Video_Flug 93
Final Destination
Paul Greengrass´ meisterhafter Echtzeit-Thriller "Flug 93" überquert souverän ein pathetisch-patriotisches Tiefdruckgebiet und landet sicher in der Nach-11/9/2001-Ära.
24.10.2006
Jene terroristische Großdetonation im kapitalistischen Zentrum und Wahrzeichen New Yorks, die die westliche Hemisphäre vor fünf Jahren in ihren Grundfesten erschütterte, wird seit geraumer Zeit cineastisch aufbereitet. Solange aus dieser unausweichlichen filmischen Auseinandersetzung Perlen wie "Flug 93" hervorgehen, darf man den riskanten Adaptionsprozeß durchaus begrüßen.
Paul Greengrass´ ("Bloody Sunday", "Die Bourne Verschwörung") dokudramatischer Intensiv-Thrill ist ein nachwirkendes Erlebnis. Frei von heuchlerischen oder nationalistischen Elementen, schickt Greengrass eine zum Sterben verdammte Passagiergruppe samt fundamentalistischem Henkersquartett auf ihre letzte Reise. Tatsächlich endete diese bekanntlich in einem Waldstück im Bundesstaat Pennsylvania, fernab vom eigentlichen Anschlagssziel in Washington.
Greengrass gewährt Einblicke in die zum Scheitern verurteilten Koordinations- und Präventivbemühungen der US-Schaltzentralen: Der Fokus seinen Films wechselt in einer unruhigen Pendelbewegung zwischen dem Kontrollturm des Newark International Airport, den Beobachtungszentren von Boston und New York und der militärischen Kommandozentrale NEADS. An Bord der Maschine steht derweil die vermeintliche Alltäglichkeit von Routinehandlungen in einem allmählich anschwellenden, unheimlichen Konstrastverhältnis mit dem herannahenden Horror des Unausweichlichen. Und während die Überwachungsmechanismen der Luftfahrt- und Verteidigungszentralen ins Leere greifen, die Bilder des brennenden Word Trade Center um die Welt gehen und das Chaos im Bodenbereich überhand nimmt, realisieren die in Geiselhaft gehaltenen Fluggäste der vierten gekidnappten Maschine - bereits durch die Außenwelt von den Ereignissen des Tages unterrichtet - ihre aussichtslose Situation.
Den Tod vor Augen, werden sie sich ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit bewußt und fassen einen letzten, gemeinsamen Entschluß zum Handeln.
Etwa drei Jahrzehnte zuvor hätten die Filmemacher jener Tage ihre Protagonisten womöglich in den Zweckdienlichkeiten des damals populären Katastrophenfilmsujets ertränkt. In ein künstliches Geflecht aus melodramatischen Beziehungs- und Machtkämpfen wäre ein zwar oberflächlich desillusionierter, jedoch innerlich hochgradig idealistisch gebliebener Alltagsheld verpflanzt worden, der die kaputte Schicksalsgemeinschaft durch eine gezielte Bündelung des kollektiven Überlebenswillens aller Beteiligten heroisch aus der Krise geführt hätte.
Eine derart schematische Aufarbeitung erscheint mit Greengrass am Steuer undenkbar. Der britische Regisseur, auch Autor des Drehbuchs, bleibt konsequent und verarbeitet ein konzentriertes Stück Realität schnörkellos und mit aller Nachdrücklichkeit. Mittels Handkamera und dem Einsatz mehrheitlich unbekannter Mimen und Laiendarsteller, deren hauptberufliche Funktion teilweise im Film widergespiegelt wird, setzt er auf Wirklichkeitsnähe und Improvisationskraft. Die Lebensgeschichten der Passagiere, ihre Herkunft, ihr bisheriges Wirken, private Dramen und Motivationsherde werden dabei praktisch völlig außer acht gelassen. Stattdessen ist "United 93" von einem überwältigendem Ohnmachtsgefühl vor dem Hintergrund des drohenden persönlichen und kollektiven Untergangs geprägt.
Die dramatische Schlußsequenz - die Verfehlung des prominenten Anschlagsziels durch die verzweifelte Intervention der zum Tode Verurteilten - entfaltet sich unwiderstehlich in ihrer brutalen Direktheit. Die tragische Schicksalserfüllung, die hier mit aller Härte transportiert wird, greift tief und untermauert den eindrücklichen Triumph eines kompetenten wie kompromißlosen Filmemachers.
Dietmar Wohlfart
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