Stories_Mediengruppe Telekommander

Positionen im Gehirnwaschautomaten

Mißtrauen als Weg: Die deutsch-österreichische Ironiegemeinschaft aus Florian Zwietnig und Gerald Mandl liefert mit Elektropunk den Soundtrack gegen Gucci-Muschis.    21.06.2004

EVOLVER: Gibt´s denn eigentlich schon Telekommander-Klingeltöne?

 

Mediengruppe Telekommander: (amüsiertes Schmunzeln) Gab es tatsächlich schon welche - die haben wir uns selbst gemacht. Die waren allerdings so schlecht, daß wir sie sofort wieder vom Handy gelöscht haben. Aber wir haben da eigentlich auch gar nicht die Hand drauf, weil die Plattenfirma die Rechte hat. Weil das anscheinend eines der wenigen Dinge ist, mit denen noch Geld zu machen ist.

 

EVOLVER: Wie geht man denn eigentlich mit diesem Widerspruch um, einerseits Konsum- und Mediengesellschaft anzuprangern und andererseits doch sehr wohl auf deren Verwertungszwänge angewiesen zu sein?

 

MTK: Es war uns schon immer sehr wichtig, daß wir uns genau mit diesem Problem auch spielen. Diese ambivalente Position zwischen Produzent und Konsument, die spiegelt sich auch in den Texten voll wider, die tragen wir da auch ganz bewußt rein. Weil wir uns nicht auf einer Seite positionieren, sondern einen beschreibenden Mittelweg wählen.

Was die Marktmechanismen anbelangt: Wenn von unserer Plattenfirma Mute etwas geplant wird, dann haben wir immer das letzte Wort. Wir haben eben keinen Künstler-, sondern einen Band-Übernahmevertrag mit denen gemacht, das heißt, wir bringen unsere Sachen noch auf dem Hamburger Label Enduro raus, und die CD wurde dann an Mute weiterlizensiert.

 

EVOLVER: Wie kam der Kontakt mit Mute (u. a. Label von Depeche Mode und Moby, Anm. d. Verfassers) denn zustande?

 

MTK: Letzten Sommer waren wir im Gespräch mit verschiedenen Plattenfirmen. Und ganz am Ende hat sich dann auch noch Mute gemeldet. Dann ging das alles sehr schnell. Unser Album ist damit der erste Release von Mute Deutschland seit zehn Jahren.

 

 

"Was ist die Frage, die man sich stellt/wenn man dem Untergrund so gut gefällt/das ist die Frage, die sich nicht stellt/weil man dem Management so gut gefällt" ("Was Sie schon immer über die Mediengruppe wissen wollten")

 

 

EVOLVER: Glaubt ihr, daß die Mediengruppe grundsätzlich eher über die Text- als über die Musikebene funktioniert?

 

MTK: Es ist, denk´ ich, schon sehr textgetrieben. Live dann allerdings auch wieder sehr musikgetrieben, da geht´s um Tanzen und Rumspringen. Da steht es dem Zuhörer offen, ob er sich in der Live-Situation mit den Texten auseinandersetzt oder es bleiben läßt.

Einer der Gründe dafür, die Mediengruppe zu gründen, war der, daß wir uns auch live richtig präsentieren können. Wir haben ja als rein elektronisches Projekt angefangen, dann kam die Idee zur MTK, es wurden die ersten Songs geschrieben, und danach passierte eigentlich alles relativ schnell: die erste EP auf Enduro, bald darauf die zweite, und dann ging´s schon auf Label-Suche.

 

EVOLVER: Ein Grund für euren Durchbruch dürfte dabei auch in eurer starken MP3-Präsenz zu finden sein.

 

MTK: Ja, sicher. Alles, was wir gemacht haben, stand anfangs im Netz - weil wir wußten, was dieses Medium für eine Kraft hat. Wir wollten das voll ausschöpfen, weil wir auch merkten, daß man nur mit einer Vinyl-EP erstens kein Geld verdienen und zweitens auch nicht sehr viele Leute ansprechen kann. Deshalb war uns das auch sehr wichtig, einfach nur, um Leute aufmerksam zu machen ... und eventuell eine Tour spielen zu können. Es griffen dann relativ schnell Internet-Foren unsere MP3s auf, dadurch kiegten wir sehr gute Promotion.

 

EVOLVER: Eine exklusive Vermarktung über MP3 könnt ihr euch aber wohl nicht vorstellen?

