Video_Anonymus

Sein oder Nichtsein

Gab es ihn oder gab es ihn nicht? Für Fans der These, William Shakespeare sei nicht der Verfasser seiner Werke gewesen, drehte der Schwabe Roland Emmerich im vergangenen Jahr ein pompöses Kostümspektakel. Die Geschichte um die wahre Urheberschaft verkommt darin selbst zu einer Tragödie - allerdings mehr mit griechischen als mit shakespeareschen Zügen.    20.09.2012

In einer Szene in Roland Emmerichs "Anonymus" führen der Earl of Oxford (Rhys Ifans) und der Theaterautor Ben Jonson (Sebastian Armesto) in einem Heckenlabyrinth eine hitzige Diskussion. Seine Stücke seien nicht politisch, versichert Jonson seinem adeligen Gesprächspartner. Es handle sich bei ihnen nur um Komödien. "All art is political", erwidert der Earl of Oxford. "Otherwise it would just be decoration."

Ein Satz, der in Zeiten von arabischen Aufständen ob amerikanischer No-Budget-Filme vermutlich wahrer nicht klingen könnte. Alle Künstler hätten etwas zu sagen, meint Rhys Ifans´ Filmcharakter. Und so plant dieser, seine geschriebenen Theaterstücke unter dem Namen des aufstrebenden Autors Ben Jonson zu veröffentlichen, da es ihm unter dem eigenen unmöglich ist.

 

Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, wird von Emmerich als Poet und Freigeist inszeniert; als Womanizer, der in Jünglingsjahren (hier: Jamie Campbell Bower) gar Königin Elizabeth I. (damals: Joely Richardson) verführt habe. Nach einiger Hofküngelei von deren Berater William Cecil (David Thewlis) findet die Affäre der beiden ein Ende - und mit ihr die politische Karriere von de Vere am Hof.

Als Genie der Politik und Lyrik versucht der geschaßte Graf nun um die Jahrhundertwende um 1600 mittels seiner gesammelten Werke den Einfluß von Cecil sowie dessen Sohn zu schmälern und das Königreich wieder auf politischen Kurs zu bringen. Im Todesfall der Königin (jetzt: Vanessa Redgrave) soll nämlich König James VI. das Zepter übernehmen.

In gewisser Weise ist "Anonymus" somit eine Art "Melrose Place" der frühen Neuzeit. Hilfreich ist es aufgrund der vielen politischen Verbindungen und Zusammenhänge, wenn man etwas vom geschichtlichen Hintergrund kennt. Zwar erwähnt Vanessa Redgrave an einer Stelle Maria Stuart, aber der Deutschunterricht aus der Schule und Schillers Lektüre liegen schon weit zurück.

Zudem kann man bei all den Grafen - prominente Rollen nehmen auch der Earl of Essex (Sam Reid) und der Earl of Southampton (Xaxier Samuel) ein - durchaus den Überblick verlieren. Nicht zuletzt, da Emmerich mehrere Nebenhandlungen parallel jongliert, um sie zum Schluß zum hochdramatischen Emotionalfinale zusammenzuführen.

 

Das politische Drama nimmt den Löwenanteil in Emmerichs Film ein, für den die These, daß William Shakespeare (Rafe Spall) nicht der Autor seiner Werke war, lediglich ein Mittel zum Zweck ist. Eingeführt als Schauspieler mit Hang zu Weib und Trank, leiht Shakespeare den Werken von de Vere seinen Namen, als Jonson den Vorschlag ablehnt. Und damit hat es sich im Grunde auch schon, gerät der Barde ansonsten doch zum reinen Statisten.

Über die Akkuratesse von Shakespeares Werk kann man sich nun natürlich mokieren. Die Reihenfolge der Aufführungen ("Romeo und Julia" folgt auf "Heinrich V.", "Macbeth" unmittelbar auf "Julius Cäsar") und die Zeitspannen zwischen diesen verschmelzen in "Anonymus", der sich nicht die Mühe einer zeitlichen Einordnung macht, sondern willkürlich hin- und herspringt.

Amüsant fallen besonders die selbstreferentiellen Literatur-Momente aus. De Veres Frau reagiert regelrecht angewidert, als sie ihren Mann mit Feder und Tinte ertappt: "My God, you are writing again!" Und wenn sich bei der Aufführung von "Hamlet" der Polonius-Darsteller an die Bühnenkante schmeißt und dem Publikum das Kunstblut entgegenspeit, ist das ein wahres 3D-Erlebnis für das englische Zuschauervolk.

Zudem werden die Figuren nicht müde, ihre eigene Handlung zu kommentieren. "How do you think it ends?" fragt einer der Charaktere gegen Ende den anderen. "No doubt, tragically", erwidert dieser. Und als alle Verwicklungen schlußendlich aufgedeckt worden sind, resümiert eine andere Figur nochmals: "Right out of a Greek tragedy". Und hier liegt auch der Hund begraben.

 

Speziell zum Ende hin nimmt das tragische Element des Films etwas überhand, und Emmerichs Tabula rasa wirkt eine Spur zu gezwungen, um dem Film selbst einen shakespeareschen Charakter zu verleihen. Dabei scheint das Szenario in der Tat eher einer klassischen griechischen Tragödie entnommen und hat etwas dementsprechend Gekünsteltes.

Einen bitteren Nachgeschmack hinterläßt auch Vanessa Redgrave, die ihre Elizabeth I. oft als Königin am Rande der Senilität mit dem entsprechenden overacting inszeniert. Ansonsten präsentiert sich das Ensemble jedoch ebenso überzeugend wie das Set-Design, die Kostüme und die Effekte. "Anonymus" ist somit ein vergnügliches Historiendrama, das weitaus mehr Wert auf das Drama denn die Historie legt.

Aber wie schrieb schon Shakespeare: "Ein redlich Wort macht Eindruck."

Florian Lieb

Anonymus

ØØØ

Anonymous

Leserbewertung: (bewerten)

Produktion: GB/D 2011

Videovertrieb: Sony Pictures Home Entertainment

 

Blu-ray Region A/B

 

130 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF (DTS-HD 5.1)

Features: Audiokommentar, entfallene Szenen u. a.

 

Regie: Roland Emmerich

Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, David Thewlis u. a.

Links:

Kommentare_

mekbes - 24.09.2012 : 16.48
stimmt, emmerich hat auch ganz ohne aliens und archen unterhaltsames kino abgeliefert.

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