Games_Call of Juarez

Peitschen, Bibel & Pistolen

Ein alttestamentarische Sprüche klopfender Reverend und ein schlauer Mexikanermischling sind die Ingredienzen für ein Egoshooter-Spektakel im Westernmantel.    25.10.2006

Im Gegensatz zu klassischen Western schlüpft der Spieler in "Call of Juarez" nicht in die Rolle eines heldenhaften Sheriffs oder eines romantisch-rauhen Revolverhelden. Zum Ausgleich dafür erhält er die Möglichkeit, "Call of Juarez" aus zwei verschiedenen Perspektiven zu spielen.

Da ist zum einen der kleine Billy, ein Halbmexikaner, der von zu Hause auszog, um das große Geld zu machen (und seinem prügelnden Stiefvater zu entgehen). Billy ist flink, schlau und hat eine Peitsche, schießt aber mit der Treffsicherheit eines 08/15-Bösewichts in einem 50er-Jahre-Western. Für den Spieler bedeutet das, daß er die Episoden, in denen er Billy übernimmt, nicht mit rauchenden Colts, sondern mit List und Schläue absolvieren muß.

Für die schießwütigeren Gesellen unter den Spielern hat Techland dankenswerterweise einen zweiten Charakter zur Verfügung gestellt: den ehrenwerten Reverend Ray. Der verbringt seine Tage damit, den verdorbenen Bewohnern des Kaffs Hope das Wort Gottes näherzubringen. Der gute Ray ist allerdings schon etwas in die Jahre gekommen, und die Bewohner in dem Sündenpfuhl machen seine Arbeit auch nicht gerade leichter. Ray hat allerdings ein kleines Geheimnis: Bevor er sich auf seine heilige Mission als Prediger eingelassen hat, mußte er als Revolverheld einen ganzen Haufen Leute in die Hölle schicken.

 

Das Spiel beginnt, als Billy pleite und deprimiert in seinen Heimatort zurückkehrt, nachdem er erfolglos nach einem sagenhaften Goldschatz (der zu allem Übel auch noch verflucht ist) gesucht hat. Nach einem etwas lähmenden Tutorial geht es also los - und Billy kommt nach Hause. Kaum angelangt, tut er auch schon das, was ein echter Mann im Wilden Westen nach einer anstrengenden Reise tun muß: er stattet seiner Lieblingsanimierdame einen Besuch ab. Die ist hocherfreut und setzt ihre ganze Kunst ein, damit sich der junge Mann auch wohlfühlt.

Leider hat der junge Held vergessen, den Saloon-Chef über seine amourösen Absichten zu informieren - was natürlich Ärger zur Folge hat. Prompt werden Billy und seine Herzensdame erwischt, und er muß schnellstens aus der Stadt verschwinden. Waffe hat er natürlich keine, also bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich davonzuschleichen, während der hinterhältige Wirt ein paar seiner Revolverhelden hinter ihm her schickt. Der einzige Ort, an den Billy gehen kann, ist die Farm seiner Eltern.

Auf der anderen Seite der Stadt ist Reverend Ray gerade damit beschäftigt, verdorbenen Sündern ins Gewissen zu reden. Die sind allerdings wenig einsichtig und beschließen, lieber im Saloon ein paar Runden Whiskey zu kippen, als sich in einer muffigen Kirche zu langweilen. Während Ray ihnen mit Höllenfeuer und Racheengeln droht, erreicht ihn die Nachricht, daß auf der Farm seines Bruders ein Mord geschehen ist. Wutentbrannt will Ray losstürmen, wird aber vom Sheriff aufgehalten. In dem resultierenden Tumult wird der Ordnungshüter dummerweise erschossen; in der Stadt bricht das Chaos aus. Also schnappt sich Ray seine alten Revolver und macht sich auf, um für Recht und Ordnung zu sorgen.

