Video_The Master
Master and Servant
Psychisch labiler Kriegsheimkehrer trifft auf eloquenten Sektenführer: Paul Thomas Andersons "The Master" beschreibt das zähe Ringen zweier grundverschiedener Exzentriker. Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix gestalten ein hochklassiges Duell zwischen Meister und Schüler.
22.07.2013
Der 2. Weltkrieg hat Freddie Quell (Joaquin Phoenix) gebrochen, und zwar nachhaltig: Bis auf die Knochen abgemagert, alkoholabhängig und mental instabil, ist für Freddie, der zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigt, an eine Rückkehr in die Zivilgesellschaft kaum zu denken. Durch Zufall macht er Bekanntschaft mit Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), dem charismatischen Führer einer sektenartigen Bewegung Namens "The Cause". Obwohl die Lehren des "Masters", wie er von seinen Anhängern tituliert wird, auf den Kriegsheimkehrer nur eine begrenzte Wirkung ausüben, weicht der Jüngere dem redegewandten Lehrmeister nicht mehr von der Seite. Im Bestreben, ihn fester an seine Gruppe zu binden, arbeitet Dodd nicht nur mit systematischen Suggestionen, sondern gewährt dem schwer einschätzbaren Protegé überdies Zutritt zum Kreis seiner engsten Vertrauten. So lernt Freddie die Familie seines Meisters kennen: Ehefrau Peggy (Amy Adams), hinter deren lieblicher Fassade sich Abgründe auftun, den stets aus dem Hintergrund observierenden Sohn Val (Jesse Plemons) und die aufreizende Tochter Elisabeth (Ambyr Childers). Während die Staatsgewalt den Druck auf Dodds ungeliebte Organisation steigert, verbleibt Freddie als rebellischer, umstrittener Fremdkörper im Schatten seines Herrn.
Wie war es um das Seelenheil des Soldaten Quell in Friedenszeiten bestellt? Wir können nur spekulieren - offenbart Autor und Regisseur Paul Thomas Anderson doch lediglich das naive Teenagermädchen Doris Solstad (Madisen Beaty) als Orientierungspunkt aus Freddies früherem Leben. Die vermeintliche Liebe seines Lebens geistert sporadisch als Erinnerungsgespenst in Freddies Gedanken umher. Auch Sektengründer Lancaster Dodd agiert als Mann ohne Vorgeschichte, der mit all seinen absonderlichen Ideologien fest im Hier und Jetzt der frühen 50er Jahre verankert ist. So verbleibt ein erzählerisch hermetisch abgeschlossener Raum, in dem die beiden ungleichen Männer einander gegenübertreten. Ihre Annäherung und spätere Konfrontation wird von äußeren Einflüssen kaum berührt.
Die Bedrängnis, in die Dodd und seine Anhängerschaft etwa durch die Behörden eines höchst wachsamen, kommunistenjagenden Nachkriegs-Amerikas geraten, wird nur angerissen und nicht weiter ausgelotet. Anderson blickt lieber intensiv auf seine Hauptdarsteller, die ihr Schicksal innerhalb sehr eng definierter Grenzen erfüllen: Rebell und Wirrkopf Freddie, der sich stur außerhalb gesellschaftlicher Normen bewegt, trifft auf den Verführer Dodd, der wiederum auf die Loyalität seiner Gefolgschaft baut und angewiesen ist; einer Ergebenheit, die auf einem Regelwerk beruht, dem wiederum Freddie niemals gerecht werden kann. Der tote Punkt, der bereits früh in "The Master" erreicht wird, bleibt somit auch sein unverrückbarer Status quo. Was Anderson betreibt, ist in letzter Konsequenz ein unlösbares Duell der Antipoden - eine Schachpartie, die im Patt enden muß.
Der nach seinem Pseudorückzug aus dem Filmgeschäft zurückgekehrte Phoenix treibt sein Spiel bis zum äußersten und wird in dem verwilderten Querschläger Quell zum triebgesteuerten Soziopathen. Der Kontrast zu seinem Widerpart könnte kaum größer sein: Kontrolliert, distinguiert und einnehmend manipuliert Lancaster Dodd seine Jünger mit ruhiger Hand. Positiv fällt zudem Amy Adams auf, die hier Gelegenheit erhält, gegen ihr Liebes-Mädchen-Image anzuspielen.
Daß Anderson zusätzlich zu den ans Limit gehenden Mimen auch noch mit wunderbaren Bildkompositionen (Mihai Malaimare) und einem fordernden Soundtrack des Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood aufwartet, durfte man nach seinem umfassenden "There Will Be Blood"-Triumph fast schon erwarten.
Dietmar Wohlfart
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