Kino_Brügge sehen ... und sterben?

Wandern in Flandern

Zwei irische Profi-Killer, eine geheimnisvolle blonde Schönheit, ein rassistischer Zwerg und eine graue Eminenz, die keinen Spaß versteht: Im malerischen Brügge kreuzen sich die Wege all dieser Akteure in einem äußerst blutigen Shootout.    16.05.2008

Für manche ist es das "Venedig des Nordens": Brügge, das mit rund 100.000 Einwohnern beschauliche Städtchen im Westen Flanderns, bezaubert nicht nur durch seinen mittelalterlichen Stadtkern, der von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Mit seinen zahlreichen Kanälen und den gut erhaltenen gotischen Bauten erinnert dieser Flecken Belgiens an das wirklich alte Europa. Es ist ein Ort wie aus dem Märchen, den jeder einmal besucht haben sollte, bevor er aus dieser Welt scheidet. Das meint jedenfalls Harry (herrlich fies: Ralph Fiennes), der Boß der beiden Auftragskiller Ken (Brendan Gleeson) und Ray (Colin Farrell). Er schickt seine Bediensteten nach Brügge, wo sie auf weitere Instruktionen warten sollen.

Bis die kommen, vertreiben sich die beiden die Zeit mit Sightseeing. Zumindest Ken zeigt sich von der imposanten Kulisse und den alten Gebäuden schwer beeindruckt. Ray folgt seinem partner in crime nur widerwillig. Sein Interesse gilt vielmehr der Damenwelt im allgemeinen und der geheimnisvollen Chloë (Clémence Poésy), die er am Set eines Films kennenlernt und die ihn sofort in seinen Bann zieht, im besonderen. Als Ken schließlich die Einzelheiten seines neuen Auftrags erfährt, fühlt er sich, als habe man ihm gerade den Boden unter den Füßen weggezogen. Er soll Ray beseitigen, schnell und möglichst diskret. Der hat nämlich bei einem früheren Einsatz - salopp gesprochen - Mist gebaut; eine Sache, die ihn bis heute beschäftigt.

 

Profi-Killer sind auch Menschen mit Prinzipien und (einer für Außenstehende nicht immer nachvollziehbaren) Moral. Der englische Filmemacher Martin McDonagh entwirft mit "Brügge sehen … und sterben?" ein pechschwarzes Berufsporträt, das in der Tradition anderer "Killer mit Gewissen"-Geschichten wie "Ein Mann, ein Mord" und "Mord und Margaritas" steht. Die Umschreibung als Komödie dürfte wohl nicht wenige zu falschen Schlüssen verleiten. Immerhin ist der Humor alles andere als leicht und massenkompatibel. Eine Pointe, die auf die schweren Mißbrauchsfälle der letzten Jahre in Belgien anspielt, ist dafür der beste Beweis. Das Lachen kann einem hier öfters im Halse stecken bleiben - wobei der Mut, mit dem sich McDonagh seinem abseitigen Sujet nähert, Respekt und Bewunderung abnötigt.

Überhaupt zeichnet sich der Film durch einen äußerst spielerischen Umgang mit verschiedenen Genres und Stimmungen aus. Nie kann man sich wirklich sicher sein, wohin die Reise geht. Das Überraschungsmoment zieht sich dabei bis in die letzte Szene, wo alle Fäden eines Nachts auf dem mittelalterlichen Marktplatz zusammenlaufen und uns der Film eine geniale, weil in sich schlüssige Auflösung liefert, bei der reichlich Blut vergossen wird. Zartbesaitete Gemüter sollten um "Brügge sehen … und sterben?" ohnehin einen großen Bogen machen, wird die Gewalt von McDonagh doch stets recht deutlich in Szene gesetzt.

Der Regisseur, der für seinen Kurzfilm "Six Shooter" 2006 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, ist dennoch keiner, der eine Geschichte entlang einzelner blutiger Gemetzel konstruieren würde. Mit Ausnahme der letzten 20 Minuten scheint McDonagh eher bewußt das Tempo zu verschleppen und mit Action im physischen Sinn zu geizen. Für ihn stehen vielmehr die Charaktere im Vordergrund: was sie denken, was sie beschäftigt, welche Werte und Moralvorstellungen sie vertreten. Nebenbei nutzt er den scheinbar oberflächlichen Sightseeing-Trip durch Brügge für einen tiefen, profunden Blick in die Seelen seiner Protagonisten. Während Ken für die alten Gemäuer und Kirchen vor allem Bewunderung empfindet und ihn das katholische Erbe der Stadt mit Stolz erfüllt, will sich Ray vor den bizarren, grausamen Gemälden eines Hieronymus Bosch - dessen Triptychon "Das jüngste Gericht" von McDonagh nicht zufällig ins Bild gerückt worden sein dürfte - am liebsten verstecken.

Nicht nur, weil seine beiden Hauptcharaktere Iren sind, ist "Brügge sehen … und sterben?" ein durch und durch katholischer Film. Er behandelt den Umgang mit persönlicher Schuld und der qualvollen Suche nach Vergebung. Colin Farrell mimt den aufbrausenden, dabei aber immer auch unsicheren, von Selbstzweifeln geplagten, reumütigen Sünder derart überzeugend, daß man sich glatt fragt, wieso der Schauspieler so lange auf sein Casanova-Image reduziert wurde. Wer einen solch komplexen Charakter glaubhaft verkörpert, muß sein Handwerk einfach beherrschen. Letzteres trifft übrigens auch auf McDonagh zu, der Brügge zu einem Touristenschub und dem Kinojahr 2008 zu einem echten Höhepunkt verholfen haben dürfte.

Marcus Wessel

Brügge sehen ... und sterben?

ØØØØ 1/2

(In Bruges)

Leserbewertung: (bewerten)

Belgien/GB 2008

105 Min.

Regie: Martin McDonagh

Darsteller: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Ralph Fiennes u. a.

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