Kolumnen_Miststück der Woche III/28

Eminem: "Sick And Tired"

Rätselhaftes passiert in diesem unsrem Internet: Plötzlich taucht ein Lied auf, das von Eminem sein könnte. Oder auch nicht. Manfred Prescher geht auf Spurensuche - und ermittelt zunächst einmal in Münster.    08.04.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

Irgendwie fühle ich mich wie Kommissar Frank Thiel. Ich stapfe durch Münster und verstehe die westfälische Welt nicht mehr. Die Riesenkugeln am Aasee signalisieren mir, daß die Erde eine runde Sache sein könnte; der Blick auf das Wasser und die schwarzen Schwäne bringen mich wieder zurück ins Hier und Jetzt. Dieser Park ist so wunderschön, daß ich mir wünschte, eine bestimmte Lady wäre hier. Aber nein, ich bin nicht zu meinem Vergnügen oder zum Turteln hier. Ich muß einen Fall lösen. 

Vorhin, im Café A2, lief ein Video - und mir schoß es heiß und kalt durch den Kopf: War das nicht Eminem? Der Rapper, von dem ich einst - am 5. Dezember 2005 - behauptete, er sei irgendwie wie der junge Dylan? Konnte das sein? Damals schrieb ich über einen Song, der "When I´m Gone" hieß. Und hat uns Eminem nicht vor drei Jahren und nach dem Erfolg seiner siebten CD "Recovery" vorgegaukelt, er sei ums Leben gekommen? Gut, die SoKo hat keine Leiche, keine Tatwaffe und eigentlich rein gar nichts gefunden, aber ich war sicher, daß das Genie aus Detroit für immer von uns gegangen wäre. Dabei hätte mir der Hit "Love The Way You Lie" zu denken geben können. Eigentlich mußte doch einem Profi wie mir klar sein, daß man Eminem nicht glauben sollte. Vor kurzem gab es ein vermeintliches Lebenszeichen, ein Duett mit Rihanna, aber das klang dann so, als hätte jemand den Anrufbeantworter des Rappers geplündert ...

Und dann lief in meinem Münsteraner Lieblingscafé dieses Video. Und während draußen der See still glänzte und über den Wipfeln der Bäume eine trügerische Ruh herrschte, sah ich, immer nervöser werdend, auf den Clip.  Buchstaben über Buchstaben flogen an mir vorbei, kein Bild von Eminem. Aber er war zu hören, ohrenscheinlich gesund und munter, auch wenn der Song "Sick And Tired" betitelt ist. Und dann stand auch noch "Official Video" dabei. Stutzig machte mich allein die Tatsache, daß die GEMA den Streifen unbehelligt auf YouTube stehen ließ. Liegt das daran, daß HipHop im eigentlichen Sinn keine Musik ist? Oder daran, daß Eminem Lichtjahre über der GEMA steht? Mir ist das eigentlich wurscht - ich freute mich über das Lied und über die Auferstehung. Zweifel bleiben trotz der typischen Wortkaskaden und des typischen Frusts, den der Rapper über die Welt und alles, was darauf kreucht und fleucht, ausgießt. "Du sprichst über mich, als würdest du mich kennen", redet er auf mich ein. Und wieder habe ich Zweifel an seiner Existenz. Ist "Sick And Tired" nur eine Botschaft aus dem Jenseits? Oder der Scherz eines zynischen Doppelgängers in Stimme und Reimvermögen?

Nein, ich bin sicher: Eminem spricht zu mir. Er hat sein Ableben vorgetäuscht, um endlich und in Ruhe mit der ganzen Welt abrechnen zu können - "tell the planet to kiss my ass". Wir hören eine richtig gute Produktion, die hundertprozentig wieder vom großen Dr. Dre stammt und einen sehr eingängigen Refrain: "Man I´m sick and tired/Of all this shit I´m wired."  Ist der Fall damit gelöst? Ich bin mir nicht sicher. Warum bloß steckt der Mann so voller Haß, daß er drei Jahre lang seinen Kompostierer vollstopft und das miefige Zeugs dann über uns ausgießt? Und warum klingt das so erstaunlich cool und wohltuend? Weil Hunde, die bellen, tatsächlich nicht beißen? Das spielt doch überhaupt keine Rolle. Auch nicht, daß es vor Ewigkeiten schon mal zwei gab, die wie Dre und Eminem über das Thema "Sick And Tired" philosophierten. Bei Fats Domino und Dave Bartholomew ging allerdings grad eine Liebesbeziehung den Bach runter, während 2013 so ziemlich alles ein Ende zu haben scheint. Wenn wir Eminem glauben - was wir nicht tun sollten.

Ich nehme jetzt mein Handy und rufe diese bestimmte Lady an. Gemeinsam werden wir am Aasee entlangschlendern, in den Sonnenuntergang schauen, und sie wird im A2 die Speisekarte plündern. In mir erklingt "The Woman I Love" von Jason Mraz - und plötzlich ist die Welt so viel besser, als es uns gewisse Rapper weismachen wollen. Genau deshalb werde ich nächste Woche über Herrn Mraz und über die erstaunlichen Erfolge echt "handgemachter" Qualitätsmusik sprechen.

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher