Kino_Apocalypto

Running Man

Mel Gibson kann auch anders. Sein neuer Film ist eine meisterlich photographierte Abenteuerhatz, die alptraumhafte Bilder mit einer schlichten Überlebensdramaturgie vereint.    15.12.2006

Was gäbe es nicht alles über Mel Gibson nach seinen Alkoholexzessen, antisemitischen Ausfallserscheinungen und der anschließenden öffentlichen Beichte zu kommentieren! Auch das christlich-fundamentalistische Weltbild des Ultrakonservativen böte genügend Angriffsfläche für mit erhobenem Zeigefinger geführte "So aber nicht!"-Diskussionen. Schiebt man aber all diesen unnötigen und langweiligen Ballast zur Seite, so wird man nicht umhinkönnen, dem Schauspieler/Regisseur Respekt und Anerkennung für sein neues Werk "Apocalypto" zu zollen.

Natürlich finden sich auch in "Apocalypto" Ingredienzen, die einem übel aufstoßen können, wenn man - mit Gibsons Vita im Hinterkopf - die berauschende Bilderflut durchkämmt. Allen voran hinterlassen die wie schon in "Die Passion Christi" exzessiv eingesetzten Gewalt- und Folterdarstellungen einen zwiespältigen Eindruck. Und das angestimmte hohe Lied auf die Familie als Keimzelle des Glücks besitzt, wenn es von religiösen Fanatikern vorgetragen wird, stets einen schalen Beigeschmack, der in diesem Fall eigentlich unangebracht ist. Daß Gibson für traditionelle Werte eintritt, dürfte längst bekannt sein, weshalb von seinen Filmen wohl kaum die Gefahr einer Missionierung ausgehen kann. Kurz gesagt: Der Zuschauer weiß, mit wem er es zu tun hat. Er muß sich nicht fürchten.

Als Schauplatz für sein Spektakel wählte Gibson den mexikanischen Dschungel, wo er nahe der historischen Stätten den beginnenden Zerfall der Maya-Hochkultur inszenierte. Seine zentrale, beim amerikanischen Philosophen William Durant entlehnte These stellt er dabei dem Film voran: "Eine große Zivilisation läßt sich nur von außen erobern, wenn sie sich von innen schon selbst zerstört hat." Um die Illusion einer gewissen Authentizität zu gewährleisten - in zahlreichen Details dürften für Laien nicht erkennbare Abweichungen von den gesicherten Quellen vorgenommen worden sein, was jedoch nicht weiter tragisch ist; schließlich versteht sich "Apocalypto" nicht als historisches Dokument zu Lehrfilmzwecken - sprechen sämtliche Darsteller Yucatec, den wichtigsten Maya-Dialekt, der auf der Yucatán-Halbinsel noch heute verbreitet ist.

Wir bekommen die Geschichte von "Pranke des Jaguars" (Rudy Youngblood) erzählt. Der junge Krieger, ein treusorgender Familienvater und künftiger Stammesführer, lebt in einem kleinen Dorf, eigentlich einer Idylle, bis eines Tages feindliche Krieger über die Bewohner herfallen und sie verschleppen. Es beginnt eine strapaziöse und gefährliche Odyssee durch den Dschungel. Am Ziel angekommen, müssen "Pranke des Jaguars" und die seinen feststellen, daß sie als Menschenopfer auf dem Altar landen sollen. Wie unzähligen anderen werden die Priester auch ihnen das Herz aus der Brust schneiden, ihren Kopf den Tempel herunterrollen lassen und ihre Körper dann in einem Massengrab entsorgen.

 

Gibson inszeniert diesen im Grunde genommen simplen Plot mit einer Dynamik und dem Gespür für die richtige Einstellung zur rechten Zeit, daß man als Zuschauer aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Mit Kameramann Dean Semler ("Der mit dem Wolf tanzt") schuf der streitbare Hollywood-Star ein Kinoerlebnis, das diesen Namen wahrlich verdient. Im Unterschied zu vielen Filmemachern, die nicht einmal im Ansatz die Möglichkeiten des Mediums nutzen, erwartet einen in "Apocalypto" ein Rausch, der süchtig macht.

