Kino_Die Fremde in dir

Jodie´s Got A Gun

Jodie Foster wandelt auf Charles Bronsons Spuren, wenn sie in der Rolle eines Gewaltopfers das Gesetz selbst in die Hand nimmt. Neil Jordans neuer Streifen ist ein feministischer Selbstjustiz-Thriller, der an seiner eigenen Unentschlossenheit krankt.    27.09.2007

Die Grenze zwischen Rache und Selbstjustiz ist fließend. Wo die eine aufhört und die andere beginnt, läßt sich im Einzelfall nur schwer klären. Der Koreaner Chan-wook Park hat mit seiner Rache-Trilogie in einer zerbrechlichen, wunderschönen Verpackung die unterschiedlichen Facetten dieses extremen menschlichen Gefühlszustandes beschrieben. Seine Filme wie "Old Boy" und "Sympathy for Mr. Vengeance" zeigten, wie sich der Mensch verändert, wenn er nur noch für einen Gedanken lebt, für ein Ziel, für dessen Erfüllung er alles zu opfern bereit ist.

Auch im amerikanischen Kino ist der Selbstjustiz- und Rachegedanke als immer wiederkehrendes Motiv fest verankert. Unvergessen bleibt, wie Charles Bronson in "Ein Mann sieht rot" den Tod seiner Frau rächen möchte und daran zerbricht. Zumeist waren es Männer, die zum Gegenschlag ausholten und das Recht selbst in die Hand nahmen. Ausnahmen wie die japanische "Kill Bill"-Inspiration "Lady Snowblood" oder der seinerzeit kontrovers diskutierte schwedische Thriller "A Cruel Picture", in denen Frauen für ihre erlittenen Qualen selbst den Blutzoll einforderten, bestätigen nur die Regel. Vor allem waren es kleinere Produktionen, Genrefilme, die mal mehr, mal weniger explizit den Rachefeldzug beschrieben. Insofern ist es schon eine Rarität, wenn sich ausgerechnet der Mainstream - also Hollywood - eines solchen Themas annimmt und die Geschichte noch dazu aus weiblicher Sicht erzählt. Neil Jordans jüngste Regiearbeit "Die Fremde in dir" macht genau das.

 

Die zweifache Oscar-Preisträgerin Jodie Foster spielt die Radiomoderatorin Erica Bain. In ihrer Sendung "Street Walk" fängt sie den Rhythmus und das Lebensgefühl New Yorks ein. Sie liebt die Stadt und das, was sie verkörpert - bis zu einem tragischen Zwischenfall. Bei einem Spaziergang mit ihrem Verlobten David (Naveen Andrews) durch den Central Park stellen sich ihnen einige zwielichtige Gestalten in den Weg. Zuerst verhöhnen sie Erica und David, dann schlagen sie brutal auf das Paar ein. David wird dabei so schwer verletzt, daß er kurze Zeit später im Krankenhaus stirbt; Erica überlebt. Obwohl sie äußerlich recht bald wieder die Alte zu sein scheint, sieht es in ihrem Inneren ganz anders aus. Plötzlich ist Angst ihr ständiger Begleiter. Die Straßen New Yorks, in denen sie sich einst so selbstsicher bewegte, werden ihr zunehmend fremd. Als die Angst übermächtig zu werden droht, beschließt sie, sich eine Schußwaffe zu kaufen.

An dieser Stelle setzt die eigentliche Dramaturgie des Rache- und Selbstjustiz-Plots ein. Durch die Waffe wird Erica - anfänglich, ohne es zu merken - zu einem anderen Menschen. Der unscheinbare Gegenstand verändert zur Gänze ihren Charakter. Als sie sich das nächste Mal zur falschen Zeit am falschen Ort aufhält, sieht sie sich gezwungen, von der Waffe Gebrauch zu machen. Was angesichts der Umstände auch Notwehr sein könnte, nimmt im weiteren Verlauf immer mehr Züge eines kalkulierten Selbstjustizplans an. Schon bald rätseln die Medien, wer denn dieser mysteriöse Unbekannte sein mag, der da das Gesetz derart unmißverständlich selbst in die Hand nimmt. Auch Detective Sean Mercer (Terrence Howard) würde hierauf nur zu gerne eine Antwort wissen.

