Video_Anvil!
Metal ist dicker als Blut
Wen Gott liebt, den prüft er - heißt es in jenem Druckwerk, das beim Großteil der Menschheit als spiritueller Elchtest in Verwendung ist. Ob der Spruch auch für die Mannen einer der besten Speed/Thrash-Bands aller Zeiten gilt, versucht die Dokumentation von Sacha Gervasi zu klären.
25.05.2011
Unsere Träume können wir erst dann richtig verwirklichen, wenn wir uns entschließen, einmal daraus zu erwachen.
(Josephine Baker)
Fallen ist keine Schande - Liegenbleiben schon.
(Demokrit)
Der Film beschönigt nichts. Ja, Steve 'Lips' Kudlow (voc/git) und Robb Reiner (drums) sind bereits über 50. Die Brusthaare sind schütter geworden, vom Haupthaar ganz zu schweigen. Sie halten ihre Familien mit wenig glamourösen Jobs über Wasser, von den dortigen Kollegen kennt sie keiner als die, die sie wirklich sind: "Anvil", eine der besten Speed/Thrash-Bands, die je die Massen zum Headbangen brachten.
Dabei begann alles durchaus hoffnungsfroh, damals, 1978.
Zwei Vierzehnjährige gründen eine Band, mit dem erklärten Ziel, die Metalwelt aus den Angeln zu heben. 1984 scheint es soweit zu sein; Festivals wie Donington stehen an der Tagesordnung, der Song "Metal on Metal" wird zur prototypischen Vorzeigehymne des aufkeimenden Thrash und lehrt Metallica, Slayer, Anthrax und Konsorten gleichermaßen das Fürchten sowie gehörigen Respekt vor dieser unbändigen kanadischen "Dampfwalze".
Mediale Aufmerksamkeit abseits des Genres bleibt ebenfalls nicht aus - auch wenn sie sich meist auf das SM-angelehnte Bühnenoutfit beschränkt, und das Ablichten des Dildos, mit dem Lips seine Gitarre bearbeitet. Immerhin, wir haben die 80er, da gilt sowas schon als kleine Sensation.
Die große Sensation bleibt aus. Die Gründe dafür sind vielfältig. Häufige Besetzungswechsel, unfähiges Management, unwillige Plattenfirmen - und fertiggemixt ist der Cocktail, der die Band in den Abgrund des Vergessens befördert, und von dort in die Hölle der Bedeutungslosigkeit.
Gervasi beleuchtet diesen Zeitabschnitt ohne große Wehmut oder peinliches Mitleid; seine Sachlichkeit führt die Zuseherschaft geschickt zu der Frage nach dem Hier und Jetzt. Denn siehe da, der Himmel hat ein Einsehen und praktisch aus dem Nichts ergibt sich die Möglichkeit einer Europatour.
Tiziana Arrigoni, selbst Fan, übernimmt die schier unbewältigbare Aufgabe der Organisation, und es wäre nicht "Anvil", wenn nicht einiges schiefginge. Züge werden versäumt, Auftrittsorte nicht gefunden, Gagen vorenthalten, Verzweiflung, Tränen, Überforderung - Lips bringt es auf den Punkt: "Erst einmal muß eine Tournee gemacht werden, damit sie schiefgehen kann".
Für mich die Kernaussage des Films, kein weinerliches "Hättiwari", wie wir es aus unseren Breitengraden kennen - was sich hier deutlich zeigt, ist die Besessenheit, mit der Kudlow und Reiner nebst Mitstreiter Glenn "Five" Gyorffy am Baß an die Sache herangehen. Selbst die gezählten 174 Fans, die sich statt der erwarteten 10.000 beim rumänischen "Monsters of Transylvania"-Festival eingefunden haben, erleben einen professionellen, mitreißenden Auftritt.
Nach Beendigung der Tour, die mehr schlecht als recht gelaufen ist, kehren Lips und Reiner nach Toronto in ihren bedrückenden Alltag zurück.
Was unweigerlich auf eine Tour folgt, ist - richtig, ein neues Album. Nicht, um die Grenzen der eigenen Leidensfähigkeit auszuloten, sondern weil es ganz einfach sein muß. Genauso sieht das auch Chris Tsangarides, der Produzent ihrer ersten beiden Alben, der für die Produktion von "This is Thirteen" gewonnen werden kann.
Leider steht da noch die Frage der Finanzierung im Raum, mehr oder minder zähneknirschend werden die jeweiligen Familien dazu gedrängt, ihre letzten Reserven anzugreifen. Aber was würde sich mehr rechnen als ein weiteres "Anvil"-Werk?
Im Film läßt Gervasi eine ganze Reihe Metalprominenz aufmarschieren und ein Loblied auf die Band anstimmen. Zu Recht.
Die Premiere von "Anvil! The Story of Anvil" auf dem Sundance Film Festival 2008 gerät zum Triumph. Mehrere Film- und Festivalpreise folgen, darunter der Independent Spirit Award für die beste Dokumentation, und die Nominierung von Gervasi für den Dokumentarfilmpreis der Director’s Guild of Amerika.
Und, nicht zu vergessen - Anvil sind gefragt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ihre Tourneen sind ausgebucht, das neue Album "Juggernaut of Justice" läuft gut, die Träume sind, wenn auch auf Umwegen, in Erfüllung gegangen.
Glückwunsch zum Heavy End!
Claudia Jusits
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