Video_Sons of Anarchy - Staffel 1-3

Highway to Hell

Auf der Straße ist man(n) noch frei. Seit 2008 brettern die Rocker aus "Sons of Anarchy" über die US-Bildschirme. Vermarktet wird die Biker-Serie dabei als Mix aus "Easy Rider" und "The Sopranos" - Kriminelle auf zwei Rädern. Und auch wenn das der Show nicht vollends gerecht wird, ist es doch letztlich das, was einen erwartet.    04.06.2012

Als Dennis Hoppers "Easy Rider" 1969 erschien, veränderte er das Kino. Wenn man so will. Der Erfolg des Autorenfilms begründete die Generation des New Hollywood rund um Martin Scorsese und Francis Ford Coppola. Gleichzeitig stand der Film für die Freiheit der Straße, ein wiederentdecktes Lebensgefühl: den alten US-Pioniergeist. Wenn wir heute über Biker nachdenken, dann fallen uns die Begriffe "Harley Davidson" oder "Hell's Angels" ein. Und unweigerlich auch ein Hauch Illegalität.

Dieser Szene widmet sich seit 2008 Kurt Sutter für den US-Kabelsender FX mit seinem Familiendrama "Sons of Anarchy". Im Mittelpunkt steht ein Motorradklub in einem vermeintlich kleinen und beschaulichen Örtchen. In Wahrheit ist der Sons of Anarchy Motorcycle Club, Redwood Original - oder innerhalb der Serie kurz: SAMCRO - aber ein Waffenlieferant, der regionale Gangs mit Waffen der Real IRA ausstattet.

 

Damit wäre das Setting der Serie umschrieben, die sich dem darin schlummernden Konfliktpotential entsprechend widmet. Je nach Situation hat es SAMCRO dann mit der lokalen Polizei, miteinander rivalisierenden Gangs (Schwarze, Latinos, Chinesen, Neonazis) oder der Bundesbehörde ATF (Alcohol, Tobacco, Firearms) zu tun. Wie jedoch früh etabliert wird, ist der größte Gegner der Sons keine externe Gruppierung, sondern ihre interne Struktur.

Personifiziert werden die Konflikte durch den MC-Präsidenten Clay Morrow (Ron Perlman) und seinen Vizepräsidenten und Adoptivsohn Jax Teller (Charlie Hunnam). Dessen Vater John Teller hatte einst SAMCRO mitgegründet, verstarb jedoch in den 1990er Jahren bei einem Unfall. Als Jax auf ein altes Manuskript seines Vaters stößt, in welchem die Wege der Sons vom MC zum Waffendealer kritisch gesehen werden, stellen sich auch beim Sohn Zweifel ein.

 

Mit Clay und Jax kollidieren dabei nicht nur "Vater" und "Sohn" beziehungsweise ein Präsident und sein Vize, sondern auch zwei unterschiedliche Ideale. Während Clay, der innerhalb der örtlichen Gemeinde Charming die Rolle eines Mafia-Paten eingenommen hat, die betretenen Pfade nicht verlassen möchte, strebt Jax fortan eine Veränderung an, wenn SAMCRO überleben soll. Vermehrt wird er die Entscheidungen von Clay fortan hinterfragen, was den anderen Mitgliedern auffällt und zu Unstimmigkeiten führt.

Eine entscheidende Rolle kommt hierbei auch Clays Frau und Jax' Mutter Gemma (Katey Sagal) zu, die als Matriarchin mittels machiavellischer Intelligenz die Geschicke ihrer Umgebung zu lenken versteht. Dazu zählt die Chirurgin Tara (Maggie Siff), die in Jugendzeiten einst Jax' erste Liebe war, ihn dann allerdings verließ und zu Beginn der ersten Staffel aus privaten Gründen nach Charming zurückkehrt.

 

Obschon in den USA verankert, ist die Welt von "Sons of Anarchy" zugleich in sich geschlossen. Treffend allein schon der gewählte Name des Örtchens: Charming (zu deutsch: bezaubernd, reizend). Dies ermöglicht den Regisseuren, viel mit Doppeldeutigkeiten zu spielen. Beispielsweise wenn Einwohner erklären "SAMCRO keeps Charming charming", weil Clay und Co. außerregionale Investoren ebenso fernhalten wie Drogendealer. Daher werden sie von den Einwohnern geduldet, ebenso wie von der Polizei rund um Chief Wayne Unser (Dayton Callie).

Folglich ist Clay so etwas wie der König des Städtchens, was den adretten Jax als seinen Adoptivsohn und Vizepräsidenten, logisch, zu Prince Charming macht. Mittels der gesäten Zweifel und der familiären Verknüpfungen erhält die Serie aber zugleich einen shakespeareschen Anstrich, erinnert die Konstellation doch nicht von ungefähr an "Hamlet": ein mit sich selbst hadernder Prinz, im Zwiespalt mit dem Geist seines toten Vaters, dem neuen Mann seiner Mutter und der nicht gewünschten Liebe zu einer Frau.