 

Nach dem verträumt-märchenhaften "Breakfast on Pluto" wechselte Regisseur Neil Jordan für "Die Fremde in dir" Genre und Tonlage. Die Story, die als feminine Version von "Ein Mann sieht rot" daherkommt, will düster, tiefsinnig und provokant erscheinen. Doch selbst einem Kreativen wie Jordan sind angesichts der dünnen Vorlage von Roderick und Bruce A. Taylor die Hände gebunden. Ihr Drehbuch krankt in erster Linie an der fehlenden Konsequenz: Das Endprodukt erscheint letztlich als verquere Hybris zwischen anspruchsvollem Charakterdrama und platter Rache-Demontage. Für eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit Ericas Seelenleben, mit ihren Ängsten und Abgründen, folgt der Film zu straff seiner simplen Agenda aus Rache und Selbstjustiz. Für einen echten Reißer schleppt sich dagegen das Tempo über weite Strecken viel zu behäbig dahin. Die Action reduziert sich dabei auf einige kurze Gewalt-Intermezzi, die von Jordan und Kameramann Phillipe Rousselot zumindest recht ansehnlich bebildert wurden.

Jodie Fosters ursprünglich als Journalistin angelegte Rolle wurde auf ihren Vorschlag hin in die einer Radiomoderatorin abgeändert. Da sie in ihrem Beruf nur über ihre Stimme wahrgenommen wird, sei die Entscheidung leicht gefallen, die Handlung von Erica als Off-Erzählerin kommentieren zu lassen. Auch wenn den Machern bewußt war, wie gefährlich der Einsatz von Voice-over-Passagen ist, weil sie vom Zuschauer doch oft als überflüssig und redundant wahrgenommen werden, passiert hier genau das: sie sind redundant und überflüssig. Wenn Erica nach einer ihrer Taten in den Spiegel sieht, hören wir, wie sie sich genau den Fragen stellt, die sich bereits in ihrem Blick abzeichnen.

 

Auch die Idee, die einsame Rächerin auf einen ebenso einsamen Gesetzeshüter treffen zu lassen, der Verständnis für sie aufbringt und ihr später sogar hilft, zeichnet sich nicht unbedingt durch Originalität aus. Immerhin stehen hier mit Terrence Howard und Jodie Foster zwei Schauspieler vor der Kamera, denen man ob ihrer Klasse und Präsenz einfach gerne zusieht - ganz egal, wie dümmlich das Rollenkonstrukt auch sein mag, in das sie das Drehbuch zwängt. Bei Foster fällt auf, daß sie in ihren letzten Filmen ("Panic Room", "Flightplan") bereits durchaus vergleichbare Rollen übernommen hat. Offensichtlich hat sie Gefallen daran gefunden, Frauen zu verkörpern, die mit aller Entschlossenheit ihren Peinigern gegenübertreten.

Egal, mit wieviel Wohlwollen man dem Film als Zuschauer begegnet - als Beitrag zu einer ehrlich gemeinten Auseinandersetzung über die Folgen erlebter Gewalt eignet sich "Die Fremde in dir" nur sehr bedingt. Das zeigt sich vor allem an Ericas Taten. Die werden von Jordan expliziter als eigentlich nötig abgefilmt, ganz so, wie es Vertreter des Exploitation-Kinos seit mehr als drei Jahrzehnten vormachen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Nur bedarf es dazu keines halbherzigen dramatischen Überbaus, der die Dynamik des an sich schlichten Plots immer wieder aufs Neue ausbremst.

Marcus Wessel

Die Fremde in dir

ØØ 1/2

(The Brave One)


USA 2007

119 Min.

Regie: Neil Jordan

Darsteller: Jodie Foster, Terrence Howard, Naveen Andrews u. a.

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