Video_Dark Planet (Die bewohnte Insel)

Everybody’s Darling

Science-Fiction-Literatur aus Rußland hat einen so guten Ruf, daß SF-Kino aus Rußland ihn fast nicht ruinieren kann. Die Verfilmung des Strugatzki-Romans "Die bewohnte Insel" ist sogar ein sehenswerter Geheimtip.    09.04.2012

Der junge, ja, sehr junge Mak Sim hat keine Lust, etwas Ernsthaftes zu tun und fühlt sich, sagt er seiner Mutter am Weltraumtelephon, keineswegs zu alt, um noch zu forschen - da rammt er einen Asteroiden, verliert den Funkkontakt und stürzt auf den Planeten Saraksh ab. Sein Raumschiff explodiert, er selbst kann sich retten und findet sich in einer seltsamen Welt wieder: Hier glaubt man, auf der Innenseite einer Hohlkugel zu leben; die Bevölkerung hat sich in zwei Gruppen gespalten, die einander seit Jahren bekriegen und eine dritte Gruppe jagen, die seltsamen Degenerierten.

Mak Sim wird gefangengenommen und strandet auf einer der beiden Seiten. Sie wird von fünf rätselhaften Machthabern regiert, die einander nicht besonders leiden können und ständig nur Intrigen spinnen. Immerhin hatten sie Zeit, ein System totaler Unterdrückung zu errichten, das auf der Bestrahlung der Bevölkerung mit willenslähmenden Frequenzen beruht. Doch Massaraksch! fluchen sie, denn der Widerstand bekämpft die Sendeanlagen in einem blutigen Guerillakrieg.

Jung, blond und im wahrsten Sinne des Wortes blauäugig kann Mak Sim das natürlich nicht mitansehen. Zumal er sich soeben in die schöne Rada verschaut hat, die Schwester jenes Soldaten, der ihn gefangennahm. So macht er praktisch überall mit - bei der Polizei, beim Militär, beim Widerstand - um herauszubekommen, was man wie ändern müßte, damit sich auf dem Planeten Saraksh überhaupt einmal was ändert. Wie passend, daß dort eine Prophezeiung von einem Befreier aus fernen Welten kündet; was ihn natürlich ins Visier der Mächtigen rückt ...

 

Eine Arkadi-und-Boris-Strugatzki-Buchverfilmung aus Rußland? Seit "Wächter der Nacht" wissen wir ja, daß die Russen zwar hübsch bunte, aber ziemlich wirre Filme machen können. Und wenn das Ganze dann noch bei einem kleinen Label wie Capelight erscheint, dann erwartet man nichts Gutes. Jedenfalls nicht, daß Die bewohnte Insel hier wirklich werkgetreu verfilmt worden sein könnte.

Ist aber trotzdem so.

Mehr noch: "Dark Planet", so der hirnrissige deutsche Titel, ist außerdem ein wirklich sehenswerter Film geworden. Ein gigantomanisches Epos, das einem (im zweiteiligen Extended Cut, der einzig sehenswerten Version) fast vier Stunden lang eine wunderliche und wunderschön gefilmte Szene nach der anderen um die Ohren haut und dabei trotzdem auch vor banalsten Stellen und trivialsten Hollywood-Anleihen nicht zurückschreckt.

Der Rezensent meint das ganz ernst: Wer sich auf das Abenteuer eines "Abenteuerfilms auf fernen Planeten" einläßt, der wird angesichts des phänomenalen Aufwandes, der hier getrieben wurde, durchgehend mit Staunen vor diesem höchst unterhaltsamen Buntfilm sitzen, in dem es eine ekelhafte Geheimpolizei, wahnsinnige Wissenschaftler, Monster und Mutanten, schöne Frauen und echte Freundschaft gibt.

 

Einige werden ihn natürlich hassen. Denn dieser oft naive und gelegentlich in visuellen Klischees gefangene, angeblich bisher teuerste russische Film wäre für sich genommen nicht im geringsten klug, hätten das Buch nicht die Strugatzkis geschrieben.

Der Rezensent hingegen fand ihn trotzdem ganz, ganz großartig. Denn er ist immer unterhaltsam. Und dabei oft so liebenswert, daß man ihm seine kleinen Schwächen vergibt. Etwa, daß er gelegentlich eben doch ein bißchen wirr ist. Das liegt sicher auch daran, daß hier doch reichlich Stoff verarbeitet werden mußte. Und so manchen Hintergrund des Gesehenen kann man sich erst nach einiger Zeit zusammenreimen - dafür wird einem dankenswerterweise nicht alle fünf Minuten erklärt, was man gerade gesehen hat.

Wer Rezensionen liest, wonach man diesen Film überhaupt nicht verstehen könne, liest Rezensionen der fast auf die Hälfte gekürzten Kinoversion; die kann tatsächlich niemand mehr verstehen (und man muß sich schon fragen, warum sie überhaupt herausgebracht wurde). Also bitte: Den Extended Cut (Blu-ray, 3 Discs) nehmen oder besser verzichten!

 

Die Besetzung mag sicher auch nicht jeder: Vor allem der muskulöse Schönling Vasiliy Stepanov fällt Fans der Maxim-Kammerer-Trilogie garantiert nicht als erste Wahl für diese wichtige Figur der Strugatzkis ein (und hat der Sage nach den Regisseur in den Nervenzusammenbruch getrieben).

Andererseits verkörpert gerade er auf wunderbare Weise den unschuldigen Forschergeist; den Naiven, der ohne Vorbehalte auf mögliche Feinde zugeht, der immer nur lachen, wissen und kennenlernen möchte. Ein gestrandeter Everybody’s Darling einer höherstehenden Zivilisation, der vom Drang beseelt ist, die schurkischen Regierenden abzusetzen und die Bewohner von Saraksh mit Frieden, Weisheit und Gerechtigkeit zu beglücken.

Was natürlich erstens schwer ist und zweitens nicht klappt. Massaraksch!


 

        

Andreas Winterer

Dark Planet

ØØØØ

Obitaemyy ostrov

Leserbewertung: (bewerten)

Produktion: RU 2008/2009

Videovertrieb: Capelight Pictures (AL!VE)

 

Regie: Fyodor Bondarchuk
Darsteller: Vasiliy Stepanov, Fyodor Bondarchuk, Yuri Kutsenko, Sergei Garmash, Anna Mikhalkova, Aleksei Serebryakov u.a.

 

Nur die Blu-ray "3-Disc Limited Jumbo Steelbook Edition" nehmen! Nur sie beinhaltet neben der überflüssigen internationalen Kinofassung (120 Min.) den Extended Cut in 2 Teilen ("Die bewohnte Insel" / 120 Min. und "Die bewohnte Insel: Rebellion" / 107 Min.) plus eine Bonus-Disc mit der Dokumentation "Dark Planet: Die bewohnte Insel - Ein Film über den Film".

 

Eine DVD mit dem Extended Cut gibt es derzeit nicht.

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