Half Life 2
ØØØØØ
(Valve, Sierra, Vivendi Universal Interactive)
erhältlich für PC
Das Nicht-Spielen des lang erwarteten Valve-Titels hat zwar nichts Verschwörerisches an sich, versäumen würde man doch einiges. Walter Reiterer stellte sich der Herausforderung. 10.01.2005
1996. Ein PC-Spiel als Auslöser veritabler Beziehungskrisen. id Software, damals noch mit dem genialen John Romero im Team, veröffentlicht mit "Quake" einen Ego-Shooter, der in Folge alle Sofa-Sniper bis zum letzten Energy-Drink an Keyboard, Maus und Monitor fesselt.
Alleine der Soundtrack Trent Reznors (Nine Inch Nails), der neben der Musik auch noch mit dem einen oder anderen Soundbite im Spiel selbst für wahrhaft diabolische Stimmung sorgt, jagt einem, bewaffnet mit einer Packung Marlboro, einem Six-Pack Red Bull und dem obligatorischen Stereo-Headset (Andere müssen ja ausschlafen), die gesuchte Angst ein.
Ausgerüstet mit einem Pentium 200 (Die Hölle auf Erden zu der Zeit) saß man bis zum Morgengrauen da und jagte dem Bösen hinterher, oder suchte vor einem scheinbar übermächtigen End-Level-Gegner das Weite. Was natürlich nichts half. Stellen der Gefahr mußt du dich, junger Jedi, noch lange bevor die Lucas´sche Vermarktungsfabrik ihre Ritter auf den Markt der Spiele warf.
Danach entwich ein wenig das Gas aus der Pistole. Es folgten mehr nette als packende Sequels; das rituelle Aufkochen und Modifizieren des schon Dagewesenen und ein vermehrtes Auf- und Ansetzen an bekannten Szenarien, Spiel- und Handlungsverläufen wurde Tagesgeschäft. Langeweile drohte einzukehren. "Quake II" köchelte dann schon nur mehr auf halber Flamme und wurde schnell überlaufen von "Unreal" und "Half Life". Letztes Highlight aus dem Hause id: "Return To Castle Wolfenstein". Ihr aktueller Output, "Doom 3", ist zwar optisch ganz eindrucksvoll, wirkt aber im Vergleich zu "Half Life 2" schon wie der Billigflug einer Crash-Air zu der ersten Klasse der Pacific Airways. "Half Life 2", und das ist keine Übertreibung, ist ein Genre-Meisterwerk …
Ein Registrierungs-Dilemma
Der Produzent Valve hat scheinbar in einem Anfall paranoiden Pirateriewahns beschlossen, die Registrierung des Spiels explizit umständlich und "diebstahlssicher" zu machen. Herausgekommen ist, darüber sind sich mittlerweile alle einig, ein Unfug größten Ausmaßes. Kauft man sich das Spiel legal im Laden, steht einem ein umständliches und zeitaufwendiges "Ich bin eh legaler Besitzer"- Ritual bei dem System "Steam" bevor. Hat man keinen Internetzugang, kann man das Ganze gleich mal vergessen. Das Spiel läßt sich nämlich nur starten und registrieren wenn man einen Zugang zum Netz hat. Am besten einen sehr flotten.
Eher zufällig als gewollt gleitet diese Zwangsregistrierung inhaltlich übergangslos in die Dramaturgie des Spieles über. Als der bereits aus "Half Life" bekannte Gordon Freeman findet man sich wieder in einer totalitären Welt, kontrolliert von einer eher unfreundlichen Exekutive, die einen sogar zwingt den eigenen Mist vom Gehsteig zu räumen. Die hypnotisierenden Begrüßungsformeln durch den Guru-Führer dieser Kommune via Video-Wall, welche in der Folge gemeinsam mit hochgeistigen Lautsprecherdurchsagen fixer Bestandteil des Spiels werden, schaffen eine beklemmende und klaustrophobische Atmosphäre.
Nicht nur optisch beeindruckend …
Zuerst mag man gar nicht glauben, sich bereits im Spiel zu befinden. Der geübte Zocker weiß ja im Normalfall zwischen Videoeinspielung und Gameplay zu unterscheiden und geht folgerichtig davon aus, daß es sich nur um ein Video handeln kann. Falsch! Wir sind bereits mitten im Spiel. Es schaut so real aus. Nehmen Sie es einfach hin! Die Videowall mit dem Konterfeit des verschollenen Connery Bruders ist Bestandteil des Spiels. Und ja, die Menschen haben Falten, sie bewegen ihre Lippen beim Sprechen und sie reden mit ihnen. Also bewegen Sie sich gefälligst auch!
