Video_DVD-Tips 2/2006

Öder Horror und Countertenöre

Ein zielloser menschlicher Wetterfrosch und andere Zerrissene stehen diesmal - neben Porno-Historie und einem gefährlichen Spaziergang "down under" - auf dem Programm.    04.09.2006

 

Jürgen Fichtinger

The Weather Man


(USA 2005/Region 2/Paramount)

 

Daß es Gore Verbinski nicht nur in feinster "Piraten der Karibik"-Manier krachen lassen kann, zeigt er in dieser kleinen Komödie: Nicolas Cage spielt Wetterbericht-Präsentator Dave Spritz, dessen Leben so gar nicht nach seinen Vorstellungen verläuft. Die Leute bewerfen ihn gern mit Milchshakes und anderem Fastfood, er lebt getrennt von seiner Familie (inkl. leicht kriminellem Sohn und übergewichtigem Töchterlein) und versucht immer wieder väterliche Anerkennung zu ergattern. Doch Papa Michael Caine ist nicht nur Pulitzer-Preisträger, sondern auch noch tödlich krank. Dem Wetterfrosch mit Dackelblick bleibt also nicht viel Zeit, sein Leben in den Griff zu bekommen - und das ist gut so. Schließlich kommt er weder mit seinen Fans, der eigenen Familie noch sich selbst sonderlich gut aus ...

"The Weather Man" ist eine nette Tragikkomödie ohne Happy-End, mit einem herrlichen Caine und originellen Ansätzen. Nicht einmal Cages immerwährend leidendes Antlitz mindert das Sehvergnügen.

 

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The Cave


(USA 2005/Region 2/Highlight)

 

Im Dunkeln ist besonders für schleimige Monster gut munkeln, wie zuletzt der Brite Neil Marshall mit seinem Höhlenspektakel "Descent" bewiesen hat. Überhaupt kann man bei der Rezeptur aus einer finsteren, klaustrophobischen Lokalität, einer Handvoll Menschen, etwas nacktem Fleisch und vielen bösen Kreaturen eigentlich wenig falsch machen. Regisseur Bruce Hunt bzw. seine Drehbuchautoren schaffen es trotzdem: Wenn das Wissenschaftler-Team rund um Höhlenforscher Cole Hauser in die Tiefen unter einer alten rumänischen Abtei hinabsteigt, um ein paar mutationsfreudigen Überbleibseln eines ewiggestrigen Ökosystems zu begegnen, muß man sich zu viel dazudenken, damit das blutleere Malen-nach-Zahlen-Konzept auch nur halbwegs aufgeht. Eindeutig eine verpatzte Gelegenheit. Freunde des Genres können den Streifen aber trotzdem beruhigt zur Pizza servieren.

 

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Code 46


(GB 2003/Region 2/Sunfilm)

 

Was dabei herauskommt, wenn Autorenfilmer einen Science-Fiction-Film machen, sieht man bei Michael Winterbottoms Dystopie: Irgendwann in der Zukunft sind wir dank In-vitro-Fertilisation eigentlich alle miteinander verwandt, weshalb es vor dem Paarungsakt einen DNS-Test zu machen gilt. Decken sich 25 Prozent der Gene dabei ab, sieht´s schlecht aus in Sachen Nachwuchs. Gleichzeitig darf man nur mit staatlicher Erlaubnis durch die Wohlstands-Weltgeschichte jetten, der Rest vegetiert in den Outlands dahin.

Tim Robbins gibt einen Empathen, der nur mit Gespür (und ein wenig Nachhilfe durch einen Empathie-Virus) als Ermittler gegen Ausweisfälscher ins Feld zieht - man bezahlt ihn für Intuition und nicht Beweiserbringung. Und natürlich verliebt er sich in eine Verdächtige (Samantha Morton) ...

Winterbottom erzählt eine kleine Geschichte rund um Identität, staatliche Regulierungen und den Verlust des eigenen Willens. Die Hornbrillen-Abteilung wird daran mit Sicherheit ihre Freude haben, SF-Freunde können über veraltete Cyberpunk-Abfallprodukte wie ominöse und niemals näher erklärte implantierte "Viren" und die plakative Vermischung von Fremdsprachen aber nur schmunzeln. Trotzdem: alles andere als schlecht - und leider mager an Extras.

 

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Divas, Opern, Körpersäfte


The Nomi Song

(D 2004/Region 1/Palm Pictures oder: Region 2/Arsenal)

Inside Deep Throat

(USA 2005/Region 2/Highlight)

 

Daß Paradiesvogel Klaus Nomi, ehemals Klaus Sperber aus Essen, alles andere als ein "Simple Man" war, zeigt Andrew Horns beeindruckende Dokumentation The Nomi Song, die den Weg des deutschen Countertenors zur schillernden New-Wave-Kunstfigur nachzeichnet und gleichzeitig von einer Zeit erzählt, in der es noch so etwas wie musikalischen Underground und Selbstinszenierung von innen heraus - anstatt von Marketing-Deppen erdachte PR-Lügen - gab.

Der 1983 an AIDS verstorbene Nomi war übrigens einer der ersten Popstars, die dem Virus zum Opfer fielen. Wer sich die Mühe macht, zur US-Version der Doku zu greifen, erhält als Belohnung noch einen exzellenten Audiokommentar des Regisseurs sowie ein paar zusätzliche Featurettes dazu.

