Kino_Blair Witch

Wie verhext!

Vor 17 Jahren avancierte der sehr preisgünstige Found-Footage-Horror "Blair Witch Project" zum Kassenschlager im Kino. Dennoch folgte auf den Indie-Hit lediglich eine einzige Fortsetzung, die den Erfolg nicht wiederholen konnte. Nun bringt Regisseur Adam Wingard die Kameras und den Schrecken zurück in den Black Hills Forest - und das durchaus überzeugend.    06.10.2016

Aus wenig viel machen ist in der Geschäftswelt das Erfolgsmodell schlechthin. Und in kaum einem Filmgenre läßt es sich so gut umsetzen wie im Horrorfach. Beispielhaft veranschaulicht wurde das durch die Found-Footage-Reihe "Paranormal Activity", die zwischen 2009 und 2015 mit sechs Filmen und einem Gesamtbudget von rund 28 Millionen Dollar weltweit fast 900 Millionen Dollar einspielte.

Eines ihrer Vorbilder war der zehn Jahre vor der ersten paranormalen Aktivität gedrehte Film "Blair Witch Project" der Regisseure Daniel Myrick und Eduardo Sánchez. Mit Kosten von etwa 60.000 Dollar stürmte der pseudodokumentarische Horrorstreifen an seinem Startwochenende die Kinos und nahm 29 Millionen Dollar ein; schließlich war es dann beinahe eine Viertelmilliarde weltweit. Und obschon im Folgejahr ein Quasi-Sequel kein finanzieller Flop war, endete mit "Book of Shadows: Blair Witch 2" die Reihe.

 

Jetzt geht es allerdings zurück nach Burkittsville, Maryland, wo vor vielen Jahren die drei Filmstudenten Heather, Josh und Mike verschwanden. Regisseur Adam Wingard ("You´re Next") versucht mit "Blair Witch" die Found-Footage-Reihe neu zu beleben und knüpft mit seinem Zwitter aus Reboot und Sequel an den Originalfilm von 1999 an.

Rettungssanitäter James (James Allen McCune) ist der Bruder von Filmstudentin Heather, die vor rund zwei Jahrzehnten im Black Hills Forest verschwand. In einem aufgetauchten Videoclip glaubt er ihre Reflexion in einem Spiegel zu erkennen. Daher möchte James mit seinem besten Freund Peter (Brandon Scott), dessen Freundin Ashley (Corbin Reid) sowie deren Kommilitonin und Filmstudentin Lisa (Callie Hernandez) erneut eine Suche nach Heather starten.

Gesellschaft bekommen sie in Burkittsville widerwillig vom lokalen Nachwuchsfilmer Lane (Wes Robinson) und dessen Freundin Talia (Valerie Curry). Die hatten im Wald das Videomaterial von Heather gefunden und wollen nun bei dem Waldausflug mitwirken, den Lisa mittels verschiedener Kameras für eine Dokumentation festhält. Doch schon bald merkt die Gruppe, daß der Blair-Witch-Mythos wahrer sein könnte, als sie gedacht hat.

 

Die Elemente, die "Blair Witch Project" auszeichneten, finden sich in Versatzstücken auch hier wieder. Von Informationen der Einheimischen - hier Lane und Talia - über die Hexe von Blair und ihren Hintergrund über die aufgefundenen Steinhaufen und Zweigfiguren bis hin zu nächtlichen Geräuschen und der Orientierungslosigkeit der Nachwuchsfilmer. Zugleich repliziert Wingard aber nicht den Indie-Charakter des Originals, sondern nutzt die Found-Footage-Idee primär als Gimmick.

Vom Ton und der audiovisuellen Gestaltung her eint "Blair Witch" deutlich mehr mit seinen Horrorgeschwistern der Gegenwart. Der Grusel funktioniert hier weniger über das, was die Gruppe vorfindet, als über gewöhnliche Jump-Scares. Die werden in der Regel dadurch herbeigeführt, das plötzlich Charaktere im Bild auftauchen oder der Lautstärkepegel hochgedreht wird, selbst wenn sich hierfür innerhalb der Geschichte nicht immer logische Erklärungen finden.

Wirklich authentisch für die Found-Footage-Identität des Films ist dies natürlich nicht, kann es aufgrund seiner Assoziation mit "Blair Witch Project" aber auch nicht sein. Wo Myrick und Sánchez für ihren Film einen eigenen Online-Mythos gebaren und dadurch mit der Glaubwürdigkeit ihres filmischen Fundmaterials spielen konnten, ist diese in Wingards Film bereits durch die Verwandschaft mit dem Original ausgehebelt.

 

Insofern schickt sich "Blair Witch" eher an, eine neuzeitliche Variation des 1999er-Films anzubieten. Und das funktioniert mit der Intention, den Zuschauer in Anspannung zu versetzen, die meiste Zeit ganz gut. Durch diverse Ereignisse - Ashley verletzt sich früh am Fuß, ein Geheimnis von Lane und Talia wird aufgedeckt - läßt sich die aufsteigende Animosität und Unruhe nachvollziehen. Der beginnende nächtliche Terror trägt seinen Teil dazu bei.

Technisch dokumentiert Wingard den Film hauptsächlich über kleine Bluetooth-Kameras, nur selten variiiert durch Aufnahmen einer Drohne oder einer klassischen Kamera bzw. Camcorder. Wirklich ideenreich gerät der Found-Footage-Aspekt daher zwar nicht; allzu bahnbrechend will der Film aber in dieser Hinsicht auch nicht sein. Das Thema Blair Witch und Nachwuchsfilmer ist hier nur der Aufhänger für die eigentliche Geschichte.

Einen bleibenden Erfolg wie "Blair Witch Project" vor 17 Jahren wird "Blair Witch" nicht erzielen können. Finanziell wie kritisch betrachtet scheint Adam Wingards jüngsten Film mehr mit "Book of Shadows: Blair Witch 2" zu einen, auch wenn er narrativ näher am ersten Teil ist. Ob somit die Reihe mit diesem Teil erneut in der Versenkung verschwindet, bleibt abzuwarten. Für das, was der Film sein will, ist er jedenfalls überzeugend ausgefallen.

 

Florian Lieb

Blair Witch

ØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2016

89 Min.

 

Regie: Adam Wingard

Darsteller: James Allen McCune, Callie Hernandez, Corbin Reid u. a.

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