Blueberry und der Fluch der Dämonen
ØØØØ
(Blueberry)
Frankreich/Mexiko/USA 2004
124 Min.
Regie: Jan Kounen
Darsteller: Vincent Cassel, Juliette Lewis, Michael Madsen u. a.
It´s a shamanic drug thing you wouldn´t understand ... Im unterschätztesten Film des Jahres definiert Jan Kounen das Genre des Drogenfilms mit den Mitteln des Westerns neu. 13.08.2004
Fürwahr, es mochte Ihrem Rezensenten schon ein klein wenig verdrießlich zumute werden angesichts dessen, was da in den deutschsprachigen Feuilletons anläßlich des im Nachbarland erfolgten Filmstarts von "Blueberry" aus allen Rohren geschossen wurde. Da wurde sich über eklatante Drehbuchschwächen und schwere Logik- bzw. Dramaturgiemängel beschwert; zudem machten einige eine Überdosis an Esoterik aus. Nachdem die mit einem Budget von beinahe 40 Millionen Euro für europäische Verhältnisse zugebenermaßen sauteure Produktion zuvor selbst im Produktionsland Frankreich einspieltechnisch mittelschwer an die Wand gekracht war, konnte man das Gerede vom programmierten Flop in künstlerischer wie kommerzieller Hinsicht kaum noch aufhalten (was sich auch hierzulande an der desaströs geringen Anzahl von Startkopien bemerkbar macht).
Daß zumindest ersteres schwerer Unsinn ist, erkannte nicht zuletzt der wie immer treffsichere Wiglaf Droste in einer seiner betont scharfen Kolumnen (siehe Link unten). Auch an dieser bescheidenen Stelle soll das noch einmal bekräftigt werden: Die lose Adaption des gleichnamigen, nunmehr seit 40 Jahren publizierten Hardboiled-Western-Comics des genialen Zeichners Jean "Moebius" Giraud ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnlicher und außergewöhnlich guter Film. Zuvorderst ist er aber ein großspuriges, sich verdammt weit aus dem Fenster konventionellen Kinos lehnendes Werk. Und nicht zuletzt ein kaum verhohlenes, die Comic-Vorlage eigentlich kaum noch tangierendes Drogenepos.
Zumindest in der ersten halben Stunde orientiert sich Franko-Holländer Jan Kounen (der bisher dank des für manche fragwürdigen "Dobermann" einen eher schlechten Leumund genoß) dann auch noch - wenn auch etwas eigenwillig - an Western-Gepflogenheiten, nicht ohne sie aber mit einem Faible für die dreckigen und fiesen Details des Wildwestlebens bis an den Rand auszureizen. Klar gibt es hier den traumatisierten (Anti-)Helden in Form des titelgebenden Lieutenants (Vincent Cassel), dem die schamanistischen Indianer weitaus näher zu stehen scheinen als die degenerierten und versoffenen Tagediebe mit ihren verfaulten Zahnstummeln (und davon gibt es wirklich genug) um ihn herum; die Herzensdame aus der Vaudeville-Absteige (Juliette Lewis), den alten Sheriff im Klapperrollstuhl (ganz groß: Ernest Borgnine), den extrabösen, unruhestiftenden Antagonisten (unterkühlt und bedrohlich wie schon lange nicht mehr: Michael Madsen) und natürlich reichlich Outlaws und sonstige Halsabschneider dazu.
Wir finden also ein gewohntes Setting mitsamt den damit - zumindest im Dutzend-Western - verbundenen eingeschränkten Möglichkeiten einer Auflösung (Shootout etc.), denen Kounen aber ebenso wie den Erwartungshaltungen und damit jeder Kontingenz der Ereignisse zuvor ganz einfach den gestreckten Mittelfinger entgegenstreckt.
Denn was Showdown mitsamt spektaktulärer Klimax hätte werden sollen, endet für Held und Gauner im gemeinsamen rituellen Peyote-Rausch, in einem halluzinogenen Trip, in dem für beide gleichermaßen die Gesetze des aktiven Handelns, ja, des Bewußtseins kurzerhand aufgehoben werden. Fear And Loathing in New Mexiko.
Und spätestens die rund zehnminütige, digital umgesetzte, an Kubricks "2001" gemahnende Trip-Sequenz, zusammengesetzt aus kaleidoskopartigen Gebilden, Fadenwürmern und anderem Denk- und Merkwürdigen, dieses metaphysische Duell gegen eigene und fremde Dämonen, dieser Anti-High-Noon wird die Zuseherschaft sehr nachhaltig in Gläubige und Ungläubige teilen - weil ein auf rein rationaler Rezeptionsebene erfaßbares Ende halt immer noch leichter verdaulich ist als ein psychedelischer Exzeß ins Unbewußte. Nur: Warum sich daran gerade professionelle Filmbeschauer stoßen, denen das Kino doch durchaus als Kunst des Möglichen, des unformatiert ästhetischen Bildes und des gern auch unheimlichen Schauwertes erscheinen könnte, das bereitet doch etwas Anlaß zur Sorge.
Blueberry und der Fluch der Dämonen
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