie sind auf ewig gefangen in einer imaginären Klippschule, einem Internat für schwer renitente Wüteriche. Dort hat man ihnen ein bühnengroßes Stück Freiraum zugewiesen, wo sie dann ganz gepflegt ihre Sau rauslassen können. Jedes Mal, wenn sie das tun, schauen wir alle gebannt zu. Im Fall von "Rock´n´Roll Train", dieser metallenen Dampflok, und dem dazugehörigen Album "Black Ice", sind wir sogar noch neugieriger als sonst, denn das letzte Werk "Stiff Upper Lips" liegt bereits acht Jahre zurück. Und wer weiß, ob wir 2016 noch das Tempo von AC/DC mithalten können. Im Gegensatz zu Angus Young werden wir schließlich alle nicht jünger ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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