Feuchtfröhlich ging es nicht nur im New Yorker Untergrund der Siebziger zu, sondern auch ganz besonders in Gerard Damianos "Deep Throat", dem legendären ersten Hardcore-Streifen mit Linda Lovelace als schluckfreudiger Braut mit falsch plazierter Klitoris. Während heute alles von durchtrainierten Silikonbräuten aus der Retorte dominiert wird, gab´s seinerzeit noch jede Menge Natürlichkeit und Humor mit Aufklärungscharakter statt steril anmutender Herumpuderei zu sehen. Unbedingt sehenswert - Inside Deep Throat gehört gleich neben "Boogie Nights" und "The People vs. Larry Flynt" ins Regal.

 

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Flimmern in Serie


Charmed - Season 6 & 7

(USA 2002-2003/Region 2/Paramount)

Für alle Fälle Fitz - Staffel 2

(GB 1993/Region 2/Koch Media)

Extras - Season 1

(GB 2005/Region 2/ BBC)

 

Als das zierliche "Charmed"-Trio Ende der Neunziger zum ersten Mal im TV auftauchte, schlossen es damalige Teens und Twens rasch in die Herzen. Girlies entdeckten die kindliche Lust am Hokuspokus und wollten das soeben gekaufte Hendl lieber versuchsweise mit einem Pentagramm versehen, statt der Frau Mama bei der Füllung zu helfen; das männliche Geschlecht hatte hingegen ganz andere Dinge im Kopf. Trotz alledem punkteten viele der Folgen durch witzige Plots, Humor und nicht zuletzt den zerrissenen Dämonen Cole, dargestellt von Mr. "Nip/Tuck" Julian McMahon. Auch wenn es die Serie letztlich nie aus dem Bereich der harmlos oberflächlichen Vorabendunterhaltung geschafft hat (und es auch da nicht einmal mit Joss Whedons "Buffy" aufnehmen konnte), ist im Bereich der übersinnlichen Popcorn-Serien bisher nichts Gescheiteres nachgekommen - "Ghost Whisperer" hin, "Tru Calling" her. Während den drei Grazien bzw. den Serienautoren in Staffel sechs merklich die Luft ausging, hat man sich für Staffel sieben noch einmal ins Zeug gelegt. Die derzeitige achte Staffel ist angeblich die letzte; über potentielle Spin-offs wird nachgedacht.

Ein ganz anderes Serienkaliber ist da schon "Für alle Fälle Fitz": In Staffel zwei gibt es nicht nur Robert Carlyle als durchgedrehten Fußball-Fan, der für etwas Ordnung sorgen will, zu sehen, sondern auch zwei weitere exzellent geschriebene Episoden, die an Qualität und Brisanz nichts verloren haben. Gegen "Cracker" (so der Original-Serientitel) können die meisten aktuellen US-Crime-Serien immer noch einpacken.

Bleiben wir bei den Briten: Die erste Staffel von Ricky Gervais´ neuester Kreation "Extras" ist in England auf DVD erschienen und steht ihrem Vorgänger "The Office" in nichts nach. Alles dreht sich hier um Andy Millman (Ricky Gervais) und Maggie Jacobs (Ashley Jensen), zwei egoistische, spitzzüngige "Durchschnittsmenschen", die sich ihre Brötchen als Komparsen verdienen. Während Andy stets davon träumt, endlich einmal eine Sprechrolle zu bekommen, hadert Maggie mit ihrem Beziehungsleben. "Extras" ist britischer schwarzer Humor vom Feinsten, der gleichzeitig dermaßen trocken in Szene gesetzt wird, daß es schon ein wenig dauern kann, bis er sich einem erschließt. In jeder Episode gibt es einen Gastauftritt bekannter Leinwandgesichter wie Ben Stiller, Kate Winslet oder Patrick Stewart. Anschauen!

 

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Long Weekend

Nice-Price-Tip


(Australien 1978/Region 2/Marketing Film)

 

Während uns zuletzt Greg McLean mit "Wolf Creek" gezeigt hat, was mit vergnügungssüchtigen Fratzen "down under" passiert, und John Hillcoats finstere Buschvariante des wilden Westens, "The Proposition", seit kurzem als wunderbar ausgestattete britische Special Edition erhältlich ist, gibt es dieses kleine australische Thriller-Juwel um unverschämt billige vier Euro.

Zur Handlung: Ein Ehepaar will ein paar entspannende Tage in der australischen Natur verbringen. Doch die beiden müssen rasch feststellen, daß es Flora und Fauna mit den Unruhestiftern aus der Vorstadt gar nicht gut meinen. Zwischenmenschliche Spannungen und der Herr-der-Schöpfung-Komplex des vermeintlichen Göttergatten sorgen selbst ganz ohne Hinterwäldlerbrut dafür, daß auch in der australischen Pampa beim Sterben jeder der Erste ist. Statt elegischer Weiten à la "Walkabout" wird es in Colin Egglestons Lektion für Frischluftdepperte selbst in den Weiten des Outback recht eng ... Vom miserablen deutschen Cover darf man sich übrigens auf keinen Fall abschrecken lassen, zumal die DVD sämtliche Features der teuren US-Special-Edition bietet.

 

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