Kino_The Happening

Plötzlicher Windstod

Draußen ist feindlich: In M. Night Shyamalans Rehabilitationsversuch sehen nicht nur kleine Buben ziemlich viele tote Menschen. Wurden die Opfer von der Natur in den Massensuizid getrieben? Oder muß als Erklärung die obligatorische Inder-Überraschung herhalten?    12.06.2008

Sie fallen von den Dächern wie die Fliegen, knüpfen sich in Scharen an Bäumen auf, fahren sehenden Auges gegen Bäume und in Seen oder legen sich überhaupt gleich unter den fahrenden Riesenrasenmäher. Irgendetwas ist nicht in Ordnung mit den Menschen an der US-Ostküste, die sich da kollektiv und ohne ersichtlichen Grund selbst richten. Und bei denen, deren Überlebenstrieb noch nicht deaktiviert wurde, greift Panik um sich. Was geht da vor? Ein terroristischer Angriff, der die Leute mittels Giftgas zum Massensuizid treibt? Oder etwas noch viel Mysteriöseres? Keine Frage: Die Flucht nach vorn ist angesagt - was gar nicht so einfach ist, wenn man nicht weiß, wovor man eigentlich wegläuft. Das muß auch der Biologielehrer Elliot Moore (Mark Wahlberg) erkennen, der sich zusammen mit seiner Frau Alma (Zooey Deschanel), dem Lehrerkollegen Julian (John Leguizamo) und dessen Tochter Jess Richtung Hinterland aufmacht, um der Lemmingisierung zu entkommen ...

Das Kino des Exil-Inders M. Night Shyamalan ist seit seinem Durchbruchsfilm "The Sixth Sense" geprägt von zwei Erfolgsvariablen: zum einen von der obligatorischen "pfiffigen" Drehbuchidee, die dem Film (zumeist zum Ende hin) einen unvorhersehbaren Twist verleiht, zum anderen von seiner ureigenen Produktionsästhetik, die gemeinhin Schreckensbilder zu erzeugen weiß, die man so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Im besten Falle verschränken sich diese beiden Vorzüge zu einem Meisterwerk wie "The Village", im schlechtesten macht ein schlimmer Script-Schlenker das zuvor so grandios aufgebaute Szenario einfach nur völlig kaputt und entwertet es nachhaltig - wie in "Signs". "The Happening" fällt nun eher in zweitere Kategorie, aber eben nur "eher". Denn - um gleich einmal fies zu spoilen - auf die große Überraschung wartet man hier vergeblich. Ob das daran liegt, daß sich Regisseur, Autor und Produzent in Personalunion Shyamalan nach der Peinlichkeit zur Potenz namens "Lady In The Water" nicht mehr auf seine Rolle als one trick pony festlegen lassen möchte, sei dahingestellt.

 

So kommt es jedenfalls, daß er in "The Happening" die einzig wirklich gute Idee gleich zu Anfang verbrät und sich damit über die Spielzeit zu retten versucht. Das gelingt lange Zeit auch erstaunlich gut - genauso lange eben, wie sich die Flucht vor der Suizidwelle mit immer neuen grotesken und schauderlichen Szenarien ausschmücken läßt. Hier operiert Shyamalan beinahe in Hochform: Das hilflose Geworfensein in eine offensichtlich feindliche und unbarmherzige Umwelt/Natur (siehe "The Village") gipfelt in einer beklemmend aussichtslosen Lage, in einem Fatalismus, den man so auch schon an der ersten Hälfte von "Signs" geschätzt hat. Spätestens, als man sich auf ein furioses oder zumindest fintenreiches Finale einstellen möchte (eigentlich jedoch schon lange davor), sackt der Film aber minütlich immer mehr in sich zusammen, gehen MNS zunehmend die Einfälle aus. Da gibt es dann nur noch ein wenig Hinterwäldler-Bashing (die Typen kommen allesamt als "Deliverance"-ähnliche Psychos und Schrulle rüber), ein wenig skurriles Geblödel, unmotiviertes und schlecht geschriebenes Eheproblemewälzen und ein Ende, das diesen Namen - nicht nur für Shyamalan-Verhältnisse - nicht verdient hat. Freiwilliger Verzicht auf die Indian surprise ist ja schön und gut, aber etwas mehr dürfte es gern sein; vor allem, wenn man nach dem öden Meerjungfrauendebakel ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand steht. Oder handelt es sich hierbei lediglich um den Pilotfilm zu einer noch zu startenden Serie? Das würde das unentschlossene Gezaudere zum Schluß hin wohl noch am ehesten erklären ...

Christoph Prenner

The Happening

ØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2008

95 Min.

Regie: M. Night Shyamalan

Darsteller: Mark Wahlberg, Zooey Deschanel, John Leguizamo u. a.

Links:

Kommentare_

TarrEL - 14.06.2008 : 20.25
Mal so ganz ehrlich...Der Film ist weder spannend, noch gruselig, noch irgendwie übermäßig gut von der Story her...
naja...lassen wir ihn stehen als schlechten Versuch, die Umweltverschmutzung zum Armageddon durch Suizid zu stilisieren.

Kino
Viennale 2012/Journal III

Me vs. The Mob

Im finalen Teil der EVOLVER-Festival-Berichterstattung müssen sowohl Woody Harrelson als auch Mads Mikkelsen mit einem ihnen feindlich gesinnten Umfeld fertig werden - freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hereinspaziert in "Rampart" und "Jagten".  

Kino
Viennale 2012/Journal II

Sehen und Raunen

Alte Helden, neue Helden: Takeshi Kitano findet in "Autoreiji: Biyondo" langsam wieder zu seiner Form zurück, verheddert sich aber letztlich zu sehr in der Handlung. Dafür darf Ben Wheatley nach "Sightseers" endgültig in die Riege der erstaunlichsten europäischen Regisseure aufgenommen werden.  

Kino
Viennale 2012/Journal I

Perspektiven-Rausch

Bleibende Eindrücke der ersten Viennale-Tage: Die akribische Doku "Room 237" zerlegt "The Shining" in alle Einzelbilder, die große Matthew-McConaughey-Schau "Killer Joe" dafür Hendln in mundgerechte Portionen.  

Kino
Das Bourne Vermächtnis / Interview Jeremy Renner

Der zweite Mann

Plötzlich A-List: Spätestens seit seinen Auftritten im "Avengers"-Film und im vierten "Mission: Impossible"-Teil gilt Jeremy Renner als Hollywoods kommender Superstar, auch wenn er darin eher nur in der zweiten Reihe stand. Im aktuellen "Bourne"-Sidequel spielt er nun auch erstmals in einem Blockbuster die Hauptrolle - zumindest so lange, bis Matt Damon wieder zurückkehrt. Der EVOLVER hat den 41jährigen zum Interview getroffen.  

Kino
/slashfilmfestival 2012

Sieben /slash-Schönheiten

Daß das /slashfilmfestival im Wiener Filmcasino eine gar nicht genug zu lobende Bereicherung der heimischen Kinolandschaft darstellt, hat sich längst herumgesprochen. Der EVOLVER stellt ausgewählte Glanzlichter des dritten Durchgangs vor.  

Kino
Viennale 2011/Journal III

Sturm und Zwang

Das dritte und letzte Kapitel unserer Viennale-Berichterstattung steht im Zeichen der Unruhe vor dem Sturm - und damit der beeindruckendsten Arbeit des Festivals: "Take Shelter".