 

Die Welt der Serie ist zu großen Teilen widersprüchlich. Zwar preisen sich die Sons als outlaws, als Gesetzlose, die der Jurisdiktion von Unser genauwenig unterstellt scheinen wie der von ATF-Agentin June Stahl (Ally Walker). Zugleich folgt der MC aber einer sehr rigiden inhärenten Gerichtsbarkeit, die sich an der negierten Realität orientiert. Das geht bis hin zur internen "UN-Versammlung", wo Entscheidungen teilweise durch eine einzige Veto-Stimme über den Haufen geworfen werden können.

Was einst als Bruderschaft der Straße begann, von Familiarität und Loyalität geprägt war, kristallisiert sich in "Sons of Anarchy" immer mehr als Unternehmen heraus. Da dieses von Clay sowie seiner rechten Hand Tig (Kim Coates) streng geführt wird und rein profitorientiert ist, wird Jax' Versuch, Änderungen herbeizuführen, zum Vabanque-Spiel. Wie alle anderen Figuren ist er sicher am meisten im Konflikt mit sich selbst. Was richtig ist und was das Beste für den MC, sind hier selten ein und dasselbe.

 

Das Konstrukt des MC verfügt über kein festes Fundament, hat nahezu jede der Figuren doch eine oder mehrere Leichen im Keller. "Lügen waren unsere Verteidigung", liest Jax im Manuskript seines Vaters. Der wiederum ist trotz seines Todes omnipräsent; in den ersten zwei Staffeln aufgrund seines idealistischen Erbes, und später dann, wenn seine Vergangenheit und seine Verbindungen nach Nordirland aufgedeckt werden. Erzählt werden Geschichten von Loyalität, Vertrauen, Treue und Vergebung, aber auch von Lug, Trug, Veränderung und Mord.

"It's the American Way", meint Clay in Staffel 1 an einer Stelle. Und in der Tat läßt sich "Sons of Anarchy" auch als Spiegelbild der USA lesen - als ein Konstrukt, das einst mit hehren Idealen begann, sich mehr und mehr selbst korrumpierte und nun dem Zerfall nahe scheint. Freund und Feind können hier im Minutentakt wechseln, weil Animosität nicht durch Emotionen, sondern durch Geld bestimmt wird. "It's not personal, it's business". Zugleich zeigt die Serie aber auch, was passiert, wenn es denn doch einmal persönlich wird.

 

Spannend gerät die Show deshalb, weil jede Entscheidung in ihr weitreichende Konsequenzen haben kann; aber auch, da mehrere Figuren ihre eigenen Dominosteine aufstellen. Was Clay, Gemma oder Stahl planen und in die Tat umsetzen, beeinflußt dann meist Randfiguren, die wiederum zentraleren Figuren nahestehen. "Irgendwas wird schiefgehen", resümiert Gemma im Staffelfinale des dritten Jahres; "Irgendwer wird verletzt werden." Im Kontext der Serie scheint dies in der Tat ein unausweichlicher Determinismus zu sein.

Wie jede gute Serie funktioniert "Sons of Anarchy" dabei über seine Figuren und die Sympathie zu diesen. Es zeichnet Sutters Serie somit aus, wenn selbst Sadisten wie Tig oder Neonazi Darby (Mitch Pileggi) nette Anstriche erhalten. Wirklich abgrundtief böse ist niemand in der Welt von SAMCRO. Fehlgeleitet dagegen die meisten, die einen mehr, die anderen weniger. Anerkennung verdient auch die überzeugende Besetzung, allen voran die von Perlman und Sagal, teils sogar mit echten MC-Mitgliedern wie Sonny Barger.

 

Abgesehen von redundanten Charaktermerkmalen, die der Dramaturgie geschuldet sind, aufgrund ihrer Stagnation allerdings bisweilen auf die Nerven gehen - gerade bei Jax -, und dem teils etwas arg von der Realität losgelösten Setting (wenn sich zum Beispiel eine Handvoll Biker mit der IRA anlegt), ist "Sons of Anarchy" eine einnehmende und mitreißende Familien- und Crime-Saga. Zwar gibt es diverse Expositionshänger im ersten Staffeldrittel, die Folgen nehmen dann aber an Fahrt auf, wenn die Konflikte der Figuren langsam, aber sicher ins Rollen kommen.

Das Ganze ist folglich durchaus eine Mischung aus "Easy Rider" und "The Sopranos", insofern, als wir es mit einer kriminellen Motorradorganisation zu tun bekommen. Abgesehen davon hat die Show jedoch mehr mit "Hamlet auf Rädern" gemeinsam denn mit Tony Soprano und seinen Handlangern. Vorgesehen sind dabei laut Kurt Sutter sieben Staffeln, die fünfte davon startet im Herbst in den USA. Im deutschsprachigen Raum ist geplant, die Serie ab Juli auf Pro7 auszustrahlen.

 

Klar ist bei "Sons of Anarchy" nur, daß irgendetwas immer schiefgeht. Und irgendwer immer verletzt wird. Aber es hat nun einmal seinen Preis, daß Charming weiter charming bleibt.

Florian Lieb

Sons of Anarchy

ØØØØ

Staffel 1-3

Leserbewertung: (bewerten)

Produktion: USA 2008-2011

Videovertrieb: 20th Century Fox

 

Blu-Ray Region A/B

ca. 1756 Min., engl. OF

 

Regie: Kurt Sutter u.a.

Darsteller: Charlie Hunnam, Ron Perlman, Katey Sagal u.a.

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