 

MTK: Nein. Wir glauben schon, daß die Entwicklung wieder in Richtung ausgefeiltes Produkt zurückgehen wird, bei dem Graphik und Texte genauso wichtig sein werden wie die Musik. Die Plattenfirmen werden auch wieder darauf zurückkommen, geilere Editionen herauszubringen, die die Leute aus einem Sammlergedanken heraus kaufen werden. Rein auf MP3s beschränkt, würde es nicht funktionieren, weil dadurch im Gesamten nicht so ein roter Faden entstehen kann, wie das bei einem richtigen Album der Fall ist.

 

EVOLVER: Habt ihr keine Angst, jetzt weniger zu verkaufen, da ja sehr viele eure Songs schon als MP3 haben?

 

MTK: Das läßt sich ohnehin nicht vermeiden. Früher gab´s eben Tapes, die sich die Leute kopiert haben. Man war ja selbst auf zig Konzerten von Bands, von denen man keine Platte hatte und die Songs nur von Tapes kannte. Aber man war live dabei und hat sich eventuell noch ein T-Shirt gekauft. Wir sehen uns auch hauptsächlich als Live-Band.

 

EVOLVER: Und ihr habt ja auch T-Shirts...

 

MTK: ...und haben auch T-Shirts (schallendes Gelächter).

 

 

"Denn du hast Kauf, du hast die Kraft/du hast sie fair konsumierbar gemacht/du bist das Potential/bist so rebellisch ideal" ("Steht auf")

 

 

EVOLVER: Wie verlief eigentlich eure musikalische Sozialisation?

 

MTK: Wir haben beide - so mit 15, 16 - angefangen mit Indie-Rock, sind eigentlich beide schwerst Kinder der Neunziger. Grunge war ein großer Antrieb, um damit anzufangen, in Bands zu spielen. Später kamen dann viel Elektronik und HipHop dazu.

 

EVOLVER: Wobei es beispielsweise im deutschen HipHop einen (textlich) ähnlichen Ansatz wie den euren nicht gibt.

 

MTK: Das war uns auch ganz wichtig, daß wir da zu einer ganz eigenen Textform finden. HipHop war schon ein Einfluß dafür, daß es so ist, wie es ist, vor allem, was den Umgang mit Sprache betrifft. Aber es ist eben kein doch kein HipHop, genausowenig, wie es Indie ist oder Punk.

 

 

"Ihr wollt Konsumkritik/doch die kriegt ihr nicht/ihr habt so hart dafür gekämpft/doch es liegt uns nicht" ("Bis zum Erbrechen schreien")

 

 

EVOLVER: Eine gewisse Affinität zu Bands wie Fehlfarben oder DAF dürfte aber nicht von der Hand zu weisen sein.

 

MTK: Die sind aber überhaupt kein Einfluß gewesen. Man wird natürlich öfter auf diese Bands angesprochen, wir haben die aber gar nie gehört und sind damit erst in Kontakt gekommen, als unsere Musik schon da war. Die richtig starken Einflüsse waren eher so Sachen wie Sonic Youth oder auch Die Sterne und andere Hamburger-Schule-Acts, die uns dazu brachten, am Grundprinzip von deutschen Texten festzuhalten.

 

EVOLVER: Auch aus einem Bedürfnis heraus, Dinge damit gezielter und verständlicher ansprechen zu können?

 

MTK: Ja. Die Leute haben auch wieder viel mehr Bock darauf, sich Gedanken zu machen und nicht immer nur mit Entertainment zugeballert zu werden. Die haben einfach genug von dem Pop-Dreck, der sie den ganzen Tag zuscheißt.

Textlich ist sicher auch diese Werbersprache ein großer Einfluß. Wir spielen uns damit, verwenden parolenhafte Textzeilen, weil wir auch mehr Aufmerksamkeit dadurch kriegen. Wir nehmen das auf und verwenden es auf unsere Art und Weise weiter.

 

EVOLVER: So wie beim Albumtitel auch?

 

MTK: Genau. Der ist ja so entstanden: Wir fuhren durch Hamburg, und bei der Kunsthalle hing da dieses Riesenplakat von der Luxuslimousine eines italienischen Automobilherstellers, auf dem stand: "Die ganze Kraft einer Kultur". Und das zu Beginn des Irakkrieges. Und wir dachten nur: "WOW!" Das blieb uns sofort im Kopf hängen. Wobei wir den Satz inhaltlich schon auf uns adaptiert wissen wollen.

Christoph Prenner

Mediengruppe Telekommander - Die ganze Kraft einer Kultur


Mute/EMI (D 2004)

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