Games_Gothic 3

Der namenlose Fremde

Der österreichische Publisher JoWood entführt den Spieler mit dem dritten Teil seines Mega-Rollenspiels in eine Welt, die opulenter und lebendiger nicht sein könnte.    14.11.2006

"Gothic 3" fängt genau dort an, wo der zweite Teil aufgehört hat. Der namenlose Held und seine Kumpels haben die Flucht von der Insel Khorinis geschafft und sind auf dem Weg zum Festland. Kaum dort angekommen, wird ihnen schnell klar, daß sich so einiges verändert hat: Myrtana wurde in der Zwischenzeit von den Orks überrannt. Die Bewohner sind versklavt, Paladine wie Feuermagier haben ihre Zaubermacht verloren.

Hier und da haben sich Einwohner zusammengeschlossen und leisten als Rebellen verzweifelten Widerstand. Andere, eher opportunistisch gesinnte Menschen arbeiten als Söldner für die Orks und betreiben regen Sklavenhandel. Nichts ist mehr so, wie es einmal war - abgesehen davon, daß offenbar ein alter Bekannter seine Finger im Spiel hat. Gerüchte besagen, daß der Schwarzmagier Xardas hinter der Invasion der Orks steckt. Mit diesen mehr als spärlichen Informationen bewaffnet, liegt es nun am Spieler, seinen Platz in einer riesigen, vor Leben nur so strotzenden Welt zu finden.

 

Im Gegensatz zum bisherigen Genre-Primus "Oblivion" werden all jene, die keine Geduld haben und sich sofort an die Lösung der Hauptquest machen, eine böse Überraschung erleben. Die Hinweise sind gerade in der Anfangsphase äußerst spärlich gesät, sodaß man sich immer wieder einmal verzettelt, um sich dann mitten in einer gänzlich unbekannten Gegend wiederzufinden, die vor übermächtigen Gegnern nur so wimmelt. Es ist weitaus ratsamer, sich erst langsam mit der Umgebung vertraut zu machen - vor allem, weil es einen nicht zu behebenden Mangel an brauchbaren Landkarten gibt. Die einzige Orientierungsmöglichkeit besteht darin, sich bestimmte Landschaftsformationen, Wälder oder Steinkreise zu merken. Die Welt von "Gothic 3" soll nicht, sondern muß erkundet werden.

Auch die zahlreichen NPCs und die von ihnen ausgelösten Nebenmissionen sprechen deutlich für ein langsameres Vorgehen. Zwar sind viele dieser Aufgaben nicht gerade anspruchsvoll (meist soll man irgendeinen Gegenstand beschaffen), bringen jedoch eine Menge Erfahrungspunkte und vor allem Geld ein. Letzteres kann man in der Welt von "Gothic" mehr als nur gut gebrauchen; im Gegensatz zu anderen Rollenspielen bekommt man in Myrtana nichts geschenkt.

Womit wir auch schon beim Herzstück guter RPGs wären: der Charakterentwicklung. Bei jedem Aufstieg bekommt der Spieler Lernpunkte (LP) spendiert, die er bei den verschiedenen Ausbildnern (zusammen mit einer finanziellen Zuwendung) investieren kann. Dadurch ist es möglich, Attribute wie Mana, Lebenskraft, Ausdauer, Stärke, Jagdgeschick, Schmieden oder Alchemie zu erhöhen. Die Skills selbst sind in unterschiedliche Kategorien wie Diebesfähigkeiten, Magie, Schwertkampf, Umgang mit Bögen oder ebenfalls Schmieden und Alchemie unterteilt. Um manche Fähigkeiten überhaupt erlernen zu können, müssen die Voraussetzungen bei den entsprechenden Attributen erfüllt sein. Was sich hier so kompliziert liest, ist in der Praxis um einiges einfacher und vor allem interessanter ausgefallen; das offene Skill-System überläßt dem Spieler die Entscheidung, in welche Richtung er seinen Charakter entwickeln möchte. Es empfiehlt sich aber, zumindest eine vage Vorstellung von den gewünschten Fähigkeiten des Alter egos zu haben, da sich sogenannte "Munchkins" (Charaktere, die in allen Bereichen den höchsten Wert haben) kaum oder nur sehr schwer ausgehen.

