Lovecrafts "Die Farbe aus dem All" gilt bei Fans als eine seiner stärksten Geschichten. Seit einiger Zeit kann man sich auch die bisher beste Verfilmung der Story zu Gemüte führen, die zu Unrecht übersehen wurde.
04.08.2011
Es gab schon mehrere Versuche, den wahrscheinlich vom Tunguska-Ereignis 1918 inspirierten Stoff zu verfilmen, doch geglückt sind sie eher nicht. Einigermaßen bekannt ist "Das Grauen auf Schloss Witley" (Die, Monster, Die!, 1965, Trailer), ein äußerst wirres Stück im Roger Corman-Stil der Vincent-Price-Ära, das letztlich mehr Motive von Poe als von Lovecraft verarbeitet. Trotz veritablem Gothic-Look ist diese Verfilmung eine klischeehafte Geisterbahnfahrt durch ein 60er-Jahre-Gruselkabinett, die als Kuriosität im Spätnachtprogramm den geneigten Trashfan gerade noch zu unterhalten weiß.
Außerhalb der USA weniger bekannt ist "The Curse" (1987, Trailer), der das Grundthema (Meteorit, Vergiftung, Veränderung) immerhin aufgreift. Bei diesem typischen 80er-Jahre-Produkt sorgten reichlich Gore plus würgende Ekel-Zombies in schlechten Masken für einen gewissen Kultfaktor im einschlägigen Fandom. Ein Lovecraft-Fan kann den Streifen eher nicht ernstnehmen.
Wie viele Verfilmungen scheitern die beiden genannten vor allem daran, die Genrebedürfnisse ihrer Zeit befriedigen zu müssen: nebelumwaberte Schlösser in den Sechzigern, Blut und Beuschel in den Achtzigern. Das gilt auch für die neuere italienische B-Produktion "H. P. Lovecrafts Saat des Bösen" (Colour from the Dark, 2009, Trailer), die auf zeitgemäße Extremgewaltdarstellung setzt und die eigentlich makellose Story-Vorlage mit allerlei christlichem Exorzistenmumpitz anzudicken versucht.
Angesichts dieser drei Trash-Vorbilder ist es umso erstaunlicher, daß die bisher beste Umsetzung aus Deutschland kommt. Dabei gestattet sich die Ultralow-Budget-Produktion "Die Farbe" (2010) sogar einige kleinere Änderungen: Die Haupthandlung wird nach Deutschland in die Zeit kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg verlegt und aus der Sicht einer Rahmenhandlung in den 70er Jahren erzählt. Ein eingefügter Double-Twist versieht den betagten Stoff mit einer interessanten Wendung, erstaunlicherweise ohne der Textvorlage allzu untreu zu werden.
Nur die Kernhandlung hält sich weiterhin ans Original: Ein Meteor stürzt auf die Erde, und während sich den Bart reibende Wissenschaftler vergebens Analysen anstellen, beginnt sich die umgebende Landschaft zu verändern. Früchte und Gemüse des betroffenen Farmers wachsen auf gigantische Ausmaße an. Doch die Freude darüber währt nur bis zur Ernte, denn das Mega-Obst hat einen bitteren Beigeschmack. Und schon im Herbst wird die Vegetation grau und alles zerfällt zu Staub.
Auch die Menschen werden zu Schatten ihrer selbst, die ohne jede Motivation stumm ihrem Tod entgegenvegetieren. Schuld ist die Farbe aus dem All, doch keiner der Betroffenen scheint sie als Bedrohung zu empfinden ...
Die Filmstudenten Huan Vu und Jan Roth wollten mit diesem Film eigentlich ihre Abschlußarbeit liefern, doch wie das manchmal so ist - das Projekt schwoll auf die 85 Minuten eines vollständigen Spielfilms an. Zugegeben, als solcher hat "Die Farbe" auch Längen und Mängel, etwa beim Schnitt und beim Ton und vielleicht auch ein bißchen bei der Dramaturgie. Doch diese Probleme darf man getrost den Beschränkungen in die Schuhe schieben, die ein Budget von kolportiert nur knapp 30.000 Euro mit sich bringt. Und nicht nur angesichts dessen ist es ganz erstaunlich, was alle Beteiligten hier – meist unter Verzicht auf Gage – auf die Beine gestellt haben. Solide Kameraarbeit, interessante und vielseitige Effekte und hollywoodreife Musik machen die unleugbaren Detailfehler relativ leicht verschmerzbar.
Regisseur Huan Vu hat seinen Lovecraft gelesen und verstanden. Splatter-Horror, wie er so viele bundesdeutsche Indie-Produktionen dominiert, gibt es hier nicht. Vu legt viel Wert auf die stimmungsvolle Darstellung einer sich schleichend ausbreitenden Gefahr, die für ihre einfach gestrickten Opfer letztlich unverständlich bleibt. Als besonders raffiniert kann hierbei der Schachzug gelten, den Film in düsterem Schwarzweiß zu drehen – und nur der Farbe aus dem All einen merkwürdigen und eigenartig unbestimmbaren Farbton zu geben.
Fazit: Wer sich keine actionreiche Hollywood-Perfektion erwartet, dem kann "Die Farbe" als atmosphärisch gut gemachter Science-Horror-Film empfohlen werden. Für Lovecraft-Fans ist diese Independent-Produktion ohnehin ein Muß: Sieht man von der charmant-eigenbrötlerischen Stummfilmperle "The Call of Cthulhu" (2005, Trailer) ab, hat noch niemand den wahren Geist Lovecraftscher Geschichten besser auf Zelluloid gebannt als das Team um Huan Vu.
Das Ende war verführerisch nah, aber leider geht die Welt schon wieder nicht unter. Irgendwie mindestens teilbedauerlich. Eine Bestandsaufnahme mit tagebuchartigen Einsprengseln und völlig unbegründeten Hawaii-Erwähnungen.
Einsames Aufräumen ist das gemeinschaftliche Feiern unserer Zeit. Entsprechend miste auch ich ununterbrochen aus - Medien zum Beispiel, weil die sowieso verzichtbar sind. Vor allem Bücher werden völlig überschätzt.
Einige wenige Wohlgesonnene, es werden wöchentlich weniger, warten seit gefühlten Äonen auf diese neue Kolumne - und dabei wird es auch bleiben, und ich rate sowieso ab.
Immer wieder ist von junger Literatur die Rede, und wenn davon die Rede ist, dann nicht von uns. Und das ist nur einer der vielen Vorteile des Alters, über die unser gealterter Star-Kolumnist Sie heute informieren wird.
Wenn Sie nicht wissen, was "Social Media" oder "K2-18b" sind, dann können Sie eigentlich gleich aufhören zu lesen. Aber auch sonst raten wir wie immer von der Lektüre dieser irrelevanten Kolumne ab, in der es zwar heute mal um was geht, aber um nichts Wichtiges.
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