Kino_Brügge sehen ... und sterben?

Malerische Morde

Der Dramatiker Martin McDonagh zeigt in seinem Langfilmdebüt einen Hang zum Bizarren und macht aus einem ernsthaften Inhalt eine abstruse Tragikomödie.    08.05.2008

Zwei Auftragskiller in einer märchenhaften Stadt: Was dabei herauskommt, zeigt uns Martin McDonagh - und wählt dabei als Schauplatz ausgerechnet die belgische Stadt Brügge, die für ihre pittoreske Atmosphäre und malerische Architektur bekannt ist, aber weniger für Mord und Totschlag. Der irische Dramatiker und Filmemacher Martin McDonagh schrieb groteske Theaterkomödien wie "The Lieutenant of Inishmore" und gewann für seinen Kurzfilm "Six Shooter" einen Oscar. Auch in seinem ersten Kinofilm "In Bruges" präsentiert gibt er sich makaber und zeigt, daß er aus ernsthaften Themen wilde und wahnwitzig anmutende Lustspiele machen kann. Wie oft kommt es schon vor, daß die brutale Schießerei zwischen einen dem Tode geweihten Auftragsmörder und seinem Boß zum Lachen anregt?

Die Geschichte entfaltet sich im Herzen Brügges. Die Killer Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson) sollen dort Urlaub machen oder sich vielmehr verstecken - das wissen die beiden selbst nicht genau, sondern nur, daß sie von ihrem Auftraggeber dorthin geschickt wurden. Während Ken die Sehenswürdigkeiten und kulturellen Angebote der Stadt in vollen Zügen genießt, ist Ray hauptsächlich damit beschäftigt, Brügge als "Drecksloch" zu beschimpfen und sich mit Touristen wie Einwohnern anzulegen. Was hinter der aufgesetzten Fassade des unsanften Rüpels steckt, stellt sich schon bald heraus. Ray ist keineswegs ein herzloser Mörder, sondern kann einfach nicht verarbeiten, daß er am Tod eines kleinen Buben schuld ist. Hier beginnt das eigentliche Problem der Geschichte. Während Ken versucht, seinem Freund und Kollegen beizustehen, ist ihr Boß Harry anderer Meinung: Er beauftragt ihn, Ray umzubringen.

 

Ray und Ken sind also kein typisches Duo à la beste Freunde oder Partner, sondern haben eine viel verstricktere Beziehung zueinander. Der jüngere Ray ist ein Kind im Körper eines Mannes - was Colin Farrell mit unglaublicher Überzeugungskraft mimt. Selten hat man ihn so glaubwürdig und ausdrucksstark gesehen. Ken, der ältere der beiden, ist auch der verantwortungsvollere, der, zu dem Ray aufsieht. Hinter der auf den ersten Blick einfachen Freundschaft steckt eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung. McDonagh nimmt sich Zeit, diese zu erklären und begreiflich zu machen.

Mit der Anmut eines Fünfjährigen wandert Ray durch die ihm verhaßte Stadt und geht Ken auf die Nerven, wo er nur kann. Gleichzeitig legt er eine fast schon erschreckende Ernsthaftigkeit an den Tag. Doch es bleibt nicht viel Zeit, sich auf die traurigen oder drückenden Momente zu konzentrieren. McDonagh jagt mit seinem Drehbuch von einem Dialog zum nächsten und bietet dabei eine ganze Bandbreite an Humor auf - vom schwarzen über grotesken bis zum für ihn typischen aberwitzigen. Pointiert läßt er die Figuren ihre Geschichten erzählen und dabei keine Gelegenheit für einen politisch unkorrekten, bizarren oder absurden Witz aus. Angefangen bei der Beziehung zwischen Ken und Ray über deren vollkommen verrückten Auftraggeber (Ralph Fiennes in Höchstform) oder Rays auffallende Sympathie für Liliputaner bis hin zu seiner Beziehung zur Einheimischen Chloé: Das Drehbuch ist voll mit Humor, Ironie und Selbstreflexion.

Verstärkt wird dies noch durch die zwischendurch sehr blutigen Szenen, die im Kontrast zum restlichen Auf und Ab den Film trotzdem nie wirklich schwer werden lassen. Die Ernsthaftigkeit der Geschichte zeigt sich eigentlich gerade durch McDonaghs absolut unpassende Art, sie zu erzählen - nur eine der Gegensätzlichkeiten, die er in seinem pointierten und außergewöhnlichen Film präsentiert.

Christa Minkin

Brügge sehen ... und sterben?

ØØØØ

(In Bruges)

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Belgien/GB 2008

105 Min.

Regie: Martin McDonagh

Darsteller: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Ralph Fiennes u. a.

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