Durch 14 detailreiche, extrem lange und wunderschöne Levels wandert man von Downtown über Industrieviertel zu geheimnisvolle Strände und aufgelassene Häfen direkt ins Headquarter des Imperators, welcher unter dem Schutzmantel der Freiheit sein grausiges Regime etabliert hat. Da werden wir wohl aufräumen müssen mit diesem faschistoiden Schöngeist-Gesindel!
Am Weg zum intellektuellen Oberbösen befährt neben einem Monocoque-Hoovercraft auch noch einen schwer bewaffneten Strand-Buggy. Nicht gerade gediegen, aber dafür sehr dynamisch lassen sich diese Fahrzeuge vorwärts bewegen. In diesen Momenten gewinnt das Spiel zusätzlich an Atmosphäre und Qualität, läßt es im Vorbeifahren bekannte Racing-Games richtig alt aussehen. Generell darf man eines sagen: Was "Doom 3" versprochen hat, hat "Half Life 2" gehalten. Auch der Ressourcenfresser "Far Cry" kann hier nicht mithalten.
Die Zielgruppe
Zwischen Straßenkämpfen und Scharmützeln mit mörderischen Sandameisen lernt man in Plattenbauten RevoluzzerInnen in Form von barbusigen Töchtern vom Staat verfolgter Wissenschaftler kennen und lieben. Sehr nett das. Ein Spiel für Mannsbilder? Ja, ganz bestimmt sogar. Hier ist die Zielgruppe, wie bei allen Ego-Shootern, ganz genau definiert.
Das Klischee des First-Person Shooters: Männlich, Energiesaft-süchtig, Raucher, 12-84 Jahre alt, Hautprobleme, 135 Ruhepuls und immer das neuste Ergometer-Modell als Dekor im Wohnzimmer, wird hier ordentlich bedient und beliefert. Aber halt. Auch die Freundin, im Allgemeinen relativ uninteressiert daran, wem es der Schreiber dieser Zeilen gerade am PC mit Plasma-Kanonen besorgt, zeigte unlängst reges Interesse an diesen Schießereien, weil das schaut ja "arg echt" aus. Ganz zu schweigen von ihren beiden halbwüchsigen Söhnen, welche trotz strikten mütterlichen Verbots natürlich das Spiel längst durchgespielt hatten, bevor man selber auch nur im zweiten Level war. Wird schon was sein dran: Männer sind von Kind auf falsch!
Was Frauen sonst noch fasziniert?
Klar. Man(n) verkörpert einen überlebensgroß charismatischen Akademiker, welcher nicht nur blitzgescheit und wunderhübsch ist, sondern trotz seiner Gescheitheit lieber Waffen statt vieler Worte sprechen läßt. Er weiß ja: Seine Gegner hören schlecht zu. Gordon Freeman ist ein Schweiger - im gesamten Spiel kommt dem introvertierten Dottore keine einzige Silbe über die Lippe und das ist kein Zufall, oder ein Manko der Programmierer, sondern hat selbstverständlich Methode.
Dieses einsame Ein-Mann-Produkt aus Che Guevara, Rambo und Albert Schweitzer lebt und kämpft in einer gar nicht kunterbunten Welt, sondern im Zwielicht-Plattenbaubeige innerhalb einer kollektiv suizidgefährdeten und unterdrückten Gesellschaft - in einem Spiel, welches nicht nur durch seine optische Gewalt und Gewalttätigkeit, sondern auch durch seine inhaltliche Reife überzeugen kann. "Half Life 2" ist fast ein Leben. Ein halbes Leben eben.
Übrigens, das Schöne für Spieler, die ihren PC nicht gerade auf dem neusten Stand haben: "Half Life 2" läuft unter vernachlässigbaren Einschränkungen einwandfrei mit einem Prozessor ab 1,8 GHz, 512 MB RAM und einer mittelklassigen 3D Karte flüssig. Um in den vollen Genuß dieses optischen Glanzstücks zu kommen, sollte man sich aber mit seiner Hardware im High-End-Bereich befinden. Ab 2,5 GHz, 1 GB RAM und einer Radeon 9600 Pro Karte spiegelt sich auch die komplette Umgebung ruckelfrei im Wasser wider.
So oder so: falls Sie sich nicht schon in der Welt des Gordon F. wiedergefunden haben, greifen Sie zu und erstehen Sie im Mediamarkt ihres Vertrauens ein Exemplar von "Half Life 2". Denn wie ertönt es gelegentlich aus den Lautsprechern in der virtuellen Subwelt: "Passivität ist Konspiration".
Half Life 2
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(Valve, Sierra, Vivendi Universal Interactive)
erhältlich für PC
Rabbi Oldman bläst zum Exorzismus: Dem zwischen Genie und Stumpfsinn wandelnden Autor, Produzenten und Regisseur David S. Goyer gelang das traurige Kunststück der Verballhornung eines kompletten Genres.
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