25 Songs für Beziehungskatastrophen: Auch im zweiten Teil des Jubiläums-"Miststücks" läßt Manfred Prescher Männer und Frauen in Krisenstimmung zu Wort kommen.
17.03.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Manfred Prescher präsentiert anläßlich der 275. Ausgabe seiner "Miststück der Woche"-Kolumne 24 Tracks zum Thema Beziehungskrise: 12 Songs von Frauen mit spezifischer weiblicher Sicht und 12 Songs von Männern mit der gewohnt oberflächlichen Betrachtungsweise, die uns Kerlen innewohnt.
Auf das 25. Lied einigen sich dann beide und gehen entweder getrennt ihrer Wege oder machen am Abend was Nettes miteinander.
Wer mag dieser "him" sein? Vermutlich handelt es sich um den Sänger, Dichter und Düstermann Nick Cave - einen Seelenverwandten der jüngst mit dem britischen MBE-Orden ausgezeichneten Songwriterin Polly Jean Harvey. Harvey und Cave verband zunächst eine Brieffreundschaft. Aus der wurde dann eine künstlerische Beziehung und wohl auch eine Lovestory. Aber Harvey wußte wohl, daß ihrer beider Verzweiflung auch ein hohes Zerstörungspotential innewohnte.
Angeblich entstand diese Mischung aus persönlicher "Matthäus-Passion" nebst Bibelzitat und Liebeslied extra für P. J. Harvey. Die Frage, ob jemand der oder die ist, auf die man gewartet hat, stellt sich erfahrungsgemäß erst dann, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß dem tatsächlich so ist. Natürlich muß man ohne diesen einen, besonderen Menschen nicht darben oder auf ewig keusch und züchtig leben - aber man würde den Verlust lange spüren. Hört man in spätere Werke von Harvey und Cave hinein, meint man genau das zu erkennen.
Es geht um Nähe und um Distanz - ein Thema, das wohl oft eine Rolle spielt, wenn sich zwei Menschen treffen. Sie lassen sich aufeinander ein, dann wieder nicht, sie küssen sich und schieben sich weg, küssen sich wieder ... Mit Inseln kennt sich Heather Nova übrigens aus, weil sie von den Bermudas stammt. Dort kann man den anderen nicht so besonders weit wegtreten, er würde sonst glatt im Atlantik, respektive im Bermudadreieck versinken. Aber dann wären er oder sie weg - und das will man/frau ja auch nicht.
Ja, der gute Bono von U2 hat nicht recht: "Liebe ist Blindheit" dichtete er. Liebe hat keine Augen, meinte er. Ich aber sage euch, daß das nur bedingt stimmt. Wir müssen zwischen Liebe und Verliebtheit unterscheiden. Verliebtheit ist ein Gefühl, bei dem alle möglichen Reaktionen verhindern, daß man den anderen wahrnimt. Aber Liebe funktioniert tatsächlich, wenn die Wahrnehmungsrezeptoren einwandfrei arbeiten. Trotzdem ist die Verzweiflung, die Jack White in den Song legt, einfach unglaublich. Es gibt übrigens eine wunderbare weibliche Version des Liedes - die stammt von Cassandra Wilson.
Wäre doch schön gewesen, sich einmal nicht abgrenzen zu müssen ... aber das hat nicht geklappt. Deshalb stellt Julia Stone schlicht und einfach "I´m Not Yours" fest. Das Zeichentrick-Video dazu gibt´s auf YouTube - und es ist in Verbindung mit dem Lied so ergreifend, daß eine Userin schreibt, sie müßte sich deshalb eigentlich Antidepressiva verschreiben lassen. So schlimm klingt der Song dann doch nicht - im Gegenteil: er bündelt kürzlich erlebte Verletzungen in eine wunderschön-"mollige" Melodie. Könnte glatt ein Lovesong sein.
Bei Damon Albarn und seiner Britpop-Formation Blur wird das Thema "I´m Not Yours" anders behandelt: "To The End" ist ein sanft swingender, opulent instrumentierter Soul-Song. Er sagt: "Deine Augen sind so abwesend, du träumst." Aber eben leider nicht mehr von ihm. Und was war vorher? "Ich stand Ewigkeiten still für dich ..." Das geht natürlich gar nicht. Stillstand ist der Tod einer jeden Beziehung. Der Song ist aber großes Kino, schwelgerisch, elegant und irgendwie künstlich.