Die Bild- und Tonkulisse hinterläßt den Eindruck, als sei der mexikanische Regenwald kurzerhand in den Kinosaal verlegt worden. Mittendrin statt nur dabei. Es knirscht im Unterholz, Vögel zwitschern, Laute ertönen, die sich nicht eindeutig identifizieren lassen, und schon im nächsten Moment schwillt James Horners passender Ethno-Score bedrohlich an.

Insgesamt legt der Film ein Tempo vor, das mit Ausnahme der stimmigen Exposition in Jaguars beschaulichem und überblickbarem Heimatdorf kein Pardon kennt - weder für die Protagonisten noch für den Zuschauer. Die glücklicherweise sehr präzise und dennoch dynamische Kameraführung zieht uns tief hinein in diese fremde, archaisch anmutende Welt der Menschenopfer, mysteriösen Riten und Gebräuche. Ein bißchen ist das immer auch mit einer Geisterbahnfahrt im Vergnügungspark vergleichbar. Obwohl Gibson mit anerkannten Maya-Experten zusammenarbeitete, wird man nämlich das Gefühl nicht los, daß die Brutalität der Opferzeremonien und im Kampf Mann gegen Mann etwas zu kalkuliert für den kurzen Thrill ausgebeutet wird.

Vermutlich kann man "Apocalypto" daher wirklich als einen Genre-Beitrag klassifizieren, als gnadenloses Horror-Jump´n´Run-Abenteuer, das seinem Helden - Analogien zu "Die Passion Christi" sind diesbezüglich nicht von der Hand zu weisen - unmenschliche Torturen auferlegt und uns die eine oder andere schlaflose Nacht bescheren dürfte.

Die Schilderung der Leiden Jesu wandelte Gibson zu einer einzigen Splatter-Show um, die aufgrund ihrer weitgehenden Ausblendung anderer Passagen des Evangeliums eine recht einseitige Darstellung des christlichen Glaubens aufwies: nur Opfer, nur Leiden, nur Schmerz. Zwar bedient "Apocalypto" ähnliche Muster, aber weil diese nicht länger für sich isoliert stehen, sondern mit dem Schicksal eines für seine Familie bedingungslos kämpfenden Mannes verknüpft werden, geht von ihnen keine derart verheerende Wirkung aus. Zudem arbeitet sich der Film nicht an einem religiösen Text ab.

Mit "Pranke des Jaguars" stellt Gibson einen jungen Krieger ins Zentrum der Handlung, mit dem eine Identifikation leichtfällt. Ihn treibt kein Heldenmut, eher das Gegenteil. Für seine Frau, für seinen Sohn und das noch ungeborene Kind überwindet er die Angst, die ihn zunächst beherrscht. Die Umschnitte zwischen seiner Flucht und der in einem Erdloch versteckten Familie führt Gibson reichlich grobschlächtig durch. Da zeigt sich, daß er kein Visionär, sondern vielmehr ein solider Handwerker ist. Aber auch letzteres will gekonnt sein. Die Darstellung der geistigen Elite der Mayas als unersättlicher, korrupter, dekadenter Haufen, der rücksichtslos Natur und Volk ausbeutet, ist ein klarer politischer Fingerzeig. Unmißverständlich beziehen der Film und sein Regisseur Stellung. Daß Gibson damit auch gegen die Neokonservativen im Weißen Haus schießt, mag überraschend sein.

Viel überraschender ist jedoch, daß er mit dem Ausgang der Geschichte und dem aufgezeigten Anfang vom Ende der Maya-Kultur bei Charles Darwin und dessen evolutionistischer Theorie vom "Survival of the Fittest" landet. Und das ist doch ein schöner Schock für alle Kreationisten.

Marcus Wessel

Apocalypto

ØØØØ


USA 2006

138 min.

OmU

Regie: Mel Gibson

Darsteller: Dalia Hernandez, Mayra Serbulo, Gerardo Taracena u. a.

 

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