Kino_Sin City
Eine schwarzweiße Männerschrift
Robert Rodriguez setzt mit der Verfilmung von Millers Stadt der Sünde neue visuelle Maßstäbe und liefert eine Extravaganza, die das Prädikat "sehenswert" im wahrsten Wortsinn verdient.
12.08.2005
Walk down the right back alley in Sin City and you can find anything.
Knapp 14 Jahre nach Veröffentlichung des ersten Bandes von Frank Millers Noir-Epos "Sin City" kommt das Meisterwerk der lebenden Comic-Legende dank Robert Rodriguez´ Einsatz und mit reichlich Verspätung endlich auch in unsere Kinos. Dem Tarantino-Spezi und Guerilla-Filmemacher gelang damit das Unmögliche, hatte sich Miller doch nach einigen unglücklichen Begegnungen mit der Traumfabrik geschworen, sein Hardboiled-Juwel unter kreativem Verschluß zu halten. Doch was sich Rodriguez in den Kopf setzt, kann er auch umsetzen - was er bereits 1992 mit seinem Lowest-Budget-Debüt "El Mariachi" bewiesen hatte.
Auf eigene Kosten wurde kurzerhand ein kleines Stück (die Kurzgeschichte "The Babe Wore Red") des Millerschen Opus auf HD-Video* gebannt und dem Maestro zur Begutachtung vorgelegt. Und der war beim Anblick des Ergebnisses wie weggeblasen.
This is blood for blood and by the gallon. These are the old days, the bad days, the all-or-nothing days. They're back! There's no choice left. And I'm ready for war.
Marv
So ließ sich Miller gleich als Co-Autor bzw. Regisseur anwerben, damit die Verfilmung auch wirklich werkgetreu werden würde und weil ihn Fanboy Rodriguez unbedingt mit an Bord haben wollte. (Was ihn übrigens seine Mitgliedschaft in der amerikanischen Directors Guild kostete, da diese nur einen Regisseur pro Film gelten läßt. Kreative Beamte eben.)
Gemeinsam wählte man drei der Sin-City-Bände und verwob sie zu einem betörenden Ganzen.
In "Stadt ohne Gnade" dreht sich alles um den Schlägertypen Marv, dem man den Mord an der Prostituierten Goldie in die Schuhe schieben will. (Lesen Sie dazu die ausführliche EVOLVER-Besprechung von "Sin City #1"). "Das große Sterben" handelt von Dwight, der sich mit den Angewohnheiten des obsessiven Ex seiner Herzensdame gar nicht anfreunden kann. Frauen schlägt man nämlich nicht. Nicht einmal in Sin City. Nachdem er dem psychopathischen Taugenichts mittels Haarwäsche in der Kloschüssel eine schnelle Lektion erteilt hat, heftet er sich an seine Fersen, um ihn im Auge zu behalten. Dummerweise führen in dieser Nacht alle Wege in die Altstadt. Wo die Damen der Nacht das Sagen haben. Und dort geht einfach alles schief, was schiefgehen kann, die ohnehin miese Nacht endet in einem Massaker.
I'm Shellie's new boyfriend and I'm out of my mind. If you so much as talk to her or even think her name, I'll cut you in ways that'll make you useless to a woman.
Dwight
Episode drei - "Dieser feige Bastard" - erzählt von Hartigans letzten Stunden als Cop. Seinerzeit wegen eines pädophilen Kretins aus der Oberschicht schwer unter Beschuß und letztlich in den Knast gekommen, sucht ihn plötzlich die Vergangenheit heim und lehrt ihn erneut, daß Justitias Augen blind sind, wenn es um Gegner mit Geld und Einfluß geht. Doch es gilt das inzwischen zur Frau herangereifte Mädchen von damals ein zweites Mal zu retten ...
And after I pull off that miracle, maybe I'll go punch out God
Hartigan
Was Rodriguez hier mit "Sin City" auf die Leinwand bringt, hat es bis dato noch nie gegeben: ein visueller Genuß, gleich einem düsteren Sinnesrausch und komplett vor dem Green Screen entstanden, der ganz nebenbei - wie seinerzeit Miller für die Comicwelt - den Geist der schwarzen Serie erfolgreich in die Moderne transportiert und selbst der degenerierten MTV-Generation um die Ohren prügelt. Ohne zusätzliche dramaturgische Verdichtung für das Medium wurden die schwarzweißen Visionen des Düsterpoeten fast Frame für Frame auf HD-Video übernommen und gelegentlich mit Farbklecksen akzentuiert, sodaß den Zuseher ein zweistündiges Spektakulum erwartet, das er so schnell nicht wieder vergißt: klassische Noir-Plots, zur Potenz übersteigert, von Rodriguez (auch an der Kamera) stilistisch kongenial in Bildern eingefangen und mit einer Besetzung, wie man sie nur selten erleben darf. Der göttliche Mickey Rourke, endlich aus der filmischen Gosse befreit, gibt einen unvergesslichen Marv, Bruce Willis den straighten Hartigan und Clive Owen den knallharten No-Nonsense-Dwight. Den dunklen Rittern stehen als weibliche Heroinen und verruchte Rachegöttinen unter anderem Rosario Dawson, Jessica Alba und Jaime King gegenüber, während in Nebenrollen Kaliber wie Michael Madsen, Rutger Hauer oder Benicio Del Toro mitmischen, wenn es um Straßenkämpfe, Korruption oder einfach nur das Schlechte im Menschen geht. Und davon gibt es reichlich, in Sin City.
Fazit: Dank seiner für Hollywood unorthodoxen - und dadurch kreativ uneingeschränkten - Arbeitsweise ist es Autorenfilmer Rodriguez somit nicht nur gelungen, ein großartiges Comic werkgetreu zu verfilmen, sondern sich (und natürlich Miller) gleichzeitig ein Denkmal in der Filmgeschichte zu setzen. Und wir meinen nicht die, wo "Citizen Kane" oder "Die Kinder des Olymps" das Sagen haben.
I don't hear you giving me any name, jerk. Guess when I shot you in the belly, I aimed a little too high.
Marv
PS: Der bereits angekündigten DVD-Special-Edition, die neben dem Kinofilm auch alle drei Geschichten in ihrer vollen Länge beinhalten wird, darf man nach dem Kinobesuch übrigens ebenso entgegenfiebern wie der Tatsache, daß Zack Snyder, Regisseur des wunderbaren "Dawn of the Dead"-Remakes, laut neuesten Gerüchten die Verfilmung von Millers "300" in Angriff nehmen will.
Jürgen Fichtinger
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