Flea von den Red Hot Chili Peppers hat hier einen sehr kraftvollen Beat hinterlegt. Über diesen Groove kann Alanis Morissette all den Frust ablassen, der sich in ihr angesammelt hat, nachdem der Liebste sich einer anderen zugewandt hat. "Weiß sie, daß du mir versprochen hast, mich zu halten für den Rest unseres Lebens?" fragt sie. Aber der Beat sagt auch, daß mit den Fragen schon die Verarbeitung angefangen hat. Das Leben geht ohnehin weiter ...
Der am 27. Oktober vergangenen Jahres verstorbene Großmeister Lou Reed hat uns viele Lieder über tragische Beziehungen hinterlassen. In diesem speziellen Fall singt er, daß sie sein Herz schon so oft gebrochen hat - aber eben auch, daß er sie immer lieben wird. Gesund ist das freilich nicht, weil es die Grenze zum Reich des Masochismus überschreitet.
Darüber gibt es bereits ein Miststück, aber das macht ja auch gar nichts. Dieser Song ist grundsätzlich überkandidelt positiv, ein Muntermacher von der Art, der einem befiehlt, den alten Kram wegzuschmeißen und im Hier-und-Heute zu leben. Natürlich wird so ein Lied dann selber zwangsläufig rasch vergessen.
Was für ein Monument, das Chips Moman da mit und für Elvis Presley produziert hat. Es ist einer der besten Popsongs aller Zeiten - und handelt von der Zerfleischung des anderen und des eigenen Selbst durch andauerndes Streiten. Helge Schneider übersetzt "Suspicious Minds" daher völlig zu recht mit "zerstückelte Gehirne". Von diesem Lied gibt es weitere wunderbarliche Versionen - unter anderem von den Fine Young Cannibals und als geniale Ladies-Variante von Dee Dee Warwick.
Ich erinnere mich an all das Schöne, das wir hatten. Erinnerst du dich auch? Da waren so viele Kleinigkeiten, wir gemeinsam beim Spazieren durch den Frühling, Hand in Hand. Hast du das vergessen? In mir ist das immer präsent, und ich möchte all das mit dir wieder erleben. Die Kölner Band Klee besingt dieses Gefühl von Wehmut, das sich dann ergibt, wenn Herz und Gedächtnis einer schönen Zeit nachspüren.
Die Liebe wird uns definitiv auseinanderbringen, meint Ian Curtis. Man muß dem bis zu seinem Selbstmord schwer depressiven Mann zugute halten, daß er nicht an eine positive Entwicklung von Beziehungen glauben konnte. Deshalb empfehle ich, daß ihr im Anschluß an diesen Song direkt Captain & Tennille mit ihrem 1975er-Riesenhit "Love Will Keep Us Together" hört. Das ist einfach trostreicher.
Mann und Frau harmonieren irgendwie doch ganz prächtig miteinander. Sie an der Yamaha-Orgel, er an der Wandergitarre. Dazu ein recht rauher, hoher Bariton und eine sehr schöne, warme Sopranstimme. Ja, das paßt perfekt. Die beiden lassen sich zumindest gemeinsam in dieses hoffnungsfrohe Lied fallen. Und ich? Mit diesem Mutmacher laß ich euch für dieses Mal raus aus der Kolumne.
Nächste Woche erfülle ich dann dem EVOLVER-Herausgeber einen Wunsch. Da fallen mir grad jetzt schon die Ohren ab, deshalb höre ich noch ein paar Sekunden "Falling Slowly". Und ihr? Ihr bleibt am besten, wie ihr seid - was anderes bleibt euch sowieso nicht übrig.
Seit mehr als sechs Jahren sorgt Manfred Prescher dafür, daß sich das montägliche Aufstehen tatsächlich lohnt. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Österreichs Ehrenbürger und liefern Ihnen einen Überblick über die bisherigen Jubiläums-"Miststücke".
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Kommentare_
danke für die tolle playlist!