Kino_Snowpiercer

"Know your place. Accept your place. Be a shoe."

Ein gigantischer Zug transportiert den letzten Rest der Menschheit durch eine erfrorene Welt. Der südkoreanische Regisseur Joon-ho Bong adaptiert die französische Graphic Novel "Snowpiercer" in martialischer Bildgewalt. Mit namhafter Besetzung pflügt sich das wuchtig-parabelhafte Spektakel in die Oberliga des Endzeitgenres.    22.04.2014

Um der Erderwärmung entgegenzutreten, pumpt die Regierung einer nahen Zukunft eine neuartige Substanz in die Atmosphäre. Die sich einstellende Wirkung ist so desaströs wie nachhaltig - nahezu die gesamte Menschheit erfriert in einer neuen Eiszeit, die den Planeten rasant überzieht. Im Jahre 2031 peitscht ein gewaltiger Personenzug, der die Überreste der menschlichen Population als letzte, mobile Zuflucht beherbergt, bereits seit 17 Jahren durch die Schneewüsten des vormals "Blauen Planeten". Angetrieben von einer ominösen Maschine, die einst von dem als Quasi-Gottheit verehrten Mr. Wilford erschaffen wurde, bietet das Stahlmonster nicht nur Schutz vor der todbringenden Kälte, sondern bildet auch einen konzentrierten Mikrokosmos gesellschaftlicher Hierarchien ab: Am Zugende verelendet die zerlumpte Unterschicht, unterdrückt von den Sicherheitstruppen einer in Dekadenz schwelgenden Elite. Nach einer Reihe mißlungener Umsturzversuche setzt die Gruppe um den wild entschlossenen Curtis (Chris Evans), seinem Protegé Edgar (Jamie Bell) und dem weisen Gilliam (John Hurt) alles auf eine Karte, um Wilfords Herrschaft ein Ende zu bereiten.

 

Ausgehungert und desillusioniert bleibt Curtis und seinen Anhängern nur die Revolution. Ihr Aufbegehren richtet sich gegen die grausamen Gesetzmäßigkeiten eines Terrorregimes, das aus der Apokalypse hervorgegangen ist: In Wilfords Welt erfüllt jede Personalie eine festgelegte Funktion, arbeiten und leiden die Unterprivilegierten für den Wohlstand der Oberschicht. Genretypisch finden sich auch in "Snowpiercer" allegorische Querverweise und Übersteigerungen, die von den Ungerechtigkeiten real existierender Gesellschaftsordnungen abgeleitet werden. Angesichts des praktisch bereits vollzogenen Weltuntergangs kommt es in Wilfords fahrender Festung zu barbarischen Zäsuren und setzen sich darwinistische Konzepte durch, deren Realisierung wiederum die Schwächsten der verbliebenen Rumpfgesellschaft trifft.

Der Aufstand im Bauch des rasenden Ungeheuers führt in phantastisch anmutende Parallelwelten, die sich bis in die Frontbereiche des Zuges zu einem bizarren Panoptikum ausweiten. Innerhalb dieser facettenreichen Bilderwelten mündet der Aufeinanderprall der Klassen in einem blutigen Gemetzel. Joon-ho Bong serviert diese optischen Leckerbissen der härteren Gangart, ohne dabei seine parabelhafte Story in den Hintergrund treten zu lassen. Gekonnt bedient der Regisseur die Spannungsschraube und nimmt sich Zeit für charakterdefinierende Sequenzen, aus denen heraus sich geschärfte Figuren in all ihrer Verzweiflung gegen das System stellen.

 

An deren Spitze steht Chris "Captain America" Evans, dessen porentief reiner Marvel-Superheld zunächst schnell in Vergessenheit gerät, obgleich Curtis´ moralischer Kodex und unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn schließlich eine Brücke zu Evans Paraderolle schlagen. John Hurts Gilliam atmet hingegen den Geist von Edward G. Robinsons Filmfigur Sol Roth aus "Soylent Green": Aus einer untergegangenen Zeit stammend, vom unbarmerzigen Paradigmenwechsel gebeugt, aber nicht gebrochen, zeigt er standhaft Flagge und schafft letztlich Platz für eine nachrückende, womöglich letzte Generation. Als Wilfords Adjutantin verleiht indes eine groß aufspielende Tilda Swinton in der Rolle des exzentrischen Kinderschrecks Mason den Unterdrückern ein hassenswertes Antlitz.

Joon-ho Bong ("The Host", "Mother") entfesselt einen Endzeit-Actioner, dem ein filmisches Verwandtschaftsverhältnis zu "Mad Max", "12 Monkeys" und "Children Of Men" unterstellt werden darf, wobei sich die Umsetzung von Jacques Lobs "Le Transperceneige" einfallsreich auf Augenhöhe mit den genannten Genregrößen behaupten kann.

Dietmar Wohlfart

Snowpiercer

ØØØØ

(Fotos: Thimfilm)

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(Korea/USA/F/Tschechien 2013)

126 Min.

Regie: Joon-ho Bong

Darsteller: Chris Evans, Tilda Swinton, Jamie Bell u. a.

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