 

Kampfsystem und Interface haben im Gegensatz zu "Gothic 2" auch einige Änderungen erfahren. Der Nahkampf wird prinzipiell nur mit den beiden Maustasten ausgefochten, wobei mit der linken angegriffen und mit der rechten geblockt wird. Tippt man die Angriffstaste nur kurz an, so teilt der Bildschirmheld kurze Hiebe aus; bleibt die Taste länger gedrückt, greift der Namenlose zu einer kräftigen Attacke. Durch ein geschicktes Timing von Parade und Angriff können wuchtige Kombinationen ausgelöst werden, die zwar schön anzuschauen, im Grunde aber nicht notwendig sind. Wer also Probleme mit dem Timing hat, braucht einfach nur wild auf die linke Maustaste einzuhämmern. Das Fernkampfsystem hingegen ist äußerst gelungen: Der Bogen wird mit der linken Maustaste gespannt, der Cursor dient zum Zielen, und auf längere Distanz sollte man schon einmal über den Gegner zielen, um ihn auch wirklich zu treffen.

Das Inventar selbst ist aufgeräumter und besser nutzbar als das des Vorgängers, auch wenn sein Fassungsvermögen dem eines mittleren Containers gleicht. Neu ist auch eine Leiste mit zehn Quickslots, die beliebig mit Waffen, Tränken, Zaubersprüchen und anderen Dingen bestückt werden kann. Das gesamte Interface bietet eine nicht gerade detaillierte Weltkarte, Rufanzeige, Übersicht über Charakterwerte, Skills und Rezepte sowie ein recht mageres Questlog. Im HUD sieht man neben den Quickslots, die übrigens per Tastendruck weggeschaltet werden können, lediglich Kompaß, Mana, Ausdauer und Lebenspunkte sowie die Gesundheitsleiste des anvisierten Gegners.

 

Das Spielerlebnis selbst wurde durch diese Änderungen jedoch überhaupt nicht beeinflußt. Wie die Vorgänger hat auch "Gothic 3" vor allem am Anfang mit extremen Balancing-Problemen zu kämpfen. So ist beispielsweise ein Ork mit passendem Riesenschwert recht schnell keine Bedrohung mehr, was man von einem Wildschwein keineswegs behaupten kann. Trifft der Spieler auf einen wilden Eber, so sollte er sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Wenn man es nicht schafft, gleich den ersten Hieb richtig anzubringen, bleibt nur noch die Hoffnung auf ein schnelles Ende - und einen relativ aktuellen Speicherstand. Bewährt hat sich in solchen Fällen die Hit & Run-Taktik mit Pfeil und Bogen.

Spieler, die einen Highend-Rechner besitzen, werden wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, da die Graphik des vorliegenden Spiels den Konkurrenten "Oblivion" eindeutig auf die Ränge verweist. "Gothic 3" kann es in punkto Sichtweite, Lichteffekten und Detailverliebtheit jederzeit mit dem bisherigen Genreprimus aufnehmen und kommt dabei nicht einmal ins Schwitzen. Wirkten die Umgebungen bei "Oblivion" zeitweise recht steril, so blüht in der Welt von Myrtana das Leben: wogende Grasebenen, auf denen Hirsche grasen; Licht, das sich in Wasserfällen spiegelt; Hasen, die durch die Gegend hoppeln; und Schlangen, die durchs Gras rascheln. Die Entwickler von Piranha Bytes haben es geschafft, eine einzigartige und vor allem lebendige Spielwelt zu erschaffen - Hut ab! Lediglich immer wieder auftretende Graphikfehler, die hoffentlich bald per Patch behoben werden, trüben den Gesamteindruck etwas. Auch musikalisch ließ sich das Entwickler-Team nicht lumpen und implementierte einen orchestralen, hervorragend zur Atmosphäre passenden Soundtrack.

Alles in allem ist "Gothic 3" für alle Rollenspieler - und solche, die es endlich werden wollen - ein absoluter Pflichtkauf.

Dragan Andjelkovic

Gothic 3

ØØØØØ


(Piranha Bytes/JoWood)

erhältlich für: PC

 

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