Video_Adèle und das Geheimnis des Pharaos
In meine Arme, Luc
In den 90er-Jahren war Luc Besson einer der verheißungsvollsten Regisseure. Mit "Johanna von Orleans" folgte Ende des Jahrhunderts der Absturz; danach verdingte er sich als Produzent und Autor von B-Action-Movies. Seine jüngste Regiearbeit weckt jedoch die Hoffnung, daß der alte Besson noch nicht ganz verloren ist.
16.07.2011
Seine Filme verfügen - oder verfügten - über eine opulente Bildgewalt. Kaum eines seiner Werke, das nicht eine einprägsame Bildkomposition ins Gedächtnis brennt. Sei es ein blondierter Christopher Lambert, der mit verliebt-verlorenem Blick im Debütfilm "Subway" auf U-Bahn-Gleisen steht. Oder ein blondierter Bruce Willis, der als weltenrettender Taxifahrer außerirdische Terroristen in Bessons erfolgreichstem Werk "Das fünfte Element" lahmlegt.
Dessen Erfolg trieb den französischen Auteur wohl dazu, seiner damaligen Freundin, dem Model Milla Jovovich, auch die Hauptrolle im nächsten Projekt zu geben. "Johanna von Orleans" geriet dann zur großflächigen Enttäuschung, und Besson zog sich erst einmal vom Regiestuhl zurück.
In "Adèle und das Geheimnis des Pharaos", einer Adaption der Comic-Serie "Les Aventures extraordinaires d'Adèle Blanc-Sec" von Jacques Tardi, gibt es zu Beginn eine Szene, die in gewisser Hinsicht an Bessons Karriere erinnert. Aus einem prähistorischen Ei schlüpft im Pariser Museum für Naturgeschichte ein Pterodactylus, um seine Schwingen anschließend über der nächtlichen Hauptstadt Frankreichs auszubreiten.
Ein Relikt aus einer vergessenen Zeit, fast wie Besson selbst. Seit dem "Johanna von Orleans"-Fiasko ist die Tardi-Verfilmung sein drittes Regieprojekt, neben dem weitestgehend unbeachteten "Angel-A" (2005) und der kommerziell zwar bedingt erfolgreichen, von der Kritik aber eher belächelten Trilogie "Arthur und die Minimoys".
Statt für visuelles Bombastkino mit Kinomagie-Funktion steht der Besson des 21. Jahrhunderts für französische Haudrauf-Action. Seien es die "Transporter"-Filme mit Jason Statham, die Jet Li-Vehikel "Kiss of the Dragon" und "Unleashed", die "Taxi"- und "Banlieu"-Reihe, oder zuletzt die Selbstjustiz-Kracher von "96 Hours" über "From Paris With Love" hin zum bevorstehenden "Colombiana".
Da scheint kein Raum mehr für verträumte Helden wie in "Subway" oder "Im Rausch der Tiefe". Und für Helden wider Willen wie "Nikita", "Leon" oder in "Das fünfte Element" ebensowenig. Stattdessen Action-Ware vom Band, ohne Herz und Charme oder die verspielte Musik eines Eric Serra. Nun ist "Adèle und das Geheimnis des Pharaos" nicht die filmische Rekonvaleszenz des Luc Besson, aber ein Weg zur Besserung.
Dabei erinnert der Auftakt eher an einen Jeunet-Film. Im nächtlichen Paris der Belle Époque berichtet eine Erzählstimme von zufälligen Randbegebenheiten, wie man es aus "Die fabelhafte Welt der Amélie" kennt. Das spätere Setting und die Atmosphäre rufen dagegen Hergé ins Gedächtnis, wenn Adèle (Louise Bourgoin) als überhebliche Schriftstellerin durch die Welt tourt, mit dem Hinweis: "Sie folgt immer ihrem Instinkt und nie ihrem Verleger".
Was genau der Film von einem will und worum es geht, bleibt lange unklar. Schuld hieran ist vielleicht auch die Tatsache, daß Besson zwei "Adèle"-Bände miteinander zu verbinden versucht. So ist der amoklaufende Pterodactylus ("Adèle und das Ungeheuer") eine Sekundärhandlung und die eigentliche Geschichte folgt Adèles Plänen, die Wiedererweckung einer alten Mumie zu bewirken ("Aufstand der Mumien"), um ihre gesundheitlich angeschlagene Schwester zu kurieren.
Infolgedessen treten Figuren nach Belieben auf und ab, eben wie in einem Comic-Band - nur, daß dies auf einen Film nicht so einfach übertragbar ist. So begegnet der Zuschauer in Ägypten einem Arnold Toht-artigen Mathieu Amalric als unhygienischem Archäologie-Professor Dieuleveult, der sich anschließend jedoch von der Bildfläche verabschiedet. Auch der von Nicolas Giraud gespielte Andrej Zborowski als in Adèle verliebter Wissenschaftler kommt und geht, meist abseits der eigentlichen Handlung.
Als quasi roter Faden ziehen sich nur zwei Hauptfiguren durch beide Handlungsgerüste: Adèle selbst, sowie das schrullige Medium Marie-Joseph Esperandieu (Jacky Nercessian), zuständig für die Auferweckung von toten Lebewesen - darunter auch der Pterodactylus und potentiell die Mumien. Grundsätzlich erfährt man über alle Figuren recht wenig, außer kleine, sie definierende Eigenheiten - etwa am Beispiel des immer hungrigen Inspektors Caponi (Gilles Lellouche). Den Rest liefert wohl Tardis Vorlage.
Allzu viel Charme versprüht "Adèle und das Geheimis des Pharaos" somit eher nicht, obschon sich der Film als oft treue Adaption des Comics (darunter der Filmauftakt) gibt. Adèle selbst bleibt einem fremd, wenn sie in der Hitze Ägyptens das angebotene Wasser zum Händewaschen benützt, anstatt es zu trinken. Vielmehr wirkt sie altklug und arrogant - und damit wenig tauglich als Identifikationsfigur.
Als solche bietet sich eher Lellouches Caponi an, der - wie auch Esperandieu - als schrullige Figur für manch humoristische Szene gut ist, mit der Besson die Geschichte auflockert.
Der Film als solcher ist daher weder Fisch noch Fleisch. Oftmals ganz nett, mit einigen überzeugenden Sequenzen - wie Adèles Bemühungen, Esperandieu aus dem Gefängnis zu befreien -, aber ohne den Zuschauer über einen längeren Zeitraum in seinen Bann zu ziehen. Die Belle Époque wird einmal mehr, einmal weniger gelungen digital reproduziert, der Pterodactylus hingegen wirkt durchweg unglaubwürdig.
Ob die Auftaktgeschichte ("Adèle und das Ungeheuer") nötig war, um einen Film über Adèle Blanc-Sec zu erzählen, ist fraglich. Im Nachhinein mutet sie an wie künstlich hineinmontiert, um die eigentliche Geschichte auf eine entsprechende Laufzeit aufzublasen. Gänzlich auf der Höhe ist Besson also auch weiterhin nicht. Zu wenig bildgewaltig ist sein jüngster Film, zu uninspiriert die musikalische Untermalung von Serra. Es sei dem Franzosen daher gewünscht, daß sein nächstes Werk, "The Lady", verstärkt an alte Tugenden anknüpft. Dann sagt auch der Zuschauer wieder: In meine Arme, Luc!
Florian Lieb
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