Kino_Spider-Man 2

Selbstfindung zwischen Häuserfluchten

Do it again, Mann hinter der Maske: Sam Raimis zweiter Teil der Spinnenmann-Saga ist digitales Erzählkino at its finest und dabei der geistreichste Superheldenfilm seit langer Zeit.    07.07.2004

Zugegeben: Die Furcht war nicht unberechtigt und daher groß gewesen. Man hatte etwas Angst davor, daß Sam "Tanz der Teufel" Raimi den Weg des geringsten Widerstandes einschlagen würde, also geradewegs in jene Sackgasse inhaltsentleerten Effektgetöses, in die sich Fortsetzung über Fortsetzung - dank phantasieloser Knalltüten wie Joel Schumacher - einst auch das ehemals so legendäre "Batman"-Franchise verirrt hatte. Größer. Schneller. Bunter. Dümmer. Aber auch davor (im Gegensatz dazu), einen bemüht cleveren und psychopathologisierenden Arthouse-Blockbuster-Mix verabreicht zu bekommen, also etwas, mit dem sich selbst ein Ausnahmekönner wie Ang Lee mit seiner "Hulk"-Verfilmung übernommen hatte. Die Symptome der Sequelitis im Pop- und Popcorn-Kino sind eben selten besonders angenehme (wenn man vom noch einmal verbesserten zweiten Teil der "X-Men" absieht), vor allem, wenn ihr Auslöser strikt kommerzieller Natur ist. Das gilt ganz besonders dann, wenn das Ausgangsmaterial so traumwandlerisch (und dabei einspieltechnisch phänomenal erfolgreich) zwischen furiosen Action-Sequenzen, stringenter Handlungsentwicklung und überzeugender Figurenzeichnung umgesetzt wurde wie beim ersten Leinwandeinstand von Marvels "Spider-Man"-Comic.

Kurzum: Es war schon mehr als ein mehr als nur leichtes Kribbeln, das dem Schreiber dieser Zeilen in den ersten Minuten von "Spider-Man 2" über den Rücken lief. Völlig umsonst. Denn Raimi konterkariert die handelsüblichen Gesetzmäßigkeiten eines potentiellen Adventure-Straßenfegers von Anfang an mit einer naßforschen Nonchalance, indem er sich rund zwei Drittel des Filmes Zeit nimmt für gar unerhörte Dinge: Charakterentwicklung, Nebenschauplätze und Tiefe - um nicht zuletzt die Lebensgeschichte der zerrissenen Persönlichkeit des Peter Parker/Spider-Man in aller ihr innewohnenden Tragik und weiterführenden Dramatik präzise zu skizzieren.

Denn der Spinnenmann steht (erneut verkörpert von Tobey Maguire) abseits und vor allem wegen des Weltrettens als maskierter und dabei unerkannt bleibender Held vor den Trümmern seiner noch jungen und komplett unglamourösen bürgerlichen Existenz. Sogar einen Selbstausbeuter-Job als Pizzaauslieferer verliert er, seine Anstellung als Photograph beim Schmierblatt "Daily Bugle" geht (da er aus verständlichen Gründen keine Spiderman-Pics mehr schießen möchte) genauso wie seine Uni-Laufbahn den Bach hinunter, und die Beziehung zu seiner großen Liebe, der inzwischen erfolgreich schauspielernden Mary Jane (Kirsten Dunst) setzt er - vor allem, um das Mädchen zu schützen - so lange aufs Spiel, bis sich die Freundin mit dem nächstbesten Dahergelaufenen verlobt.

Kein Geld, keine Liebe, eine handfeste Identitätskrise und dazu noch die Gabe (oder Bürde), tagtäglich den Mitmenschen zu Hilfe eilen zu müssen - solch eine Power-Packung Streß kann einen Midtwenty schon um Schlaf und Verstand bringen. Dazu kommt schließlich auch noch die (metaphorische) Potenz: Schwuppdiwupp verlassen Spidey nämlich zeitweise seine Superkräfte (was zu einigen herrlich klamaukigen Konstellationen führt). Nach einem kurzen "Dr. Freud, bitte kommen!" steht fest, daß Weltretten und Kostüm zugunsten einer vernünftigen Existenz und lauteren Lebenswandels in die Tonne gekippt werden müssen. Blöd, daß ausgerechnet jetzt ein durch ein verunglücktes wissenschafliches Experiment außer Rand und Band geratener Forscher (Alfred Molina als sophisticated evil) in Gestalt des Krakenmonsters Doc Ock New York City in Schutt und Asche legt und da ja auch noch die verworrene Freundschaft zum Sohn des im ersten Teil dahingerafften Green Goblin wäre ...