 

"Call of Juarez" hat eigentlich alle Voraussetzungen dazu, ein echtes Hit-Spiel zu werden. Die Graphik-Engine ist absolut top. Selten haben Feuer so gut, Staubwolken so echt und die Landschaft so schön ausgesehen wie hier. Auf High-End-PCs bietet die Engine auch mit maximalen Darstellungseinstellungen ein flüssiges und vollkommen störungsfreies Spielerlebnis.

Die KI ist meist recht brauchbar, wenn auch nicht wirklich bahnbrechend. Die Gegner bestechen zwar nicht durch ausgefeilte Taktiken, fallen aber wenigstens nicht durch kreuzdämliche Aktionen auf, wie sie in manchen Shootern immer wieder vorkommen. Ein wahres Highlight ist die akustische Untermalung des Spiels. Westerngitarren sorgen für eine tolle Atmosphäre, während man durch die Landschaft wandert, und die Sound-Effekte in den Feuergefechten sind definitiv eine Klasse für sich. Einzig die deutschen Übersetzungen der Cutscenes sind eher dürftig. Dieses Problem läßt sich aber gottlob ganz einfach umgehen: einfach auf Englisch umstellen, und die Sache paßt wieder.

Sogar die Story, die ja in Egoshootern meist nur dazu da ist, weil man halt einen Grund braucht, um den Spieler von Punkt A nach B zu bringen, ist bei "Call of Juarez" - zumindest großteils - eine willkommene Abwechslung. Spannend und mit der einen oder anderen überraschenden Wendung sorgt sie dafür, daß keine Langeweile beim Spieler aufkommt.

Der Ansatz, die Story abwechselnd aus verschiedenen Blickwinkeln zu spielen, ist einerseits sehr interessant und fesselt den Spieler noch mehr ans Geschehen. Andererseits ist er aber auch die größte Schwäche von "CoJ". Das Spiel versucht einen nahezu schizophrenen Spagat zwischen knallhartem Shooter und Stealth/Infiltration à la "Metal Gear Solid". Das gelingt leider nicht immer, und dadurch verliert das Abenteuer zeitweise unnötig an Tempo.

Das beste Beispiel dafür findet sich gleich zu Beginn des Spiels: Nachdem der Sheriff umgelegt worden ist, muß man als Reverend Ray in Hope wieder für Recht und Ordnung sorgen. Diese Episode, zwar in einzelne Etappen unterteilt, ist letzten Endes ein klassischer Shooter. Es wimmelt von Banditen, und man ist eigentlich ständig damit beschäftigt, von Deckung zu Deckung zu rennen und jede Menge böser Buben zur Hölle zu schicken. Gelegentlich kann man einen coolen Spruch aus der Bibel zitieren, die Ray permanent bei sich führt. Der ganze Level baut unheimlich viel Dynamik auf, und dann, auf einmal ... Ende. Szenenwechsel zu Billy, der sich schleichend durch die Pampa bewegt, um auf einen Zug aufzuspringen. Und gerade, wenn man sich in diesen Schleich- und Verstecklevel so richtig eingelebt hat, zack ... Szenenwechsel. Und weiter geht´s mit Rays Racheorgie.

Trotz dieser kleinen Schwächen ist "Call of Juarez" ein Spiel, das extrem spannend ist und viel Spaß macht. Erstens ist die technische Umsetzung größtenteils 1A; zweitens sind vor allem die Shooter-Passagen mit Reverend Ray mit das beste, was derzeit in diesem Genre zu haben ist; und drittens mußten Westernfans (wenn man Activisions "Gun" außer acht läßt) schon viel zu lange hungern. Mit "Call of Juarez" kommen sie nun voll auf ihre Kosten - selbst ohne betrunkene Mexikaner und blutrünstige Rothäute.

Benjamin Mann

Call of Juarez

ØØØØ 1/2


(Techland/Ubisoft)

erhältlich für: PC

 

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Kommentare_

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