Kino_13 Semester

Studentenleben - der Film

Mit seinem Kinodebüt schafft Regisseur Frieder Wittich, was niemand für möglich gehalten hätte: die Reanimation der deutschen Komödie. Das Ergebnis ist spritzig, authentisch, überraschend unterhaltsam - und dauert 100 Minuten. Ob ein echter Student je soviel Zeit im Hörsaal verbringt?    18.01.2010

"Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir", lautet das Seneca-Zitat, mit dem viele Eltern ihre Kinder motivieren wollen. Männliche Jugendliche müssen ja nach der angeblichen "Reifeprüfung" noch zum Wehr- oder Zivildienst, um brav dem Staate zu dienen; also erwarten sie sich vom Studium vor allem eines: Spaß und gute Laune (also all das, was den geborenen Langzeitstudenten ausmacht). Zumindest im Film und in manchen Köpfen sieht das heitere Uni-Dasein auch heute noch so aus - obwohl Bologna-Prozeß und Bachelor-Idiotenreform das lustige Studentenleben längst in ein Fegefeuer für zukünftige Beamten, Hartz-IV-Empfänger und andere Arbeitslose verwandelt haben.

Mit solchen Problemen muß sich Frieder Wittichs Komödie "13 Semester" jedoch nicht auseinandersetzen. Bei ihm gibt es noch die heile (Diplom-)Welt, in der die Studenten sich ihr Tempo selber einteilen können. Und während sich manche wie Dirk (Robert Gwisdek) dafür entscheiden, das Studium im Eiltempo hinter sich zu bringen, beschließt Momo (Max Riemelt), nicht für die Schule, sondern fürs Leben zu lernen.

 Die beiden jungen Herren stammen aus Brandenburg und kommen an die Technische Universität in Darmstadt, um dort Wirtschaftsmathematik zu studieren. Dirk zieht ohne seinen Freund in eine WG, womit - wenn man so will - die eigentliche Geschichte erst beginnt. Momo hat nämlich Probleme damit, eine Wohnung zu finden, und landet schließlich mit dem Lebemann Bernd (Alexander Fehling) in einer Zweck-Wohngemeinschaft. Als er sich dann auch noch in Bernds Kommilitonin Kerstin (Claudia Eisinger) verliebt, läßt er Dirks Lerngruppe links liegen und treibt sich lieber mit dem lustigen Studentenvolk herum. Über die Semester hinweg verliert er so allmählich den Anschluß, was auch die Nachhilfestunden mit dem Austauschstudenten Aswin (Amit Shah) nicht ändern können. Aber immerhin gelingt es ihm, nach jahrelangem Drängen Kerstins Herz zu erobern.

 

Was "13 Semester" so besonders (gut) macht, ist seine Authentizität. Jeder, der einmal studiert hat, dürfte sich in einer der Szenen wiedererkennen - sei es das Problem, in eine Wohngemeinschaft zu kommen beziehungsweise eine Wohnung zu finden, oder die Tatsache, daß man im Studium sehr schnell sehr viel Zeit verlieren kann. Ein entscheidender Faktor für die Lebensnähe des Films dürfte gewesen sein, daß Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg selbst an der TU in Darmstadt Wirtschaftsmathematik studiert und dort sein Diplom gemacht hat. Alles und jeder in Wittichs Studentenkomödie hat seine Entsprechung in der Realität, also in den Erinnerungen sowie im Freundes- und Bekanntenkreis von Regisseur und Drehbuchautor. Selten hat es einen deutschen Kinofilm gegeben, der das deutsche Studentenleben so wahrheitsgemäß eingefangen hat. Und damit wirkt dieser Kinoerstling wie eine inoffizielle Fortsetzung von Marco Petrys "Schule".

Nicht nur die nostalgischen Uni-Momente zeichnen den Film aus, sondern auch sein überzeugender Humor. Frieder Wittich, 2004 bei den "First Steps Awards" prämiert, erhielt anschließend eine Mentorenschaft vom großen Vicco von Bülow alias Loriot. Der schrieb zwar nicht am Drehbuch mit, kommunizierte jedoch regelmäßig mit Regisseur und Autor. Und das machte sich bezahlt: Im Vergleich zu platten deutschen Komödien aus den Häusern Schweiger und Herbig beschränkt sich Wittich nicht darauf, dümmliche Witze zu erzählen oder einfach amerikanische Gags einzudeutschen. Der Humor von "13 Semester" ist angemessen, paßt sich der Situation an und ist somit genauso authentisch wie die Umgebung, in der er stattfindet. Exemplarisch kann Momos Auslandssemester in Australien angeführt werden, das aus Kostengründen nur als Dia-Show auftaucht. Mit diesem Stilelement spielt der Film dann, wenn die Bilder je nach Gesprächspartner von Momo abgewandelt werden.

Auch die Kapitelunterteilung in die jeweiligen Semester - bisweilen unterschiedlich lang, betrachtet man Momos achtes Semester - weiß zu gefallen. Die Besetzung der Figuren ist nicht minder gelungen, ja, eigentlich scheint kaum etwas an "13 Semester" in die Hose gegangen. Nur im dritten Akt verliert sich Wittich etwas, wenn Momo und Bernd eine verrückte Geschäftsidee grandios versauen und Riemelts Figur aus unerfindlichen Gründen plötzlich extrem eifersüchtig wird. Dennoch ist die vorliegende Komödie ein Geschenk des Himmels und so etwas wie eine Frischzellenkur für den deutschen Film- und Fernsehmarkt.

Wer heute in sinnlosen Bachelor- und Master-Studiengängen seine Zeit streng eingeteilt vergeuden muß, dürfte beim Anblick von soviel Freiheit grün vor Neid werden.

Florian Lieb

13 Semester

ØØØØ

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D 2009

 

Regie: Frieder Wittich

Darsteller: Max Riemelt, Alexander Fehling, Claudia Eisinger u. a.

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