Bei allem Lob für die facettenreich ausformulierten Handlungsebenen soll nicht verheimlicht werden, daß "Spider-Man 2" selbstredend auch drei außerordentliche Action-Sequenzen (allesamt aus den Trailern bekannt) zu bieten hat, die aber - Raimis großes Verdienst - nicht zum reinen Selbstzweck in das Script montiert wurden, sondern sich konsequent dem Modus operandi emotional widerhallenden Geschichtenerzählens unterzuordnen wissen.

Mehr als für die erste Episode gilt für dieses mit überschwenglicher Verve, feinem Witz und jeder Menge Geist versetzte Sequel: alles drin, alles dran, alles dabei. Wenn´s bloß ein Sommer-Blockbuster sein darf diese Saison, dann bitte dieser hier. Oder, um mit den Worten des großen Filmkritikers Roger Ebert zu sprechen: "It´s a real movie, full-blooded and smart, with qualities even for those who have no idea who Stan Lee is. It´s a superhero movie for people who don´t go to superhero movies, and for those who do, it´s the one they´ve been yearning for." Amen.

 

Christoph Prenner

Spider-Man 2

ØØØØ 1/2


USA 2004

127 Min.

dt. Fassung und engl. OF

Regie: Sam Raimi

Darsteller: Tobey Maguire, Kirsten Dunst, Alfred Molina u. a.

 

Links:

Kommentare_

Kino
Viennale 2012/Journal III

Me vs. The Mob

Im finalen Teil der EVOLVER-Festival-Berichterstattung müssen sowohl Woody Harrelson als auch Mads Mikkelsen mit einem ihnen feindlich gesinnten Umfeld fertig werden - freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hereinspaziert in "Rampart" und "Jagten".  

Kino
Viennale 2012/Journal II

Sehen und Raunen

Alte Helden, neue Helden: Takeshi Kitano findet in "Autoreiji: Biyondo" langsam wieder zu seiner Form zurück, verheddert sich aber letztlich zu sehr in der Handlung. Dafür darf Ben Wheatley nach "Sightseers" endgültig in die Riege der erstaunlichsten europäischen Regisseure aufgenommen werden.  

Kino
Viennale 2012/Journal I

Perspektiven-Rausch

Bleibende Eindrücke der ersten Viennale-Tage: Die akribische Doku "Room 237" zerlegt "The Shining" in alle Einzelbilder, die große Matthew-McConaughey-Schau "Killer Joe" dafür Hendln in mundgerechte Portionen.  

Kino
Das Bourne Vermächtnis / Interview Jeremy Renner

Der zweite Mann

Plötzlich A-List: Spätestens seit seinen Auftritten im "Avengers"-Film und im vierten "Mission: Impossible"-Teil gilt Jeremy Renner als Hollywoods kommender Superstar, auch wenn er darin eher nur in der zweiten Reihe stand. Im aktuellen "Bourne"-Sidequel spielt er nun auch erstmals in einem Blockbuster die Hauptrolle - zumindest so lange, bis Matt Damon wieder zurückkehrt. Der EVOLVER hat den 41jährigen zum Interview getroffen.  

Kino
/slashfilmfestival 2012

Sieben /slash-Schönheiten

Daß das /slashfilmfestival im Wiener Filmcasino eine gar nicht genug zu lobende Bereicherung der heimischen Kinolandschaft darstellt, hat sich längst herumgesprochen. Der EVOLVER stellt ausgewählte Glanzlichter des dritten Durchgangs vor.  

Kino
Viennale 2011/Journal III

Sturm und Zwang

Das dritte und letzte Kapitel unserer Viennale-Berichterstattung steht im Zeichen der Unruhe vor dem Sturm - und damit der beeindruckendsten Arbeit des Festivals: "Take Shelter".